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Sozialpolitik:Darum geht es bei der Grundrente

Seit Monaten entzweit das Thema die Koalition. Heute wollen Union und SPD einen Durchbruch bei der Grundrente erzielen. Worum geht es genau? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Gut neun Monate ist es her, dass Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) sein Konzept für eine Grundrente vorgestellt hat. An diesem Sonntag treffen sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD, um den langen Streit beizulegen und eine Lösung zu präsentieren. Aber worum geht es bei der Grundrente eigentlich genau? Und warum dauert der Streit schon so lange? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Worum geht es überhaupt?

Um höhere Renten für langjährige Niedrigverdiener. Die Idee war: Wer viele Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll im Alter besser dastehen als jemand, der nie oder nur sehr wenig gearbeitet hat. Derzeit ist das nicht gewährleistet: Es gibt Rentner, die trotz langer Versicherungszeiten eine so niedrige Rente bekommen, dass sie sich mit der Grundsicherung im Alter - derzeit 424 Euro plus Wohn- und Heizkosten - besserstellen. Wenn jemand in seinem Arbeitsleben schlecht verdient oder immer nur in Teilzeit gearbeitet hat, können so wenige Rentenpunkte zusammenkommen, dass es nur für eine Rente auf Sozialhilfeniveau reicht.

Was war ursprünglich geplant?

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD für alle, die mindestens 35 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt haben, "ein regelmäßiges Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs" vereinbart; Kindererziehungs- und Pflegezeiten mitgerechnet.

Wo liegt das Problem?

Ebenfalls im Koalitionsvertrag. Dort stehen zwei Absätze, die sich widersprechen. Der eine lautet: "Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung." Und der andere: "Die Abwicklung der Grundrente erfolgt durch die Rentenversicherung. Bei der Bedürftigkeitsprüfung arbeitet die Rentenversicherung mit den Grundsicherungsämtern zusammen." Letzteres sollte sicherstellen, dass Grundrentner nicht zum Sozialamt müssen, sondern nur zur Rentenversicherung. Die aber kann die Daten für eine echte Bedürftigkeitsprüfung mit ihrer Infrastruktur nicht erheben. Kurz: Eine Bedürftigkeitsprüfung wie bei Hartz IV und eine Grundrente ohne Sozialamtsbesuch schließen sich aus.

Wie lautete Heils Vorschlag?

Anfang Februar stellte der Sozialminister sein Konzept vor - das allerdings mit dem Koalitionsvertrag nicht viel gemein hatte. Er schlug eine Aufwertung niedriger Renten auf bis zu 80 Prozent der Durchschnittsrente vor - für alle mit mindestens 35 Beitragsjahren, ohne Prüfung der Bedürftigkeit. Wer sich dann immer noch mit der Grundsicherung besserstellt, soll dank eines Freibetrags mehr haben als jene, die nicht so lange gearbeitet haben.

Und dann?

Dann kam der große Grundrentenstreit. Denn die Union war keineswegs bereit, auch Rentnern einen Zuschuss zu gewähren, die durch eine hohe Rente ihres Partners oder sonstige Einkünfte gut abgesichert sind. Auch die Kosten von mittelfristig fast fünf Milliarden Euro waren der Union nicht vermittelbar.

Gibt es einen Ausweg?

Seit dem Sommer zeichnet sich ab, dass ein Kompromiss entlang einer vereinfachten Einkommensprüfung verlaufen könnte, ohne Berücksichtigung von Vermögen und Wohneigentum. Doch trotz Marathonsitzung vergangene Woche steht die Einigung noch immer nicht. Strittig sind die Kosten; im Gespräch waren zuletzt 1,7 bis 1,8 Milliarden Euro jährlich. Strittig ist auch die Forderung der Union, im Gegenzug der Wirtschaft etwas Gutes zu tun, etwa über Steuersenkungen. Für die SPD ist die Grundrente ihr zentrales Projekt. Sollte sie nicht gelingen, könnte der Parteitag Anfang Dezember den Ausstieg aus der Koalition beschließen. In der CDU verringern der Führungsstreit und die Suche nach einem eigenständigeren Profil die Kompromissfreude.

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SZ vom 05.11.2019/tmh
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