Guantanamo, Folter und Verantwortung:"Rumsfeld ist unantastbar"

Guantanamo-Anwalt und Jura-Professor Baher Azmy über Politiker, die über dem Gesetz stehen und ärztliche Hilfe bei Folterungen.

Oliver Das Gupta

Baher Azmy, Sohn ägyptischer Einwanderer, ist Professor für Verfassungsrecht an der Seton Hall University in South Orange, New Jersey. Der Amerikaner engagiert sich im Center for Constitutional Rights, einem Zusammenschluss von Juristen, die sich unter anderem für die Rechte der im Lager Guantanamo einsitzenden Gefangenen einsetzen. Azmy vertritt auch den inzwischen freigelassenen Häftling Murat Kurnaz aus Bremen.

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Wachpersonal mit einem Guantanamo-Häftling. Die Aufnahme entstand Ende 2006

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Mister Azmy, einem bislang geheimen Bericht des Roten Kreuzes zufolge haben Ärzte bei der Folter von Terrorverdächtigen assistiert. War Ihnen dieser Umstand vorher bekannt?

Baher Azmy: Ja, mein Mandat Murat Kurnaz musste ebenfalls erleben, wie Mediziner bei der Folter halfen. Kurnaz war viele Stunden an Ketten an der Decke aufgehängt, eine brutale Misshandlung, die manche nicht überlebt haben. Währenddessen ist er mehrfach von Ärzten auf weitere Folterfähigkeit untersucht worden.

sueddeutsche.de: Wann und wo ist das geschehen?

Azmy: Diese Misshandlungen trugen sich im Januar 2002 im afghanischen Kandahar zu, wohin Kurnaz verschleppt worden war.

sueddeutsche.de: Kurnaz kehrte 2006 in seine Heimatstadt Bremen zurück. Nun wird hierzulande darüber diskutiert, ob Deutschland Ex-Häftlinge aus Guantanamo aufnehmen sollte. Um wie viele Menschen handelt es sich überhaupt, die in Frage kämen?

Azmy: Etwa 60 Leute haben den Status "Cleared to release", darunter einige Algerier, Tunesier, Libyer und auch 17 Uiguren. Sie dürften gehen, aber können es doch nicht. Sie werden nicht in ihre Heimatländer geschickt, weil ihnen dort Folter droht.

sueddeutsche.de: Die europäischen Regierungen sträuben sich bislang weitgehend, die Häftlinge aufzunehmen. Der karibische Gulag Guantanamo ist schließlich eine amerikanische Erfindung, ergo ein amerikanisches Problem.

Azmy: Stimmt. Aber Präsident Barack Obama will das Lager schließen. Und nicht er, sondern sein Vorgänger George W. Bush hat es zu verantworten.

sueddeutsche.de: Mit welcher Begründung kann Obama die Europäer überzeugen, Gefangene aufzunehmen?

Azmy: Ganz einfach. Obama sagt: Ich brauche eure Hilfe! Ja, es ist ein amerikanisches Problem, aber ich kann es nicht alleine schaffen. Wenn wir alle ein Interesse haben, dieses schreckliche Lager zu schließen, dann brauche ich euren guten Willen und eure guten Taten. Obama wird sagen: Please.

sueddeutsche.de: In Deutschland ist eine solche Hilfeleistung heftig umstritten.

Azmy: Zu Recht hat die Bundesregierung seit jeher Guantanamo kritisiert. Nun wäre es ein richtiger und wichtiger Schritt, einige der Gefangenen aufzunehmen - dann ist das Ende dieses Lagers besiegelt. Deutschland ist ein fortschrittliches Land, mit einem moderaten muslimischen Bevölkerungsanteil. Falls Deutschland einige Noch-Häftlinge aufnehmen würde, wäre das eine großartige Hilfe, auch für Präsident Obama.

sueddeutsche.de: Wie viele Gefangene befinden sich derzeit noch in Guantanamo?

