Grünes Spitzenduo Trittin und Göring-Eckardt:Baff. Bumm. Sensation.

Claudia Roth ist düpiert, Renate Künast nach ihrer Niederlage bei der Berlin-Wahl abermals gescheitert. Und die überraschende Gewinnerin Katrin Göring-Eckardt muss nun die Grünen zusammen mit Trittin anführen. Das neue Spitzenduo

Christoph Hickmann, Berlin

Grüne-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl

Mann und Frau, West und Ost, alt und jung: Grünes Spitzenduo Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt

(Foto: dpa)

Wenn Überraschungen verkündet werden, zumal so richtig dicke, dann dauert es meist nicht lang, bis sich die ersten zu Wort melden: Hab ich's doch gewusst, heißt es dann - oder, in der Soft-Variante: Ich hatte da so eine Ahnung. Eine ganz leise, aber immerhin, irgendwie eine Ahnung.

Im Berliner Stadtteil Wedding war am Samstagmorgen nichts dergleichen zu vernehmen. Dort, in einer kleinen Halle der Ufer-Studios, waren alle, die sonst eigentlich immer alles wissen (also vor allem Journalisten), einfach mal: baff. Und waren auch so ehrlich, das zuzugeben.

Steffi Lemke, Bundesgeschäftsführerin der Grünen, hatte soeben verkündet, welche beiden Personen die Urwahl der Grünen-Spitzenkandidaten gewonnen haben und die Partei nun in den Wahlkampf führen werden: Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt. Bumm. Sensation.

Trittin hatten die allermeisten, Beobachter wie Parteistrategen, als gesetzt gesehen - doch als Frau an seiner Seite hatten sie entweder Parteichefin Claudia Roth oder seine Co-Fraktionsvorsitzende Renate Künast erwartet. Aber Göring-Eckardt, die frühere Fraktionschefin, die mit ihren 46 Jahren zwar für die Politik noch vergleichsweise jung ist, in den vergangenen Jahren als Vizepräsidentin des Bundestags aber bereits keine entscheidende politische Rolle mehr gespielt hatte? Nein, man hatte ihr ein achtbares Ergebnis zugetraut und damit eine gute Ausgangsbasis für die Zeit nach der Bundestagswahl. Aber nicht den Sieg.

Das scheinbar perfekt austarierte Duo

Nun aber ist es so. Claudia Roth, die unter den vier ernst zu nehmenden Kandidaten nur den vierten Platz belegte, ist düpiert. Renate Künast hat nach ihrer Niederlage bei der Berlin-Wahl im vergangenen Jahr die zweite Schlappe hinnehmen müssen. Und die Grünen ziehen mit einem scheinbar perfekt austarierten Duo in die Wahl: Mann und Frau, älter und jünger, West und Ost, linker Flügel und Realo-Lager. Wie gesagt, scheinbar. Denn tatsächlich ist alles etwas komplizierter.

Schwenk nach links

Trittin hat sich in den vergangenen Jahren bewegt, von links in die Mitte. In der grünen Diktion ist er ein "Regierungslinker", also einer, der stets im Blick behält, was machbar ist. Doch tatsächlich hat er versucht, sich einen geradezu bürgerlich-seriösen Anstrich zu geben - und das auch inhaltlich unterfüttert: Weil er seinen Fokus auf die Finanzpolitik legte, kann er beim derzeit wichtigsten politischen Thema, der großen Krise, jederzeit auf hohem Niveau mitreden.

Katrin Göring-Eckardt hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten ebenfalls bewegt, von rechts (sie würde sagen: von der Mitte) nach links. Jene Sozialreformen der rot-grünen Regierungszeit, die sie einst für nachgerade alternativlos hielt, findet sie nun nicht mehr ganz so prima. Bei einer der Urwahl-Veranstaltungen ließ sie sich gar zu der Äußerung hinreißen, das sei damals ja alles doch eher Wolfgang Clement geschuldet gewesen, dem damaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister von der SPD. Die Grünen-Basis hat das offenbar honoriert - doch im Wahlkampf kann dieser Schwenk, vollzogen innerhalb kurzer Zeit, noch zum Problem werden.

Von dieser Position wird Katrin Göring-Eckardt nämlich nicht mehr herunterkommen, die Basis würde ihr das schlicht nicht durchgehen lassen. In den Wahlkampf ziehen für die Grünen nun also in Wahrheit zwei Linke: Einer, der von links kommt und dort noch immer verwurzelt ist, inzwischen aber strikter auf Haushaltsdisziplin achtet als viele selbsternannte Pragmatiker - und eine einstige Reformerin, die wegen ihres Engagements in der Evangelischen Kirche zwar bürgerlich daherkommt, inzwischen aber mitunter eher nach Herz-Jesu-Sozialistin klingt.

Das ist nicht nur Partei-Arithmetik, sondern bedeutsam für die nächsten Monate, das nächste Jahr: Die Grünen und insbesondere ihr Spitzenduo werden noch einmal sehr genau klären müssen, wer von ihnen nun welche Rolle übernehmen soll - dafür haben sie, mal positiv gewendet, schließlich die Doppelspitze (die es ja erst einmal vor allem deshalb gibt, weil sie sich nicht auf einen Kandidaten einigen konnten): Um verschiedene Wählergruppen zu erreichen. Göring-Eckardt aber nimmt von der rot-grünen Agenda-Politik inzwischen teilweise weiter Abstand als mancher strukturkonservative Sozialdemokrat.

Welches Risiko sie damit eingegangen ist, kann sie bei der SPD besichtigen. Die hat noch immer kein echtes Verhältnis zu ihrer einstigen Politik gefunden, hat sich mal ein bisschen distanziert, dann wieder versucht, ein bisschen stolz darauf zu sein und klingt bis heute verdruckst, wenn von der Agenda die Rede ist. Das Ergebnis ist eine Partei, die nicht mit sich im Reinen ist.

Schwarz-grüne Töne

Und dann ist da noch die Diskussion um Schwarz-Grün: Eigentlich ist sie offiziell bereits beendet, keiner der Kandidaten-Kandidaten hatte sich darauf eingelassen, ein Bündnis mit der Union auch nur als Option zu sehen. Die beiden aber, die es am deutlichsten, am lautesten ausgeschlossen hatten, waren Claudia Roth und Renate Künast gewesen - jene Frauen, die nun aus dem Rennen sind. Gibt es also neue Hoffnung für den Teil der Partei, der von einer solchen Koalition träumt - oder sie wenigstens als Möglichkeit erhalten will? Göring-Eckardt war für diese Gruppe eine Art Hoffnungsträgerin gewesen. Aber auch hier ist, wie bei den Grünen üblich, alles etwas komplizierter.

Denn mit ihrer inhaltlichen Festlegung hat sich Katrin Göring-Eckardt indirekt auch in der Koalitionsfrage festgelegt: Würde sie jetzt auch nur andeutungsweise schwarz-grüne Töne anschlagen, stieße sie damit all jene vor den Kopf, die sie gewählt und damit ihren Linksschwenk honoriert haben. Wenn es also überhaupt jemanden gibt, der diese Option im Fall des Falls anbahnen könnte, dann ist das der Linke im Duo: Trittin.

Bis es so weit kommt, ist aber ohnehin noch eine Menge Zeit. Jetzt ist erst mal die nächste Frage, wie es eigentlich mit Claudia Roth weitergeht. Kann sie mit diesem desolaten Ergebnis Parteichefin bleiben? Am kommenden Wochenende ist Parteitag. Auch der dürfte jetzt etwas komplizierter werden als gedacht.

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