Grünen-Parteitag:Zoff um einen Lichtgott

Die Grünen bleiben sich treu und streiten über apollonische Nichtigkeiten. Die verblüffend einfache Lösung stärkt Trittin und ermöglicht Bütikofer einen reibungslosen Abgang.

Thorsten Denkler, Erfurt

Mitten im stehenden Applaus für seine letzte Rede als Parteichef geht Reinhard Bütikofer noch mal nach vorn zum Rednerpult. Seine grüne Co-Chefin Claudia Roth hatte ihn zuvor geknuddelt und geherzt, ihm über die Schulter gestrichen.

Grünen-Parteitag: Vertreter der Grünen Jugend überreichen der Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und dem Fraktionsmitglied Jürgen Trittin symbolisch einen Nagel. Mit dieser Aktion versucht die Gruppe ihrer Forderung gegen neue Kohlekraftwerke Ausdruck zu verleihen.

Vertreter der Grünen Jugend überreichen der Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und dem Fraktionsmitglied Jürgen Trittin symbolisch einen Nagel. Mit dieser Aktion versucht die Gruppe ihrer Forderung gegen neue Kohlekraftwerke Ausdruck zu verleihen.

(Foto: Foto: dpa)

Und Bütikofer steht reglos da wie der britische Ex-Handyverkäufer Paul Potts nach seinem ersten Auftritt in der britischen Version von "Deutschland sucht das Supertalent", irgendwie erschrocken über den vielen Beifall. Dann geht Bütikofer nach vorne, tritt ans Pult - und trinkt ein Glas Wasser. Sein letzter Satz bei diesem Auftritt: "Ich danke euch sehr, aber ich glaube, wir müssen jetzt weitermachen."

Bei Bütikofer ist das kein Understatement. Er hat es einfach nicht so mit den Emotionen. An seinen Platz zurückgekehrt, putzt er seine Brille. Erst als der Applaus nicht aufhören will, lächelt er kurz. Vielleicht auch um Roth einen Gefallen zu tun, die gar nicht von ihm lassen kann. Die grüne Lebefrau und der ernste Knuddelbär - das Führungsduo hätte nicht ungleicher sein können. Mit diesem Parteitag wird es Geschichte sein.

Sechs Jahre war Bütikofer Parteichef. Keiner zum Liebhaben. Aber dafür gibt es ja Claudia Roth. Bütikofer ist eher einer fürs Strategische.

Am Abend hat er noch eine letzte strategische Schlacht zu kämpfen. Es geht um die Frage, wann Deutschland seinen Energiehunger zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu stillen hat. 2020, 2030 oder irgendwann, nur möglichst bald.

Die Debatte erinnert an den legendären Beschluss, der Benzinpreis müsse auf 5 Mark pro Liter steigen - gefasst kurz vor der Bundestagswahl 1998. Der Beschluss hat die Grünen damals in ein schweres Meinungstief gestürzt.

Damals wurde auch Bütikofer als Bundesgeschäftsführer für den Beschluss mitverantwortlich gemacht. Jetzt will er sich keine Blöße geben. Also tritt er an diesem Abend ein zweites Mal in die Bütt. Es gebe keinen Streit darüber, "ob wir ehrgeizig sein sollen, ob wir Visionen brauchen", sagt er. Es seien sich alle einig, dass "wir alles in Bewegung setzen wollen", um das 100-Prozent-Ziel zu erreichen.

Aber: Bütikofer macht keinen Hehl daraus, dass er es für irreal hält, bis 2030 oder gar früher das 100-Prozent-Ziel erreichen zu können. Das sei "die falsche Basis", sagt er. Die Grünen sollten ihre Ziele nicht so formulieren, "dass sie uns am Ende um die Ohren geschlagen werden".

Klingt vernünftig. Aber die Grünen wären nicht die Grünen, wenn eine Frage des Zeitpunkts nicht für Hochspannung sorgen könnte.

