Wahlrechtsreform:Auch in der Ampel gibt es Kritik am neuen Wahlrecht

Wahlrechtsreform: Der Bundestag soll verkleinert werden- von derzeit 736 auf 630 Abgeordnete.

Der Bundestag soll verkleinert werden- von derzeit 736 auf 630 Abgeordnete.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Abgeordnete aus allen drei Koalitionsfraktionen beklagen Abschaffung der Grundmandatsklausel. CDU, CSU und Linke wollen dagegen klagen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es war eine Debatte, die in ihrer Schärfe ungewöhnlich für den Deutschen Bundestag war. Am vergangenen Freitag haben die Ampelfraktionen gegen den Widerstand der Opposition ein neues Wahlrecht beschlossen. Dabei hatte vor allem die Abschaffung der Grundmandatsklausel Protest ausgelöst. Dadurch wolle die Koalition "die Linke aus dem Parlament drängen" und "mit einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU infrage stellen", schimpfte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Dieser "Versuch der Wahlrechtsmanipulation" sei ein "großes Schurkenstück".

Jan Korte, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, beklagte, die Ampelkoalition wolle "mal eben kurz zwei Oppositionsparteien aus dem Bundestag politisch eliminieren". Doch die Koalition zeigte sich unbeeindruckt von den Anwürfen, sie billigte das neue Wahlrecht - und war anschließend stolz auf ihre Geschlossenheit. Aus den Reihen der Ampel hatte es lediglich zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung gegeben.

Doch nun zeigt sich, dass es auch in der Ampelkoalition Unmut über die Abschaffung der Grundmandatsklausel gibt. Die Klausel besagt, dass eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, trotzdem entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil in den Bundestag einziehen darf, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewonnen hat. Von dieser Klausel hat bei der letzten Bundestagswahl die Linke profitiert, sie sitzt nur deshalb mit 39 Abgeordneten im Parlament.

Die Klausel war aber auch eine Art Lebensversicherung für die CSU. Bei der letzten Wahl ist sie bundesweit nur auf 5,2 Prozent gekommen. Da die CSU in Bayern immer weit mehr als drei Direktmandate erzielt, wäre sie bisher auch dann im Bundestag gesessen, wenn sie einmal unter die Fünf-Prozent-Marke gerutscht wäre.

"Der Wille der Bevölkerung vor Ort darf nicht in diesem Maße ignoriert werden"

Bei der Bundestagsabstimmung über das neue Wahlrecht hatten die SPD-Abgeordneten Anna Kassautzki und Erik von Malottki gegen die Reform gestimmt. Ihr Fraktionskollege Frank Junge hatte sich enthalten. Doch es gibt in den Ampelfraktionen mehr als drei Abgeordnete, die Probleme mit dem neuen Wahlrecht haben. Denn einige von denen, die am Freitag mit Ja abgestimmt haben, haben persönliche Erklärungen abgegeben, in denen sie teils erhebliche Vorbehalte dokumentieren. Dabei geht es auch um die Grundmandatsklausel, gegen deren Abschaffung CDU, CSU und Linke gerade so heftig protestieren.

Wahlrechtsreform: "Nicht einverstanden": Stefan Gelbhaar von den Grünen.

"Nicht einverstanden": Stefan Gelbhaar von den Grünen.

(Foto: Imago)

Der Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar schreibt zum Beispiel: "Nicht einverstanden bin ich mit der Abschaffung der Grundmandatsklausel, hier setze ich mich für eine Nachjustierung ein." Die SPD-Abgeordneten Simona Koß, Sylvia Lehmann und Hannes Walter haben gemeinsam eine Erklärung abgegeben. Darin beklagen auch sie den Wegfall der Grundmandatsklausel.

Koß, Lehmann und Walter schreiben: "Die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien mit einem bundesweiten Anteil von weniger als 5 Prozent, die in ihren Wahlkreisen eine Mehrheit mit der Erststimme erzielt haben, sollten ebenfalls in Zukunft in den Bundestag einziehen können. Der Wille der Bevölkerung vor Ort darf nicht in diesem Maße ignoriert werden."

