Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Grundrente wird zur Zerreißprobe für die große Koalition

  • Eigentlich wollten Union und SPD das Grundrenten-Konzept am Montag beschließen, doch das scheiterte.
  • Den andauernden Streit zwischen Union und SPD sowie die Führungsdebatte in der CDU nimmt CSU-Chef Söder nun zum Anlass für deutliche Kritik.
  • Die SPD erhöht derweil den Druck auf die Union.

Von Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin, und Wolfgang Wittl, München

Ungewöhnlich scharf hat CSU-Chef Markus Söder die Schwesterpartei CDU ermahnt, ihre internen Querelen zu beenden. "Personaldebatten generell sind schädlich", sagte er am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung in München. "Wir brauchen keine Rückspiele und auch keine persönlichen Debatten der Vergangenheit." Söders Worte zielen offenbar gegen den früheren Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Der hatte das Erscheinungsbild der Bundesregierung als "grottenschlecht" bezeichnet und dafür vor allem die Kanzlerin verantwortlich gemacht.

In einer Telefonschalte der Unionsspitzen sprach CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montagmorgen nach Angaben von Teilnehmern selbst von einer offenen Führungsfrage. Unmittelbar danach brach die Schalte zusammen, offenbar aus technischen Gründen.

Söder sagte: "An einer Union darf niemals ein Zweifel entstehen", dass sie regieren wolle und regierungsfähig sei. Die Kritik richtet sich gegen Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Dieser soll in der Telefonkonferenz erheblichen Widerstand gegen die Grundrente geleistet haben. In der Unionsfraktion gibt es unter anderem wegen der Kosten Vorbehalte. Söder rief auch die SPD auf, den Regierungsauftrag bis 2021 wahrzunehmen. "Der Wille zum Regieren ist entscheidend, nicht der Wille sich zu zerlegen."

Der Streit über die Grundrente allerdings stellt die Koalition zunehmend vor eine Zerreißprobe. Söder forderte Kompromissbereitschaft: "Wenn man eine Lösung will, findet man eine." Eigentlich hätte der Koalitionsausschuss die Grundrente am Montagabend beschließen sollen. Das Treffen war aber auf Wunsch der CDU verschoben worden.

Söder warnte vor einer "Totalblockade". Die Koalition dürfe nicht an der Grundrente scheitern. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte im Vorstand nach Angaben von Teilnehmern: "Wenn man die Koalition infrage stellt, muss man auch die Antwort geben, wie es anschließend weitergeht." Man könne bei der Grundrente den Eindruck haben, dass manche eine Sachfrage mit einer Machtfrage verbinden wollten. Sozialpolitik eigne sich aber nicht für Machtfragen.

Die SPD erhöht derweil den Druck. "Ich habe die Hinhaltetaktik und das Lavieren der Unionsspitzen satt", sagte der Ostbeauftragte der SPD, Martin Dulig. Generalsekretär Lars Klingbeil sagte im ZDF: "Wenn wir bei der Grundrente nicht zu einer Einigung kommen, wird es schwierig in der Koalition."

Norbert Walter-Borjans, der sich zusammen mit der Abgeordneten Saskia Esken um den Parteivorsitz bewirbt, warnte dagegen vor einer Einigung um jeden Preis. "Ein fauler Kompromiss vor dem Parteitag, auf dem wir die Bilanz und die Perspektiven der Groko diskutieren wollen, wäre die schlechtestmögliche Lösung", sagte er. Zu große Zugeständnisse seien "eine der wichtigen Ursachen für die dramatischen Stimmenverluste der SPD" gewesen. Eine einfache Einkommensprüfung nannte er "vertretbar", die Verknüpfung der Grundrente mit einer Unternehmensteuerreform dagegen nicht. Letzteres fordert die Union.

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SZ vom 05.11.2019
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