Süddeutsche Zeitung

Guantanamo-Häftlinge:"Der Fall Kurnaz ist Steinmeiers Problem"

Kurnaz-Anwalt Docke über die Verantwortung Berlins, Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen - und die Widersprüchlichkeit von Außenminister Steinmeier.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Herr Docke, in Guantanamo befinden sich keine Deutschen und auch keine in Deutschland sozialisierten Gefangenen. Warum sollte Deutschland Guantanamo-Häftlinge aufnehmen?

Berhard Docke: Auch, wenn es keine Rechtspflicht gibt, halte ich es für eine Geste der Humanität, Menschen zu helfen, die sieben Jahre lang rechtlos unter Folter gehalten wurden - wenn sie keine andere Heimat haben und in den USA kein Asyl wollen oder bekommen. Wenn eine Aufnahme in Deutschland das Ende Guantanamos beschleunigen würde, wäre dies ein weiterer Grund.

sueddeutsche.de: Kritiker wenden ein, Guantanamo sei eine amerikanische Erfindung - nun habe Washington auch die alleinige Verantwortung, für die Gefangenen zu sorgen.

Docke: Deutschland sollte helfen - nicht nur aus humanitären und moralischen Gründen. Berlin trägt auch eine politische Verantwortung. Die frühere Bundesregierung hatte Guantanamo öffentlich zwar kritisiert, hinter den Kulissen aber ein fragwürdiges Doppelspiel betrieben, insbesondere im Fall meines Mandaten Murat Kurnaz. Deutschland hat ihn dort unnötig lange schmoren lassen.

sueddeutsche.de: Ihre Kritik machen Sie am früheren Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier fest. Er ist heute Bundesaußenminister und spricht sich in der aktuellen Debatte für die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen aus - gefällt Ihnen das nicht?

Docke: Steinmeiers Vorstoß ist unterstützenswert. Umso glaubwürdiger wäre er, wenn er gleichzeitig sein eigenes Verhalten in der Causa Kurnaz selbstkritisch betrachtet. Steinmeier stand im Zentrum derer, die damals entschieden haben, Kurnaz in Guantanamo zu belassen - das hat ihm vier zusätzliche Jahre im Folterlager eingebracht.

sueddeutsche.de: Steinmeier rechtfertigte seine Entscheidung jüngst damit, dass gegen Kurnaz damals noch "dringender Tatverdacht" bestanden habe.

Docke: Das ist explizit falsch. Zu diesem Zeitpunkt, als Herr Steinmeier über das Schicksal von Murat Kurnaz entschieden hat - am 29. Oktober 2002 - gab es eine zweifache Entlastung: US-Ermittler hatten erklärt, dass sie ihn für unschuldig halten. Auch die Staatsanwaltschaft Bremen verneinte einen Tatverdacht. Es gab also zu dem Zeitpunkt keinen gegen Herrn Kurnaz Tatverdacht, und schon gar keinen dringenden.

sueddeutsche.de: Sehen Sie die Causa Kurnaz als Steinmeiers Stolperstein auf dem Weg ins Kanzleramt?

Docke: Für Herrn Steinmeier ist der Fall Murat Kurnaz sicherlich ein Problem: Nicht nur ein politisches, sondern auch ein persönliches. Das schadet seinem Image, daran ändert auch sein Einsatz für Guantanamo-Häftlinge nichts. Denn Steinmeier widerspricht sich in seinem Verhalten: Er will Guantanamo-Häftlingen helfen und verteidigt auf der anderen Seite die Entscheidung, Kurnaz in Guantanamo zu belassen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Murat Kurnaz von Barack Obamas Entscheidung zu Guantanamo hält.

sueddeutsche.de: Einige der aus Guantanamo Freigelassenen sind heute Terroristen - eine Sorge, die damals auch Steinmeier und die anderen Entscheider umtrieb. Haben Sie Verständnis dafür, dass man humanitäre Aspekte unter diesen Eindrücken lieber hintanstellt?

Docke: Ich kann diese Befürchtung nachvollziehen. Allerdings wurde auch über Jahre hinweg ein Zerrbild über die Gutantanamo-Gefangenen gezeichnet und gezielt mit Angst Politik gemacht. Der frühere US-Präsident George W. Bush sprach von den "Schlimmsten der Schlimmen". Das stimmt aber mit der Realität nicht überein. Ein Großteil der Gefangenen hatte mit den Taliban und al-Qaida nichts zu tun.

sueddeutsche.de: Ein anderer Teil aber schon. Was ist mit denen?

Docke: Sicher, es gibt auch solche, auf die das zutrifft. Diejenigen sollen vor amerikanischen Zivilgerichten angeklagt werden in rechtsstaatlichen Verfahren. Aber das sind ja nicht diejenigen, um deren Aufnahme nun gestritten wird. Hier geht es um Leute, die die USA teilweise schon seit Jahren als ungefährlich einschätzen.

sueddeutsche.de: Das Pentagon behauptet, Dutzende Ex-Häftlinge seien "rückfällig".

Docke: Die Zahl wird nun mit 60 angegeben - ich bezweifele, dass sie richtig ist. Es gibt bislang 43 Statistiken über sogenannte Rückfällige, die Zahl ist mal hoch- und mal runtergegangen. Das Verteidigungsministerium hat nun sogar gegenüber Journalisten eingeräumt, dass sogar Ex-Häftlinge mitgezählt wurden, die kritische Interviews zu Guantanamo gegeben haben.

sueddeutsche.de: Nach dieser Lesart wäre Murat Kurnaz auch ein "Rückfälliger"?

Docke: Theoretisch ja. Auch der Terminus "Rückfall" ist oft eine Verdrehung: Rückfällig kann man nur werden, wenn eine frühere Straftat vorliegt. Sieben Jahre lang sind die dortigen Gefangenen nicht angeklagt und nicht verurteilt worden.

Dass nach vielen Jahren im Lager - ohne Anklage, unter Folter - Einzelne sich radikalisiert haben und Amerika hassen, kommt leider vor. Das ist aber eine verschwindende Minderheit. Aus dem Fehlverhalten Einzelner kann man doch nicht den Schluss ziehen, dass alle anderen, denen nichts nachgewiesen werden kann, in Haft bleiben sollen. Eine Lösung gibt es nur, wenn die USA wieder zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehren - was nun offenbar der Fall ist. Denjenigen, gegen die es Verdachtsmomente oder Beweise gibt, muss selbstverständlich der Prozess gemacht werden, diejenigen, gegen die nichts vorliegt, müssen freigelassen werden.

sueddeutsche.de: Der neue US-Präsident Barack Obama hat inzwischen erklärt, Guantanamo binnen eines Jahres zu schließen. Wie bewertet Ihr Mandat Murat Kurnaz diese Entwicklung?

Docke: Er hat sich sehr darüber gefreut, dass Obama als eine der ersten Amtshandlungen mit der Politik seines Vorgängers gebrochen hat: Aussetzen der Militärtribunale, Folterverbot, das Aus für Guantanamo. Die Freude ist nur etwas getrübt, weil es sieben elend lange Jahre dauerte, bis Amerika zurückfindet zur Legalität. Guantanamo war ein rechtswidriger Ausnahmezustand und ein Verbrechen gegenüber den Gefangenen - und ein Verrat an den amerikanischen Werten.

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