Wahlrechtsreform: Hat auch Vorbehalte: Christoph Hoffmann, FDP.

Hat auch Vorbehalte: Christoph Hoffmann, FDP.

(Foto: Imago)

Auch bei den Liberalen gibt es Vorbehalte. Der FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann schreibt in seinem Statement: "Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt Abstand von der Grundmandatsklausel. Das kann dazu führen, dass Fraktionen wie die CSU bei den künftigen Bundestagswahlen trotz Dutzender errungener Direktmandate nicht in den Bundestag einziehen dürfen, weil sie nicht die erforderlichen 5 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht haben. Das wäre undemokratisch." Die SPD-Abgeordnete Maja Wallstein beklagt ebenfalls den Wegfall der Grundmandatsklausel. Auch sie ist der Ansicht, dass "der Wille der Bevölkerung vor Ort" nicht "in diesem Maße ignoriert werden" dürfe.

Wahlrechtsreform: Beklagt den Wegfall der Grundmandatsklausel ebenfalls: Maja Wallstein, SPD.

Beklagt den Wegfall der Grundmandatsklausel ebenfalls: Maja Wallstein, SPD.

(Foto: Imago)

Die Ampelkoalition hatte die Abschaffung der Grundmandatsklausel erst wenige Tage vor der Verabschiedung des neuen Wahlrechts in ihren Gesetzentwurf aufgenommen. In der ersten Bundestagsdebatte über den Gesetzentwurf Ende Januar hatten Redner der Ampelkoalition sich noch ausdrücklich für den Erhalt der Klausel ausgesprochen. "Wir wollen die Chancen für die Linkspartei und für die CSU, hier an der Mehrheitsbildung im Deutschen Bundestag teilzuhaben, nicht verschlechtern", hatte der Redner der Grünen damals gesagt.

Kurz vor Schluss den Kurs geändert

Und im Februar haben drei von der Ampelkoalition nominierte Sachverständige in einer gemeinsamen Stellungnahme erklärt, für die Glaubwürdigkeit des Ampelgesetzentwurfs sei es "unabdingbar", dass die Grundmandatsklausel erhalten bleibe. Nur dadurch könne sichergestellt werden, dass die Ampel "allein das staatspolitische Ziel der Verkleinerung des Deutschen Bundestages" verfolge und "nicht auch ihre eigenen politischen Interessen".

Doch dann änderten die Ampelfraktionen auf einmal ihren Kurs und strichen die Grundmandatsklausel. Jetzt kann es theoretisch passieren, dass die CSU alle 46 bayerischen Wahlkreise gewinnt und trotzdem mit keinem einzigen Abgeordneten in den Bundestag einziehen darf. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und CDU-Chef Friedrich Merz kündigten bereits am Freitag an, die Wahlrechtsreform per Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen zu wollen. Und der CSU-Vorstand beschloss am Samstag, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen.

In der Ampelkoalition wird dagegen darauf verwiesen, dass die CSU in der großen Koalition jahrelang eine wirksame Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags blockiert habe und die Ampel nur deshalb jetzt eine Reform beschließen musste.

Konstantin Kuhle, der das neue Wahlrecht für die FDP verhandelte, sagte in der Bundestagsdebatte: "Die CSU hat Norbert Lammert die Wahlrechtsreform versaut, die CSU hat Wolfgang Schäuble die Wahlrechtsreform versaut, aber die CSU wird nicht die Wahlrechtsreform der Ampel versauen. Das lassen wir nicht zu." Die CSU müsse jetzt "damit klarkommen, dass es auf der Welt und in diesem Land auch mal einen einzigen Tag gibt, an dem es nicht um die CSU geht, sondern um dieses Land - und heute ist dieser Tag". Durch die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition sinkt die Zahl der Bundestagsabgeordneten von derzeit 736 auf 630.

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