Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts:Mehr Rechte für Psychiatrie-Patienten

Menschen dürfen nur für längere Zeit an ihr Bett gefesselt werden, wenn ein Richter das genehmigt. Viele Bundesländer müssen ihre Gesetze ändern.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Patienten in der Psychiatrie dürfen nur aufgrund richterlicher Anordnung für längere Zeit an ihr Bett gefesselt werden - und dies nur, wenn es zu ihrem oder zum Schutz des Personals unvermeidlich ist. Mit einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag klargestellt, dass der "Richtervorbehalt" bei sogenannten Fixierungen auch für Patienten gilt, die bereits aufgrund richterlicher Verfügung in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht sind. Damit werden die meisten Bundesländer ihre Gesetze ändern müssen; Karlsruhe setzte eine Übergangsfrist bis Mitte nächsten Jahres.

Einen Richtervorbehalt haben bisher nur Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Bayern, neben Baden-Württemberg unmittelbar von dem Urteil betroffen, hat den Richtervorbehalt mit einer kürzlich verabschiedeten Novelle eingeführt, er tritt zum Jahresbeginn 2019 in Kraft. Justizminister Winfried Bausback (CSU) geht davon aus, dass das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auch sonst die Karlsruher Vorgaben erfüllt. Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) bezeichnete es als selbstverständlich, dass solche Maßnahmen gerichtlich geprüft werden. "Da hätten wir auch selber drauf kommen können."

Geklagt hatte ein Mann, der - stark betrunken - in München acht Stunden lang mit einer "Sieben-Punkt-Fixierung" an Armen, Beinen, Brust, Bauch und Stirn ans Bett geschnallt worden war, weil die Ärzte von Suizidgefahr ausgingen. In einem zweiten Fall aus Baden-Württemberg hatte ein Schizophrenie-Patient mit Gegenständen nach dem Personal geworfen und war daher immer wieder fixiert worden. In Baden-Württemberg gab es 2016 mehr als 2700 Fälle von Fixierungen mit über 700 Betroffenen.

Nach dem Grundsatzurteil des Zweiten Senats unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle dürfen lediglich kurzzeitige Fixierungen ohne richterliche Beteiligung vom Arzt angeordnet werden - und zwar, wenn sie absehbar weniger als eine halbe Stunde dauern. Doch auch in diesen Fällen sei eine Fesselung das "letzte Mittel". Die Freiheit der Person sei ein besonders hohes Rechtsgut, das nur aus wichtigen Gründen eingeschränkt werden dürfe. "Gerade psychisch Kranke empfinden eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht nähergebracht werden kann, häufig als besonders bedrohlich", argumentiert das Gericht. Dem Urteil zufolge müssen solche Fälle dokumentiert werden, zudem ist nachträchlicher Rechtsschutz möglich.

Werden Patienten länger als eine halbe Stunde an fünf (Arme, Beine, Bauch) oder sieben Punkten fixiert, dann muss stets ein Richter eingeschaltet werden. Um dies sicherzustellen, ordnet das Urteil bis ins Detail an, dass die Justiz in den Bundesländern für einen Bereitschaftsdienst von sechs bis 21 Uhr sorgen muss; nur ein Nachtdienst bleibt den Amtsgerichten erspart. Der Richtervorbehalt "zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab", schreiben die Karlsruher Richter. Sollte ein Richter nicht rechtzeitig verfügbar sein, sei seine Entscheidung "unverzüglich" nachzuholen.

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