Azmy: Ungefähr 240.

sueddeutsche.de: Bei den meisten von ihnen handelt es sich um solche, die in ihre Heimatländer entlassen werden sollen. Warum ist es so kompliziert, diese Gefangenen freizulassen?

Azmy: Zu dieser Gruppe zählen schätzungsweise 150 Menschen, vielleicht sogar mehr. Bei dem Großteil - mehr als 100 - handelt es sich um Jemeniten, was die Freilassung kompliziert. Denn in ihrer Heimat, im Jemen, kann man diese Menschen schwer überwachen, was der US-Regierung wichtig wäre. Ein Freund sagte mir mal den Satz: Al-Qaida im Jemen ist wie Ralph Nader in den USA. Du kennst jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt - al-Qaida ist dort überall zu finden.

sueddeutsche.de: Gelten die jemenitischen Guantanamo-Gefangenen überhaupt als gefährlich? Schließlich sollen sie ja freigelassen werden.

Azmy: Man weiß über die meisten so gut wie nichts, weder die US-Regierung, noch die jemenitische. Den Großteil dieser Leute hat man ja nicht beim Kämpfen gefangen genommen. Und darum fragt man sich heute: Ist dieser Mann nun ein harmloser Ziegenhirte oder ein islamistischer Kämpfer?

sueddeutsche.de: Klingt schwierig.

Azmy: Das ist ein riesiges Problem!

sueddeutsche.de: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Azmy: Es gibt Gerüchte, wonach Washington mit den Saudis darüber verhandelt, die Jemeniten in ihr aufwändiges Programm aufzunehmen. Die saudi-arabischen Guantanamo-Gefangenen waren in ihre Heimat zurückgekehrt, mussten allerdings einige Monate von ihren Familien getrennt leben: Sie wurden überwacht und betreut, ein moderater Imam sprach mit ihnen über einen moderaten Islam.

sueddeutsche.de: Die Angst vor freigelassenen Gefangenen, die Terrorakte begehen, ist in Amerika groß ...

Azmy: ... vor allem bei den US-Demokraten, ist die Furcht immens. In der Partei des Präsidenten ist man in Sorge, dass ein von Barack Hussein Obama freigelassener Guantanamo-Häftling zur Al-Qaida geht und Amerikaner umbringt.

"Manche Leute fallen regelrecht auseinander"

sueddeutsche.de: Im Fall Abdallah Salih al-Ajmi war die Sorge berechtigt. Der Kuwaiter wurde nach drei Jahren Guantanamo entlassen, reiste in den Irak und sprengte sich dort im April 2008 als Selbstmordattentäter in die Luft. Was lief da falsch?

Azmy: Ein Kollege von mir hatte ihn in Guantanamo besucht. Der Mann war verrückt, er hatte seinen Verstand verloren. Er schrie herum und versuchte, Dinge nach dem Anwalt und dem Übersetzer zu werfen. Nach seiner Rückkehr heiratete er und versuchte, sich einzugewöhnen - ohne Erfolg. Dann fuhr er in den Irak. Er hatte psychologische Probleme.

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Will das Gefangenenlager Guantanamo bis Januar 2010 schließen: US-Präsident Obama besiegelt mit seiner Unterschrift als eine seiner ersten Amthandlungen das Ende des karibischen Gulags.

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Präsident Obama will Guantanamo trotz aller offenen Probleme schließen.

Azmy: Und er hat recht damit: Wenn ein Freigelassener Terror verübt, ist das schlimm. Aber wenn wir Guantamao weiter betreiben sollten, würden wir jeden Tag 100 neue Terroristen schaffen. Im Übrigen: Es mag vereinzelt Ex-Gefangene geben, die gegen uns Amerikaner in den Krieg ziehen. Das ist furchtbar. Aber: Wollen wir ernsthaft behaupten, dass wir damit nicht fertig werden?

sueddeutsche.de: Einigen der Guantanamo-Häftlingen soll der Prozess gemacht werden vor regulären amerikanischen Gerichten. Um wie viele Terrorverdächtige handelt es sich?

