Süddeutsche Zeitung

Grünen-Politiker Cem Özdemir:Rückkehr ins Rampenlicht

Lesezeit: 2 min

Comeback nach sieben Jahren: Der Europapolitiker Cem Özdemir bewirbt sich auf Drängen des Realo-Flügels um die Nachfolge von Grünen-Chef Bütikofer. Nun könnte es zu einer Kampfkandidatur gegen den Berliner Volker Ratzmann kommen.

Nico Fried, Berlin

Der Europa-Parlamentarier Cem Özdemir wird sich um den Parteivorsitz der Grünen bewerben. Das kündigte der 42-Jährige am Montag gegenüber Spiegel Online an. "Wenn die Partei das möchte, dann stehe ich zur Verfügung", sagte Özdemir, der damit für die Nachfolge von Reinhard Bütikofer kandidiert, der auf dem Parteitag im November nicht mehr antritt.

Ob es zu einer Kampfkandidatur kommt, ist noch unklar. Der Berliner Landespolitiker Volker Ratzmann hielt sich seine Entscheidung zunächst offen. Für den zweiten Posten in der traditionellen Doppelspitze bei den Grünen strebt die amtierende Parteichefin Claudia Roth eine Wiederwahl an.

Ratzmann nannte Özdemir einen "in vielen Schlachten erprobten und erfahrenen Politiker und sehr respektablen Kandidaten". Er selbst werde nun noch weitere Gespräche führen und dann entscheiden, ob er ebenfalls antreten werde.

Für ihn persönlich ändere sich durch eine Kandidatur Özdemirs nichts, sein Interesse am Parteivorsitz bleibe bestehen, sagte Ratzmann der Süddeutschen Zeitung. Am Wochenende hatte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, eine Kandidatur Ratzmanns ausdrücklich unterstützt. Auch Künast kommt aus dem Berliner Landesverband.

Özdemir versucht damit sieben Jahre nach seinem Rückzug 2002 ein Comeback in der Bundespolitik. Nachdem er 1994 erstmals in den Bundestag eingezogen war, hatte sich der Sohn türkischer Eltern zunächst als Einwanderungsexperte einen Namen gemacht. Zudem warb er frühzeitig für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, um den Demokratisierungsprozess zu unterstützen. Später wurde er innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.

Im Juli 2002 gab Özdemir sein Abgeordnetenmandat zurück, nachdem bekannt geworden war, dass er 1999 von dem PR-Berater Moritz Hunzinger einen Kredit in Höhe von 80.000 Mark angenommen hatte, um Steuerschulden zu begleichen. Özdemir gehörte zudem zu jenen Politikern, die dienstlich erflogene Bonusmeilen der Lufthansa für private Zwecke genutzt hatten.

Ein Sinneswandel

Özdemir verbrachte nach seinem Rückzug zunächst einige Monate als Stipendiat in den USA. 2003 stellten ihn die Grünen auf Platz sechs der Liste für die Europawahl auf, was ihm ein Jahr später den Einzug in das Europäische Parlament sicherte.

Noch vor wenigen Wochen hatte Özdemir wie mehrere andere Politiker vom Realo-Flügel der Grünen erklärt, für das Amt des Parteivorsitzenden nicht zur Verfügung zu stehen. Der Sinneswandel kam offenbar zustande, weil die sich abzeichnende Kandidatur Ratzmanns in Teilen des Realo-Flügels auf geringe Begeisterung stieß. Mehrere, vor allem jüngere Realos führten daraufhin Gespräche über einen Gegenkandidaten.

In dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und dem hessischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Tarek al-Wazir beteiligten sich daran neben anderen auch zwei Grünen-Politiker, die sich selbst nicht für den Parteivorsitz in die Pflicht nehmen lassen wollten. Neben Özdemir war bis zuletzt auch die frühere Fraktionschefin und heutige Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt im Gespräch. Sie soll nun nach dem Willen der Realos einem Spitzenteam für die Bundestagswahl angehören.

Ein guter Redner, sehr überzeugt von seinen Fähigkeiten

Der Ausgang eines möglichen Duells Özdemir gegen Ratzmann ist schwer vorhersagbar. Ratzmann, der früher dem linken Flügel zugerechnet wurde, gilt inzwischen als Pragmatiker, der zuletzt auch Offenheit für schwarz-grüne Koalitionsoptionen gezeigt hatte.

Er könnte aufgrund seiner Vergangenheit für den linken Flügel der Partei leichter wählbar sein als Özdemir, der in seinen jungen Jahren als Vertrauter von Joschka Fischer und strammer Realo auftrat. Ratzmann selbst sähe seine Kandidatur als den Versuch, das Flügeldenken in der Partei ein Stück weit zu überwinden. Größtes Problem für den Berliner Grünen-Politiker ist allerdings, dass er bislang bundespolitisch nicht in Erscheinung getreten und wenig bekannt ist.

Özdemir ist seit Jahren bekannt aus Funk und Fernsehen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass ihn die Affäre von 2002 heute noch belastet. Schon auf dem Parteitag 2003 erhielt er für seine Kandidatur zum EU-Parlament große Zustimmung. Özdemir gilt als guter Redner, dem allerdings bisweilen anzumerken ist, wie sehr er von den eigenen Fähigkeiten überzeugt ist. Nachteilig könnte sich für ihn auswirken, dass sein Fachgebiet Einwanderungspolitik und sein Türkei-Engagement nahe beim Profil der Co-Vorsitzenden Claudia Roth liegen.

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Quelle:
SZ vom 3.6.2008/ihe
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