Grünen-Politiker Andreas Braun: "Feiglinge", "Angsthasen" und "politische Eintagsfliegen"

Andreas Braun

Da nahm er noch den Applaus der Grünen entgegen: Andreas Braun bei einem Landesparteitag vor zwölf Jahren.

(Foto: Rolf Haid/dpa)
  • Der frühere Vorsitzende der baden-württembergischen Grünen, Andreas Braun, sitzt im Rahmen von Ermittlungen zum Stuttgarter "Klinikskandal" in Untersuchungshaft.
  • Braun leitete bis 2016 eine Abteilung des Städtischen Klinikums, die mit der Anwerbung reicher Patienten aus dem Ausland beauftragt war - gegen 21 Personen wird wegen des Verdachts auf Bestechung, Betrug und Untreue ermittelt.
  • Während sich Andreas Braun von seiner Partei im Stich gelassen fühlt, fordert die Opposition im Landtag Aufklärung.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Der handgeschriebene Brief ist drei Seiten lang und klingt sehr verbittert. Andreas Braun, 54, nennt seine Parteikollegen "Feiglinge", "Angsthasen" und "politische Eintagsfliegen". Nach 35 Jahren als Mitglied erklärt er seinen "sofortigen Austritt" aus der Partei. Das sei für ihn zwar "bitter", aber auch "notwendig".

Braun war einmal Vorsitzender der baden-württembergischen Grünen, das ist das eine, was diesen Austritt bemerkenswert macht. Das andere: der Ort, von dem aus er ihn abschickte - die Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Dort sitzt er in Untersuchungshaft. Der Brief ist das neueste Schriftstück im Stuttgarter "Klinikskandal", dessen Ausläufer auch den engsten Kreis um den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann erreicht haben. Es geht um Bestechung und Schmiergeld; die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen 21 Personen wegen des Verdachts auf Bestechung, Betrug und Untreue.

Im Zentrum der Affäre steht das Städtische Klinikum. Dieses gründete 2008 eine "International Unit" (IU), um sein chronisches Defizit zu verringern - und zwar mittels reicher Patienten aus Russland oder dem Nahen Osten. Das gelang zunächst auch. Doch das neue Profit Center wurde zu einer Art Problem Center. Im April ließen die Staatsanwälte 24 Wohnungen und Geschäftsräume in Baden-Württemberg und vier weiteren Bundesländern durchsuchen.

Braun fühlt sich von seiner Partei im Stich gelassen

Am schlimmsten erwischte es Andreas Braun, er war von 1999 bis 2006 Grünen-Landeschef und von 2008 bis 2016 der Leiter der IU. Anfang 2017 wurde er fristlos gekündigt, seit Mai sitzt er wegen Verdunklungs- und Fluchtgefahr in Stammheim. Nach vier Monaten dort fühlt er sich von seiner Partei im Stich gelassen und zum "Sündenbock" gemacht. Er bezeichnet es als "schäbig", dass es von den Grünen "niemandem möglich war, sich wenigstens anstandshalber zu melden". Dies sei umso unverständlicher, da er jahrelang für seine Partei gearbeitet habe "wie ein Pferd" und die Situation für ihn und seine Familie "existenziell bedrohend" sei.

Die "International Unit" des Klinikums machte anfangs üppige Gewinne. Ihr Konzept war, reiche Patienten aus dem Ausland mit Medizin made in Germany anzulocken. Auf die Idee kamen auch viele andere Kliniken in Deutschland, nach Schätzungen kommen pro Jahr etwa 250 000 Ausländer in die Bundesrepublik, um sich behandeln zu lassen. Der Umsatz mit ihnen beträgt mehr als eine Milliarde Euro. Es gibt sogar Länder am Persischen Golf, die ihre Bürger auf Staatskosten in deutsche Vertragskliniken schicken. Die Rechnungen fallen oft höher aus als für deutsche Privatpatienten. Es heißt, mitunter würden eine oder zwei Nullen drangehängt. Begründet wird der Aufschlag mit zusätzlichem Aufwand fürs Dolmetschen und besonders gründliches Arbeiten.