Azmy: Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Etwa 20, 30, nicht mehr. Ein Vertreter der Bush-Regierung nannte mir die Zahl 60. Vielleicht zählte er die 14 "Geheimgefangenen" mit, deren Aussagen gegenüber dem Roten Kreuz nun für Aufsehen sorgen.

sueddeutsche.de: 60 von vormals 800 Guantanamo-Gefangenen - das ist wenig.

Azmy: Das ist unglaublich wenig, nicht wahr? Und diejenigen, die sich noch im Lager befinden, sind meist im achten Jahr dort.

sueddeutsche.de: Seit Januar ist Barack Obama Präsident und erließ sofort ein Folterverbot. Haben sich die übrigen Zustände in Guantanamo verbessert?

Azmy: Etwas, ja. Inzwischen kann die Mehrzahl der Häftlinge die Zeit gemeinsam verbringen. Die totale Isolation ist in den meisten Fällen Vergangenheit. Auch der Besuch durch Anwälte und Angehörige wird großzügiger gestattet. Verhöre, in denen die Gefangenen misshandelt werden, wurden schon zuvor eingestellt, es gibt also keine Folter mehr. Trotzdem ist Guantanamo nach wie vor ein Hochsicherheitsgefängnis, eines der schlimmsten, das die Vereinigten Staaten betreibt.

sueddeutsche.de: Wie geht es den Häftlingen jetzt?

Azmy: Es gibt Hoffnung in Guantanamo, erstmals. Früher war das Lager auf das Gegenteil ausgerichtet: Die Art der Verhöre, die totale Orientierungslosigkeit, den Gefangenen das Gefühl geben, lebendig tot zu sein. Das System Guantanamo sollte jede Hoffnung zerstören. Die Gefangenen sollten gebrochen und auf ihre animalischen Instinkte reduziert werden. Sie lernten Hoffnungslosigkeit. Anwaltskollegen, die nun ihre Klienten besuchen, erzählen, dass die Gefangenen viel entspannter aussehen. Manche Leute fallen aber regelrecht auseinander, sie sondern sich ab und feuern ihre Anwälte.

sueddeutsche.de: Wurden die für Guantanamo zuständigen Militärs inzwischen ausgetauscht?

Azmy: Auf den Top-Positionen im Pentagon schon, in Guantanamo vermutlich nicht so viele. Dort befinden sich nach wie vor Leute, denen es egal ist, wer ihnen was befiehlt.

sueddeutsche.de: Können diejenigen, die gefoltert haben, eines Tages juristisch belangt werden?

Azmy: Ja, können sie. Menschen, die foltern oder Folter anordnen, können angeklagt werden. Solche Misshandlungen sind schließlich in den USA strafbar.

sueddeutsche.de: Während der Regierungszeit von George W. Bush waren die "harten Verhöre" mehr oder weniger erlaubt. Bestimmte Methoden wurden abgesegnet, die Definition von Folter aufgeweicht. Die Bush-Administration sicherte sich in diversen Rechtsgutachten ab. In einer solchen Grauzone war fast alles erlaubt.

Azmy: Ich glaube nicht, dass diese Gutachten und Anweisungen ausreichen, um das, was geschehen ist, zu legitimieren.

"Obama will für keine Hexenjagd verantwortlich sein"

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass der Wille zur Strafverfolgung in dieser Causa bei der neuen Administration vorhanden ist?

Azmy: Offen gesagt: Ich glaube nicht, dass Obama das macht.

sueddeutsche.de: Warum sollte er davor zurückschrecken?

