Süddeutsche Zeitung

Union und SPD:Der Weg ist ein Ziel

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Der Kompromiss bei der Grundsteuer sagt über die Regierungsfähigkeit dieser Koalition wenig aus.

Von Nico Fried

Seit dem umfassenden Rücktritt von Andrea Nahles bemüht sich Vizekanzler Olaf Scholz auffällig darum, das Image der sozialdemokratischen Regierungsarbeit und mithin auch sein eigenes zu verbessern. In den vergangenen Tagen kam der Finanzminister von kaum einer wichtigen Reise zurück, ohne dass er und seine Getreuen angebliche Durchbrüche verkündet hätten. So war es nach dem G-20-Gipfel in Japan bei der Mindestbesteuerung, so war es nach dem letzten Euro-Finanzministertreffen bei der Finanztransaktionssteuer.

Von seiner Reise zum Koalitionsausschuss ins Kanzleramt soll Scholz in der Nacht zu Montag eine Einigung bei der Grundsteuer mitgebracht haben. Doch auf die üblichen öffentlichen Selbstbelobigungen aus seinem Haus wartete man diesmal vergebens. Offenbar betrachten weder der Finanzminister und Vize-Parteivorsitzende noch die interimistische Dreier-Spitze der SPD diesen Kompromiss als werbewirksamen Erfolg.

"Nicht unser Lieblingsmodell" lautete die Bewertung der SPD-Führung. Aus der Fraktion hagelte es sogar Proteste. CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder nannte den Kompromiss dagegen "sehr gut für Bayern". Rein machtarithmetisch ist es mithin schon erstaunlich, dass die Sozialdemokraten mit drei Vorsitzenden in so eine Koalitionsrunde hineingehen, hinterher aber griesgrämiger herauskommen als die CSU, deren einziger Parteichef an dem Treffen nicht einmal teilgenommen hat.

Wenn der Gesetzentwurf zur Grundsteuer tatsächlich demnächst ins Kabinett kommen sollte, wäre dies nicht das Ende, sondern erst der Anfang einer Prozedur, deren Ausgang völlig offen ist. Die Öffnungsklausel, auf die man sich in der Koalition zur Freude der CSU verständigt hat, bedarf der Zustimmung nicht nur der Länder, sondern - da das Grundgesetz geändert werden muss - wohl auch zweier Oppositionsfraktionen, mutmaßlich der FDP und der Grünen. Wenn das gelingt, was wegen des Drucks aus den Landesregierungen mit Beteiligung der zwei Parteien zu erwarten ist, kann jedes Land von der Standard-Regelung abweichen. Selbst Scholz' Heimatstadt Hamburg liebäugelt damit. Je mehr das tun, desto weniger bleibt von der bundeseinheitlichen Regelung, die Scholz so wichtig war. Und am Ende wird das neue Gesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit dort landen, wo das alte aufgehoben wurde: vor dem Bundesverfassungsgericht.

Über die verbliebene Regierungsfähigkeit der großen Koalition sagt dieser Kompromiss wenig aus. Alle anderen Themen wurden in der sechsstündigen Sitzung der Spitzenrunde angesprochen, aber nicht aufgelöst. Scholz und die SPD können sich immerhin zugutehalten, dass eine Senkung des Soli-Zuschlags für besonders gut verdienende Steuerzahler, wie ihn die Union gefordert hatte, vom Tisch ist. Andererseits steckt in diesem Einlenken von CDU und CSU auch die Botschaft, dass der Koalitionsvertrag gilt - was die SPD umgekehrt bei der Grundrente bislang anders sieht.

Einmal mehr haben Union und SPD einen Zeitplan für ihre Projekte bis zum Herbst aufgestellt. Zeitpläne sind in Koalitionen stets der Notausgang der Kompromissunfähigen. In dieser großen Koalition verunsicherter Parteien freilich ist auch der Weg schon ein wichtiges Ziel. Er steht für die Botschaft: Es geht weiter. Noch.

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SZ vom 18.06.2019
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