Reaktionen auf Koalitions-Kompromiss:"Aus der Idee der Grundrente ist eine Willkürrente geworden"

FDP-Chef Christian Lindner

FDP-Chef Christian Lindner sieht nach dem Grundrenten-Kompromiss "mehr Schatten als Licht" bei der Halbzeitbilanz der großen Koalition.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

FDP-Chef Lindner moniert, die Union habe sich von der SPD über den Tisch ziehen lassen. Linken-Politiker Bartsch findet die Grundrenten-Einigung zynisch. Auch innerhalb der Koalition gibt es vereinzelt Kritik.

Der Kompromiss der Koalitionsspitzen bei der geplanten Grundrente stößt in der Opposition auf Kritik. FDP-Chef Christian Lindner kritisiert, CDU und CSU hätten sich bei dem Kompromiss von der SPD über den Tisch ziehen lassen. "Aus der Idee der Grundrente ist eine Willkürrente geworden: Es fließt Steuergeld, wo im Einzelfall gar keine Bedürftigkeit vorliegt. Wer weniger als 35 Jahre gearbeitet hat, fällt durch den Rost", sagte Lindner der Nachrichtenagentur dpa. Die Halbzeitbilanz der großen Koalition weise "nun noch mehr Schatten als Licht auf".

Der Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, sagte der Funke-Mediengruppe, es sei zynisch, dass es bei E-Autos üppige Kaufprämien mit der Gießkanne gebe - "und bei der Grundrente schaut die Koalition ins Portemonnaie der Rentner, die jahrzehntelang eingezahlt haben".

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bewertet die Grundrenten-Einigung hingegen grundsätzlich als "richtigen Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut". Sie verlangte aber Nachbesserungen. "Im Gesetzgebungsverfahren werden wir dafür werben, dass die Zugangshürden der Grundrente abgesenkt und eine unbürokratische Einkommensprüfung durchgeführt wird", sagte Göring-Eckardt den Funke-Zeitungen. So solle es die Grundrente schon nach 30 statt 35 Jahren an Beitrags- und Versicherungszeiten geben.

Innerhalb der großen Koalition stößt der Entwurf weitgehend auf Zustimmung, doch auch hier gibt es einige kritische Stimmen: Ablehnend äußerte sich bei der Union etwa das Fraktionsvorstandsmitglied Axel Fischer (CDU). "Der Kompromiss zur Grundrente erfüllt nicht den Geist des Koalitionsvertrags", sagte er der Augsburger Allgemeinen. Die zwischen SPD und Union umstrittene Bedürftigkeitsprüfung bleibe weit hinter den Forderungen zurück. "Dieser Kompromiss ist für mich nicht akzeptabel."

Auch vom CDU-Wirtschaftsflügel kommt massive Kritik. Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion im Bundestag, Christian von Stetten, sagte zur dpa: "Die Parteivorsitzenden haben gestern im Koalitionsausschuss beschlossen, die getroffenen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu brechen, um die Koalition über den SPD-Parteitag hinaus zu retten. Das wird ja immer verrückter in Berlin."

Bei der SPD gab es Kritik von einigen Parteilinken. Der SPD-Sozialpolitiker Karl Lauterbach sprach in der Welt von einer enttäuschenden "Minimallösung". Die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke, Hilde Mattheis, sagte dort: "Die Einkommensprüfung ist ein Kompromiss, der weit von dem SPD-Anspruch einer Grundrente ohne Bedarfsprüfung entfernt ist." SPD-Vize Ralf Stegner, auch er vom linken Flügel, dagegen sprach lobend von einem "Meilenstein", der erreicht worden sei. Und der Kandidat für den SPD-Vorsitz, Norbert Walter-Borjans, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Mit dem Kompromiss zur Grundrente kann man fürs Erste leben."

Ostdeutsche Ministerpräsidenten zeigen sich zufrieden

Bei der SPD sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: "Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, im Interesse der Menschen diesen sozialpolitischen Meilenstein zu setzen." Die Grundrente werde "bürgerfreundlich und unbürokratisch", versprach er am Sonntagabend. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) - Koalitionsbefürworter und Bewerber um den Parteivorsitz - sagte im ZDF-"Heute-Journal": "Wir haben eine sehr gute Lösung gefunden, die für viele, viele eine Verbesserung zeigen wird."

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bekräftigte in der ARD: "Das ist ein System, das auch mit Blick auf die Werte der CDU vertretbar ist." Das Parteipräsidium stellte sich am Montag einstimmig hinter den Vorschlag, wie aus Parteikreisen verlautete. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) warb - auch mit Blick auf die eigenen Reihen - um Zustimmung. Es sei halt ein Kompromiss, das müssten beide Seiten wissen, sagte der einst selbst skeptische CDU-Politiker im ARD-"Bericht aus Berlin". Die SPD warnte Brinkhaus indirekt davor, sich noch bei weiteren Themen querzustellen. "Man muss auch eins sagen: Also - noch mehr von diesen Belastungsproben wünsche ich mir in dieser Koalition nicht."

Lobend äußerten sich auch ostdeutsche Ministerpräsidenten, die lange auf einen Kompromiss bei dem Thema gedrängt hatten: Brandenburgs Dietmar Woidke (SPD) und Sachsens Michael Kretschmer (CDU).

Das CSU-Präsidium stimmte dem Kompromiss am frühen Montagmorgen einstimmig zu. Dies teilte Parteichef Markus Söder am Montagmorgen per Twitter mit. "Der Kompromiss ist fair und ausgewogen", schrieb Söder. Und die Groko habe damit einen großen Schritt in Richtung Zukunft gemacht.

CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte, die Grundrenten-Einigung sei "ausdrücklich begrüßt" worden. Dass die Koalition neben der Grundrente auch eine Absenkung des Arbeitslosenbeitrags und Verbesserungen bei der Betriebsrente beschlossen hat, entlaste Arbeitnehmer und sorge weiter für die Zukunft vor. Zudem sei das Präsidium sehr zufrieden, dass durch die Beschlüsse auch die Wirtschaft gestärkt werde.

Der Koalitionsausschuss hatte sich am Sonntag nach monatelangem Ringen darauf verständigt, dass Rentner, die nach 35 Jahren im Erwerbsleben nur eine Rente auf dem Niveau von Hartz IV erhalten, künftig finanziell bessergestellt werden sollen. Das trifft voraussichtlich auf bis zu 1,5 Millionen Menschen zu.

Geplant ist eine umfassende Einkommensprüfung, nicht aber die von der SPD abgelehnte Bedürftigkeitsprüfung. Für Alleinstehende soll dabei ein Freibetrag in Höhe von 1250 Euro gelten, für Paare von 1950 Euro. Die Gesamtkosten dafür belaufen sich auf bis zu 1,5 Milliarden Euro.

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