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Vertrat den aus Bremen stammenden Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz: Baher Azmy

(Foto: Foto: ddp)

Azmy: Das würde nur polarisieren und er ist angetreten um zu versöhnen, nicht noch weiter zu spalten. Außerdem hat er gerade einfach so viel zu tun mit der Wirtschaftskrise. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob nicht trotzdem eine Strafverfolgung zustande kommt. Der Kongress veranstaltet Anhörungen, immer mehr Menschen brechen ihr Schweigen. Wenn die Beweislast erdrückend wird, muss der Präsident einen politisch klugen Weg finden, es zuzulassen.

sueddeutsche.de: Dabei klang Obama durchaus so, als ob er abrechnen wollte. Er sagte Sätze wie: "Niemand steht über dem Recht"

Azmy: Er sagte auch: "Ich will nach vorne blicken." Er will nicht in den Ruch kommen, für eine Hexenjagd verantwortlich zu sein. Aber ich glaube, die Amerikaner sind offen für eine solche Aufarbeitung.

sueddeutsche.de: Können auch politische Entscheidungsträger wie Bush und Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld theoretisch belangt werden?

Azmy: Man wird sie nicht belangen, niemals. Keinen Bush, keinen Rumsfeld. Die Bush-Leute werden den Präsidenten ohnehin abgesichert haben. Sie werden darauf geachtet haben, dass es keine "Fingerabdrücke" auf Dingen gibt, die ihm gefährlich werden könnten.

sueddeutsche.de: Bei Bush vielleicht nicht, aber was ist mit Rumsfeld? Der ordnete beispielsweise besonders grausame Verhörmethoden persönlich an.

Azmy: Stimmt, 14 Verhörtechniken.

sueddeutsche.de: Warum ist er dann geschützt?

Azmy: Er sollte es nicht sein. Aber er ist auf eine gewisse Weise unantastbar. Das ist eine Schande, ich weiß. Manche Menschen in unserem Land stehen eben doch über dem Gesetz. Sie müssen nicht der Justiz, sondern der Politik Rede und Antwort stehen. Sehen Sie sich die Causa Watergate an: Richard Nixon hätte angeklagt werden müssen wegen seiner frevlerischen Taten.

sueddeutsche.de: Folter ist ein Verbrechen. Wie kann sich da ein verantwortlicher Politiker herauswinden?

Azmy: Nehmen Sie die einzelnen Maßnahmen: Den Häftling eine gewisse Zeit Hitze und Kälte auszusetzen, das wirkt auf den ersten Blick wenig schlimm. Oder: Menschen mit einem Hund etwas zu ängstigen. Aber diese "Techniken" wurden gleichzeitig angewandt, tagelang, wochenlang. Der Politiker sagt dann dazu: "Ich habe diese Maßnahmen zwar angeordnet, aber das sollte nicht auf diese Weise geschehen".

sueddeutsche.de: Sie sind ein amerikanischer Jura-Professor mit ägyptischen Wurzeln. Gab es in den letzten Jahren Momente, in denen sie den Glauben an die Gerechtigkeit in den USA zu verlieren drohten?

Azmy: Als ich 2004 damit begonnen habe, mich um das Schicksal von Guantanamo-Gefangenen zu kümmern, war ich etwas naiv-optimistisch. Ich glaube nach wie vor an mein Land und seine Werte, aber ich bin inzwischen weiser geworden. In den letzten Jahren habe ich erlebt, dass rohe Macht unser Rechtssystem überwältigen kann.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie?

Azmy: Ich habe Dinge gesehen, die ich vorher nicht für möglich gehalten habe: Wie sie mit Gefangenen umgegangen sind, wie sie Anwälte eingeschränkt haben, wie sie die Entscheidungen des Obersten Gerichts umgangen haben. Es gab eine Menge Richter, die nicht so couragiert waren, wie sie hätten sein müssen. Mein Glaube an die Gerechtigkeit war tief erschüttert. Gleichzeitig dachte ich: Das wird eines Tages enden, das Gute wird sich durchsetzen. Vermutlich wäre ein schwarzer Präsident Barack Obama nicht möglich gewesen, ohne einen George W. Bush.

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