Nur wenige Tage vor seinem 32. Geburtstag holte die Vergangenheit Carsten S. ein. Beamte der Spezialeinheit GSG 9 waren in aller Früh vor seiner Wohnung in der Düsseldorfer Markenstraße erschienen und nahmen den aus Jena stammenden Mann fest. Er ist dringend verdächtig, Beihilfe zu sechs Morden und einem Mordversuch der Zwickauer Terrorzelle geleistet zu haben.
Der 1980 in Neu-Delhi geborene S., der es im Mai 1999 zum Kreisvorsitzenden der Jenaer NPD brachte und im Sommer 2003 von Thüringen ins Rheinland gezogen ist, soll 2001 oder 2002 eine Waffe und Munition in Jena gekauft und dann an den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben weitergereicht haben. Diese Waffe soll dann der Kurier Holger G. ins Versteck der Terrorbande in Zwickau gebracht haben.
Carsten S. ist der sechste Beschuldigte, der in Untersuchungshaft sitzt, und der zweite ehemalige NPD-Funktionär. Er soll bereits umfassend ausgesagt haben. Sein Fall unterscheidet sich nicht nur wegen seiner Biographie von den anderen Fällen. S. war zeitweise so dicht dran an der Zelle wie kein anderer Helfer, und er schien dann ganz weit weg gewesen zu sein. Angeblich war er, wie er jüngst der Süddeutschen Zeitung sagte, 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen. Er hatte den Thüringer Heimatschutz verlassen und auch die NPD. Die Bundesanwaltschaft ist sich aber sicher, dass er bis 2003 Kontakte in rechtsradikale Kreise hatte. Carsten S. wird durch eine neue Zeugenaussage belastet.
Die Festnahme ist ein weiteres Signal, dass die Ermittlungseinheit "Trio", die im Fall der Terrorvereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und diverse Banküberfälle aufklären soll, Stück für Stück vorankommt. Immer wieder geht es dabei um die Waffen der Killer. Erst in der vorigen Woche waren vier weitere Ermittlungsverfahren gegen angebliche Helfer der Bande eingeleitet worden, die angeblich die Mörder mit Schießgerät ausgestattet haben. Insgesamt hatten die Terroristen zwanzig Waffen in ihrem Arsenal, darunter eine Maschinenpistole und zwei Pumpguns. Auch in der Schweiz wird ermittelt. Im Fall der Ceska, mit der die braunen Mörder zwischen 2000 und 2006 neun türkisch-oder griechischstämmige Kleingewerbetreibende ermordeten, kam vor rund zwei Wochen für kurze Zeit ein Schweizer in Haft. Über die Schweiz war die Waffe nach Deutschland gelangt. Der Schweizer soll die Waffe gekauft haben. Seine Frau stammt aus Thüringen.
Waffen passen so gar nicht zum Leben des Carsten S., so wie er es seit 2003 lebt. Er studierte Sozialpädagogik, engagierte sich in der Schwulen-Bewegung. Heute arbeitet er als Berater vor allem für schwule Männer und Jugendliche für eine Sozialeinrichtung, nebenher noch für ein Jugendzentrum. "Das ist ein toller Mensch, ein super Mitarbeiter", sagt dessen Leiterin.
Doch da war eben noch dieses Leben davor, zu dem Carsten S. größtmögliche Distanz geschafft zu haben glaubte. "Ich bin im Jahre 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen. Seitdem habe ich mich davon distanziert und verabscheue jegliche Art von rechtem, rassistischem und extremistischem Gedankengut", ließ er über einen Anwalt mitteilen, als durchsickerte, wie nah der Carsten S. von einst den Terroristen von Zwickau stand.
Spätestens seit 1998 war er in den Führungszirkeln der rechtsextremen Szene Jenas immer mit dabei und meist in der Nähe des fünf Jahre älteren Wohlleben. Der damals gerade erst 18 Jahre alte S. galt Verfassungsschützern als führendes Mitglied in der Sektion Jena des militanten Thüringer Heimatschutzes, in dem vor ihrem Untertauchen auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ihre Heimat gefunden hatten. Mit seinem Kameraden Wohlleben gründete Carsten S. den Jenaer Kreisverband der NPD und übernahm nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes dessen Vorsitz. In der NPD-Jugend Junge Nationaldemokraten war er tonangebendes Mitglied im Thüringer Landesvorstand.
Einmal, im März 1999, soll Carsten B. auf einem JN-Kongress die Kameraden gebeten haben, die Handys abzuschalten. Dann erzählte er ihnen, dass nicht mehr Wohlleben, sondern er den telefonischen Kontakt halte zu "den dreien", wie das untergetauchte Trio in der Szene hieß. Wenn Wohlleben ihm eine Kurznachricht mit einem Stichwort sende, dann schalte er sein Handy aus und gehe zum Telefonieren. Noch im Januar 2000 erzählte Wohlleben Kameraden, dass S. weiter allein den Telefonkontakt zu den dreien halte. Im Übrigen mache S. seine Sache gut und korrekt.
Doch dann erklärte S. seinen Kameraden, nicht mehr mitmachen zu wollen. "Ich hatte nach 2000 keinen Kontakt mehr zur rechten Szene", ließ er jüngst mitteilen. Das glauben ihm die Ermittler nicht. Sie wissen jedoch nicht, um welche der vielen Waffen der Terrorbande es sich bei dem Schießgerät handelt, das Carsten S. irgendwann 2001 oder 2002 in Jena gekauft haben soll. Die Ceska kann es nicht gewesen sein. Aus dieser Waffe war schon 2000 gefeuert worden, sie wurde zu einer Art Signatur der Killer.
Aber in Umrissen zumindest ist den Fahndern die Geschichte des Transports dieser Waffe bekannt. Erzählt hat diese Geschichte der Kurier, Holger G,, mit dem die Terrorbande bis 2011 Kontakt hatte. Die Geschichte geht so: 2001 oder 2002, das genaue Datum wisse er nicht, sagte der ebenso wie Beate Zschäpe in Köln-Ossendorf einsitzende G., habe ihn Wohlleben gebeten, einen Transport nach Zwickau zu übernehmen. Wohlleben habe einen Stoffbeutel geholt und ihn gefragt, ob er den nach Zwickau bringen könne. Unterwegs auf der Fahrt von Jena nach Zwickau, erzählte Holger G., habe er dann gefühlt, was sich in dem Beutel befand. Am Zwickauer Bahnhof habe ihn die Zschäpe abgeholt und sie seien dann in die konspirative Wohnung in der Polenzstraße 2 gegangen. "Hier habe ich etwas für euch", habe er dann zu den dreien gesagt und einem der beiden Männer den Beutel übergeben. Entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt habe die Waffe rausgeholt und durchgeladen. Auch Zschäpe sei dabei gewesen. Er habe dann noch gesagt, dass er mit Waffen nichts zu tun haben wolle und überhaupt, sie könnten sich nicht "anmaßen, mit fünf Leuten die Welt zu retten".
Später habe ihm Wohlleben, der ebenfalls einsitzt, angeblich gesagt, die drei bräuchten die Waffe. Es sei besser, wenn er, Holger G., nicht wisse, was die damit vorhätten. "Es klang für mich so, dass Ralf mehr wusste" hat Holger G. den Vernehmern gesagt. Auf die Frage, ob er wisse, von wem Wohlleben die Waffe bekommen habe, hatte G. mit "nein geantwortet". Die Ermittler zeigten G. die Waffen, die sie in der Wohnung und im Wohnmobil der drei gefunden hatten. Er konnte keine davon identifizieren.