Hans-Josef Fell ist so etwas wie der Ökoenergie-Papst der Grünen. Der Sprecher für Energie und Technologie der Bundestagsfraktion lebt vor, was er von seinen Grünen verlangt. Er fährt ein Elektroauto, das mit Ökostrom betrieben wird, wohnt in einem Niedrigenergiehaus. Er will die Zahl, will 2030 durchsetzen als Parteitagsbeschluss. Da wo andere keinen Konflikt sehen wollen, sieht er ein Chance für die Grünen.

"Wir brauchen neue Antworten, neue Ziele, einen wirklich radikalen Realimus", ruft er. Und die Delegierten jubeln. Zwölf Prozent bis 2012, das sei mal das Ziel gewesen. "Wir wurden als Unrealisten beschimpft." Heute, im Jahr 2008, liege der Anteil der Erneuerbaren bei 15 Prozent. Fell schlussfolgert: "Wir Grünen sind die wahren Realisten." Wenn das Ausbautempo so weitergehe, sei es leicht, das 100 Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen.

Pate für das Modell steht der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore, der heute als Wanderprediger in Sachen Klimawandel um die Welt reist. Der habe für die USA die Vision entwickelt, innerhalb von zehn Jahren den Kohlendioxid-Ausstoß des Landes auf Null zu setzen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie absurd die Debatte noch wurde und wie sich doch noch eine Lösung fand.

Zoff um einen Lichtgott

Überhaupt scheint Fell die USA als neues Vorbild endeckt zu haben. Sein Konzept nennt er "Apollo-Energie-Politik", angelehnt nicht nur an den römischen Gott des Lichts, sondern vor allem an das Mondflugprogramm der USA. Und weil das damals die Menschheit begeistert hat, soll heute seine "Apollo-Energie-Politik" wenigstens noch die Deutschen bewegen.

Wem das zu groß klingt, für den hat Renate Künast noch eine Steigerung parat: "Wir wollen nicht einen Mann zu Mond schicken. Wir wollen die Sonne auf die Erde holen", sagt sie. Allerdings: Weil das ja nun doch eine ziemlich große Aufgabe sei, sei sie nun gerade nicht dafür, sich auf einen genauen Zeitpunkt festzulegen.

Je länger die Debatte dauert, desto absurder wird sie. Alle unterstützen das Ziel der 100 Prozent. Aber die Grünen streiten leidenschaftlich, wann die Grünen das zu erreichen haben. Es gab schon mal tiefere Debatten auf Grünen-Parteitagen.

Knapp bevor sich die Grünen blamieren können, kommt als letzter Redner Jürgen Trittin zu Wort. Er nimmt Fells Apollo-Vision auf Al-Gore-Basis auseinander. Er habe sich mal durchgeklickt im Internet und sei auf die Szenarien gestoßen, die Gores Zehn-Jahres-Vision zugrunde liegen. Ergebnis: Das gehe nur mit einem 17-Prozent-Anteil nuklearer Energie. Umgerechnet 100 Atomkraftwerke in den USA.

Trittin: "Dieses Apollo-Programm, das ist keine Vision, das ist ein Albtraum." Der Applaus zeigt: Jürgen Trittin hat mit seinem drei Minuten-Beitrag soeben die Stimmung gedreht. Eine große Mehrheit folgt ihm Minuten später.

Die Fellschen Jahreszahlen stehen dennoch im neuen Beschluss. Nur "weichgespült", wie eine Delegierte süffisant bemerkt. Der Kompromiss: Spätestens 2050 müssten 100 Prozent erneuerbare Energien erreicht werden. Bis 2030 aber soll "angestrebt" werden, allen Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, bis 2040 alle Energien.

Es lag also an einem Wort. Eine dreistündige, zeitweise hitzige Debatte, mit einem Wort beendet: "Angestrebt". Da kann jetzt auch Noch-Parteichef Reinhard Bütikofer unbesorgt seinen Platz im Europaparlament anstreben. Trittin sei Dank.

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