Diese Ausgabe der Süddeutschen Zeitung ist nicht nur eine Sonderedition zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes. Sie ist in ihrer Papierform ein Symbol. Das Grundgesetz ist das Erbgut der Demokratie und der deutschen Gesellschaft. In der Titelseite dieser Papierzeitung steckt dieses Erbgut im wahrsten Sinne des Wortes. In der Tinte dieser Seite ist das Grundgesetz gespeichert. Das geht mit einem neuen Verfahren, das genauso funktioniert wie biologisches Erbgut. Science Fiction? Ja. Aber die synthetische DNA ist auch das Speichermedium der Zukunft.
Herkömmliche Geräte wie Festplatten oder USB-Sticks sind nach 40 Jahren kaputt. Nun haben Wissenschaftler herausgefunden, dass man Daten auch auf Molekülsträngen speichern kann, die der DNA des zum Beispiel menschlichen Körpers entsprechen. Man kennt die aus dem Biologieunterricht. Das ist die Doppel-Helix mit den vier Buchstaben A,C,G und T in immer neuen Kombinationen. Die Natur kann das lesen.
Der Informatiker Reinhard Heckel von der TU München und der Chemiker Robert Grass von der ETH Zürich haben jetzt einen Weg gefunden, Computerdaten auf DNA zu speichern, die allerdings nicht von Menschen oder Tieren stammt, sondern im Labor künstlich hergestellt wird. In Zukunft sollen Daten so über Hunderte, wenn nicht Millionen Jahre erhalten werden.
Vor genau fünf Wochen erschien in dieser Zeitung ein Buch 2 über solche neuen Technologien des Biocomputing. Dazu besuchten wir Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Deutschland, der Schweiz und den USA. Die erzählten, dass KI herkömmliche Maschinen gerade an die Grenzen der Naturgesetze bringt. Chips könnten nicht mehr viel kleiner werden, Datenspeicher nicht mehr größer, die neuronalen Netze der KI verbrauchten zu viel Strom. Dafür suchen sie nach Lösungen in der Natur.
Diese synthetische DNA, auf die Heckel und Grass für die Süddeutsche Zeitung eine Million Kopien des Grundgesetzes speicherten, ist mit bloßem Auge kaum erkennbar. Sie erinnert ein wenig an den feinen Sand in einer Sanduhr. Dieses Pulver wurde an den vier Druckstandorten der SZ in die Tinte für die Titelseite gemischt. Biologisch und chemisch ist das unbedenklich. Synthetische DNA hat keine biologische oder chemische Funktion. Sie dient auch jetzt schon als unsichtbare Markierung, in Europa für Textilien, in den USA für Lebensmittel. Das soll Markenfälschung verhindern. Menschen tragen sie also am Körper oder essen sie.
Politik und Kulinarik:Blutwurst und Helgoland-Hummer
Essen ist politisch, das wusste schon Konrad Adenauer - bis heute inszenieren sich deutsche Politiker wie Markus Söder und Olaf Scholz oft als Freunde einfacher Hausmannskost. Doch es gibt Ausnahmen. Eine Typologie.
Auslesen können Sie als Lesende die DNA auf dieser Seite noch nicht. Für Reinhard Heckel und Robert Grass ist diese Aktion auch ein Experiment. Sie werden Ausgaben dieser Zeitung in ihrem Labor auseinandernehmen und versuchen, das Grundgesetz wieder zu rekonstruieren. Das ist bisher noch viel Aufwand. Die SZ hat für diese Seite auch mit Initiator Daniel Koller und dem Künstler Solimán López zusammengearbeitet, die diese Tinte für eine mehrmonatige Kampagne für die Demokratie verwenden werden.
Die SZ will mit dem Grundgesetz in der DNA-Tinte dieser Titelseite ein Zeichen setzen. Für die Demokratie. Für die Bürgerrechte. Für die Zukunft. Wir freuen uns, wenn Sie sie als Erinnerung daran behalten, dass nicht nur das Grundgesetz, sondern auch die freie Presse eine der Säulen unserer Gesellschaft ist.