Die Bochumerin Susanne Holtkotte, 48, arbeitet als Reinigungskraft in einer Klinik. Mitte Februar trat sie in einer Talkshow auf, gemeinsam mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Es ging um die Grundrente, und am Ende bot Heil ihr an, jeweils einen Tag lang die Jobs zu tauschen. Ihren Tag in Berlin hat Holtkotte schon hinter sich. Diese Woche ist Heil dran.
SZ: Frau Holtkotte, am Donnerstag wird der Arbeitsminister einen Tag mit Ihnen in Bochum arbeiten. Was kommt da auf ihn zu?
Susanne Holtkotte: Ich leite bei uns die Bettenzentrale, mein Arbeitstag beginnt um 7.30 Uhr und endet um 15 Uhr. Wir beliefern das ganze Haus, die OPs, die Intensivstation mit frischen Betten. Wir müssen die abziehen, reinigen, neu beziehen und die Stationen mit Bettwäsche versorgen. Das ist auch 'ne logistische Sache. Insgesamt sind wir ein Team von 14 Leuten.
Glauben Sie, dass er durchhalten wird?
Ja, davon bin ich fest überzeugt. Er wird wissen, wie solche Betten aussehen. Wir haben OP-Betten, wo Menschen wiederbelebt wurden, wo Menschen wahnsinnig geblutet haben, wo Menschen unter sich gelassen haben. So was muss auch sauber gemacht werden. Die Gerüche sind manchmal noch schlimmer als die Optik. Aber es ist natürlich nicht so, dass der Minister kommt, wir gehen in meine Abteilung, arbeiten das fröhlich weg, und dann geht er wieder. Da wird Presse dabei sein, die Geschäftsführung wird ihn begrüßen, es wird eine Führung geben. Aber er arbeitet auch mit mir. Der Kittel ist schon besorgt.
Was erhoffen Sie sich von dem Termin?
Hoffen ist das falsche Wort. Soll ich hoffen, dass sich dann übermorgen alles in der Politik ändert? Das wäre sehr weit gegriffen. Ich verspreche mir eher davon, dass die Menschen drumherum sehen, dass ein Minister in der Lage ist, ordentlich anzupacken. Er konfrontiert sich selber damit, mit so einem Job, wo nicht viel Geld fließt. Und die Bürger, das Volk, die anderen Politiker werden vielleicht ein bisschen wachgerüttelt und sehen: Ohne uns Arbeiter würden viele Sachen nicht laufen, ohne gewisse Politiker aber auch nicht.
Den Alltag des Ministers haben Sie schon kennengelernt. Wer hat den anstrengendere Job?
Oh, schlechter Vergleich. Mein Job ist körperlich superanstrengend. Wenn meine Kollegen und ich nach Hause gehen, sind wir fertig mit der Bereifung, wie man bei uns sagt. Wir unterhalten uns morgens voller Elan, was wir nachmittags kochen wollen. Und fünf Stunden später sieht der Speiseplan schon ganz anders aus. Die einen machen sich vor Erschöpfung nur noch eine Dose auf, die anderen sagen, sie essen die Reste von gestern. Ein Minister mag an den meisten Tagen im Jahr nur in seinem Büro sitzen. Aber tauschen möchte ich trotzdem nicht. Geistige Arbeit und immer wichtige Entscheidungen treffen zu müssen, das ist auch anstrengend.
Bekannt wurden Sie durch die Talkshow "Hart aber fair". Wie ist es Ihnen danach ergangen?
Das war schon krass, als ich am nächsten Morgen zig Fotos von mir gesehen habe im Internet. Ich bin erst mal derbe erschrocken: Um Gottes willen, was ist denn jetzt passiert? Denn ich war in der Sendung ja einfach nur so, wie ich bin. Wenn mir irgendwas nicht passt, mache ich gerne den Mund auf. Ich mag keine Ungerechtigkeit. Zum Beispiel die Rente, die Altersarmut. Die Lösung ist ja eigentlich naheliegend: Meine Güte, zahlt halt vernünftige Löhne, dann kriegen wir auch genug in die Rentenkasse. Aber das ist wahrscheinlich nur normalsterbliches Denken.
Hubertus Heil hat ja derzeit ziemlich viel Ärger mit seiner Grundrente.
Das ist genau das, was ich befürchtet habe. Für mich gäbe es eine einfache, gutbürgerliche Lösung: Wenn einer eine Idee hat, und der Rest ist nicht einverstanden, dann sollte man so schlau sein, sich an einen Tisch zu setzen und die guten Sachen zusammenzuwerfen. Stattdessen sagen die einen hü, die anderen hott, haben aber keine bessere Idee. Und der Bürger ist verschreckt. Ich befürchte schon, dass es mit der Wahlbeteiligung bei der Europawahl wieder bodenlos sein wird.
Gehen Sie wählen?
Natürlich! Das ist so ein Leitsatz von mir: Ich kann nicht meckern und mich über irgendwas beschweren, wenn ich es ändern kann. Am Tag der Wahl kann ich dann sagen, ich habe mein Bestes gegeben.
Sind Sie selbst in einer Partei?
Ich bin absolut parteilos. Und ich glaube, das wird auch erst mal so bleiben.
Wie sehr hat sich Ihr Leben seit Ihrem Fernsehauftritt verändert?
Mein Leben hat sich nicht groß verändert. Klar, manche Leute gucken, wenn ich irgendwo an der Kasse stehe. Viele glauben: Die war im Fernsehen, hat ein paar Zeitungsinterviews gegeben, die hat jetzt Geld. Wenn ich denen erzähle, dass ich nur für die Sendung ein Honorar bekommen habe, gucken die mich an, als wollten sie sagen: Bist du doof? Ich mach ganz normal meinen Job, mein Ehrenamt für die Gewerkschaft, bin ehrenamtliche Richterin am Sozial- und Arbeitsgericht. Alles andere habe ich dazwischengeschoben.
Zum Beispiel das Buch, das Sie schreiben.
Als der Verlag anrief, dachte ich: Das gibt's doch nicht! Es ist ein bisschen wie Aladdins Lampe.
Wie lautet der Titel?
"715 Euro. Wenn die Rente nicht zum Leben reicht. Eine Reinigungskraft klagt an". Ende Juni soll es erscheinen. Und mein Ruhrgebietsslang ist drin. Ich habe gerade einen ersten Dummy bekommen. Das ist schon ein bisschen imposant; ich bin ein bisschen stolz auf mich. Ich denke mir die ganze Zeit: Da ist dein Gesicht drauf. Und ich gucke wie Fräulein Rottenmeier ...
... die strenge Hausdame aus "Heidi"?
Ja. Ich sollte ernsthaft und ein bisschen vorwurfsvoll gucken. Was mir schwerfällt, denn eigentlich bin ich ein dauerhaft fröhlicher Mensch.