Zwei Wochen ist es her, da hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen auf Druck der Opposition die geplante Gesetzesänderung zurückgezogen, mit der man Ärzte und anderes medizinisches Personal im Notfall zwangsverpflichten wollte. Als der Landtag darüber abstimmte, war aus der Arbeitspflicht ein Freiwilligenregister geworden. Bayern dagegen hält unbeirrt an einer Ende März erlassenen Regelung fest, die solche Verpflichtungen zur Bewältigung eines "Gesundheitsnotstands" zulässt; in Würzburg beispielsweise hat die dortige Führungsgruppe Katastrophenschutz von dieser Möglichkeit sogar schon Gebrauch gemacht. Nun aber mehren sich die Zweifel daran, ob der bayerische Mediziner-Paragraf überhaupt verfassungsgemäß ist. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitspflicht gegen das Grundgesetz verstößt.
Ein Arbeitszwang für Mediziner? Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sagt: Das geht nicht
Es ist bereits das zweite Gutachten der Bundestagsjuristen zu diesem Thema. In einer ersten Stellungnahme hatten sie die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder angezweifelt. Und zwar deshalb, weil der Bund mit seinem Infektionsschutzgesetz die Materie möglicherweise bereits erschöpfend und abschließend geregelt hat; nach den Regeln zur sogenannten "konkurrierenden Gesetzgebung" entsteht damit eine Sperrwirkung - der Bund hat den Vortritt. Zwar hat der Bund gerade keine Dienstpflicht eingeführt. Aber auch ein bewusster Verzicht des Bundes kann Sonderwege der Länder unzulässig machen und ihnen die Sache aus der Hand nehmen.
Dennoch hatte sich der Wissenschaftliche Dienst nicht abschließend festgelegt. In seinem zweiten Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist das anders. Die Juristen haben sich nun inhaltlich mit der Materie beschäftigt und kommen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Dienstpflicht gegen Artikel 12 Absatz 2 verstößt. Dort heißt es: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen Dienstleistungspflicht."
Dass das bayerische Gesetz einen Arbeitszwang vorsieht, daran herrscht dem Gutachten zufolge kein Zweifel. Die für das medizinische Personal vorgesehene "Zuweisung an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung" lässt sich kaum anders verstehen als Pflicht und Zwang. Etwas ausführlicher prüfen die Juristen, ob womöglich einer der im Grundgesetz genannten Ausnahmefälle vorliegen könnte, unter denen doch ein Arbeitszwang erlaubt ist. Aber auch daraus lässt sich aus ihrer Sicht kein Honig für den bayerischen Notstandsparagrafen saugen. Weder sei die Sonderpflicht für Ärzte ein, wie es im Grundgesetz heißt, "herkömmlicher" Dienst - damit sei eher so etwas wie Feuerwehr oder Deichschutz gemeint. Noch gehe es um eine "allgemeine" Dienstpflicht - weil die Dienstpflicht im bayerischen Infektionsschutzgesetz eben nicht jeden treffen kann, sondern nur medizinisch ausgebildetes Personal.
Kurzum: Eine Zwangsverpflichtung von Ärzten und Pflegern verstößt gegen das Grundgesetz, sagt der Wissenschaftliche Dienst. Ähnlich hatte dies jüngst - bezogen auf NRW - auch der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier gesehen. Eine Arbeitspflicht für Ärzte und Pfleger sei "fragwürdig", sagte er der Süddeutschen Zeitung.
Kritik kommt derweil aus der Opposition im Bundestag. Ulla Jelpke (Linke) nannte es "erschreckend, dass es tatsächlich Politiker gibt, die gesetzlichen Arbeitszwang für legitim halten und dafür demokratische Grundrechte über den Haufen werfen". Sie habe wenig Vertrauen darin, dass Bayern das Gesetz wieder aufheben werde. "Dabei bin ich mir ganz sicher: Die Pandemie kann eingedämmt werden, ohne die Demokratie preiszugeben. Wer das eine gegen das andere ausspielt, untergräbt unsere Grundwerte."