Die IU in Stuttgart warb zunächst 1200 ausländische Patienten pro Jahr an. Der Umsatz von 20 Millionen Euro war sogar höher als ursprünglich kalkuliert; nicht zuletzt, weil er angekurbelt wurde von Agenturen, die für jede Vermittlung Provision kassierten. Doch darf man das? Warum denn nicht, fragten die Klinik-Manager. Schließlich entlaste all das den Etat des Krankenhauses und helfe somit auch den Finanzen der Stadt. Aber nicht so!, erwidert gewissermaßen die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Sie äußert den Verdacht, neun Dienstleister hätten Leistungen abgerechnet, die sie gar nicht erbracht hätten, und sich dadurch unzulässige Provisionen verschafft. Im Gegenzug sollen fünf dieser Beschuldigten an mindestens einen ehemaligen Klinik-Mitarbeiter Geld gezahlt und zinslose Darlehen gewährt haben. Weitere neun Beschuldigte stehen im Verdacht, als Mitarbeiter des Klinikums die fingierten Rechnungen freigezeichnet zu haben. Heute ist die IU geschlossen. Und die Frage, ob ihr Gebaren illegal war, ist noch offen. Andreas Braun beklagt sich, dass ehemalige grüne Bürgermeister, die fürs Krankenhaus zuständig waren, "in trauter Eintracht" mit Bürgermeistern anderer Parteien "das politisch gewollte Bild des Sündenbocks" bedienen.

Und dann noch ein schöner Gruß an Kretschmanns wichtigsten Mann

Einer dieser Bürgermeister war Klaus-Peter Murawski, der als Amtschef des Staatsministeriums (also der Staatskanzlei) seit 2011 zu den engsten Vertrauten von Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehörte. In baden-württembergischen Medien und bei der Opposition im Landtag wird regelmäßig spekuliert, auch Murawski könnte etwas mit dem Skandal zu tun haben. Schließlich war er vor 2011 als Stuttgarts Erster Bürgermeister für Krankenhäuser zuständig. Vor einer geplanten Debatte zum Klinikskandal im Landtag wurde Murawski im Juni krank. Seitdem kehrte er nicht mehr in den Dienst zurück. Im Juli beantragte er die Versetzung in den Ruhestand, auf "dringenden Rat" der Ärzte, wie das Staatsministerium betont. Zum 31. August ist Murawski aus dem Amt ausgeschieden. Die Staatsanwaltschaft erklärt auf Anfrage zweierlei. Erstens: Murawski gehört nicht zum Kreis der Verdächtigen. Zweitens: Die Ermittlungen laufen noch.

In der Tat flossen viele verdächtige Zahlungen erst, nachdem der Kretschmann-Vertraute nicht mehr Krankenhausbürgermeister war. Der Ministerpräsident nahm Murawski bislang auch stets öffentlich in Schutz. Er bezeichnet ihn als "gewichtigen Rat- und Ideengeber", Vertrauensperson, Problemlöser und exzellenten Verwaltungschef, dessen Abgang er "außerordentlich" bedaure.

Die Landespartei äußert sich nur sehr kurz über Brauns Austritt: Er habe "über viele Jahre hinweg mit großem persönlichen Einsatz" für die Grünen gearbeitet, "für dieses Engagement sind wir ihm dankbar." Zum Klinikskandal: kein Wort.

Umso offensiver greift die Landtags-Opposition den Partei-Austritt auf: "Vielleicht packt er nun aus, und es kommt Licht in das Dunkel des Skandals", sagt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Sein SPD-Kollege Andreas Stoch spricht vom "grünen Filz". Die Partei und das Staatsministerium hätten sich den "unangenehmen Fragen endlich zu stellen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: