Süddeutsche Zeitung

Grünen-Parteitag in Nürnberg:Vertagte Utopien

In der Debatte um die künftige soziale Ausrichtung der Grünen scheint sich doch der Antrag des Vorstandes durchzusetzen. Prominente Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens machten einen Rückzieher, wollen sich diese "Utopie" aber für die Zukunft offen halten.

Oliver Das Gupta, Nürnberg

Der Vorsitzende hebt beschwörend beide Hände: "Bitte entscheidet in der Sache", appelliert Reinhard Bütikofer an die gefürchtete grüne Basis zu Beginn der Generaldebatte über die künftige soziale Ausrichtung der Partei. Und die Delegierten legen die Zeitungen beiseite und klatschen. Die gefürchtete Basis, sie gibt sich bislang zahm.

Nürnberg soll nicht Göttingen werden. Dort hatte das Fußvolk gezeigt, wie unberechenbar es ist und den Afghanistan-Antrag des Vorstandes gekippt. Noch eine weitere Klatsche würde das Führungsduo Bütikofer/Roth wohl nicht überstehen: Es wird erwartet, dass die Vorsitzenden im Fall einer Niederlage den Rückzug vom Amt antreten - was die Grünen-Elite freilich abstreitet.

So Fraktionschefin Renate Künast. Sie will keine Zerreißprobe erkennen können angesichts der beiden unterschiedlichen Sozialkonzepte. "Das ist von außen herbeigeredet", sagte sie. Sie selbst sehe den Streit weitaus weniger dramatisch. Auch Parteichef Bütikofer sagte während seiner Rede, der von den Medien beschriebene "Druck auf den BuVo" sei "angeblich".

Den Delegierten sei es unangenehm, was da alles "reingeheimnist" wird, sagt auch Ex-Umweltminister Jürgen Trittin zu sueddeutsche.de. Es gehe um eine Sachfrage. "Punktaus. Und nichts weiter, wie etwa Zukunftsfähigkeit, Regierungsfähigkeit oder eine Führungsfrage."

Und so zeichnet sich ein Erfolg für die Parteiführung ab: Beide Lager, das pro Grundeinkommen und jenes, das für das Vorstands-Modell einer Grundsicherung eintritt, hätten sich einander angenähert, sagte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke am Morgen vor Journalisten. "In vielen Punkten gibt es Verständigung", man werde viele Änderungsanträge "übernehmen oder modifiziert übernehmen."

Außerdem ist es den Grünen-Granden gelungen, die beiden prominentesten Fürsprecher eines Grundeinkommens zu bändigen: Der Bremer Senator Reinhard Loske will das Grundeinkommen erst später.

Und der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer macht die vollendete Rolle rückwärts: Er ist nun gegen den Vorschlag, den er mir seinem Landesverband Baden-Württemberg miteingebracht hatte. Vor dem Parteitag begründete er in einer kurzen Rede seine Wende nach dem Motto: Heute das Finanzierbare beschließen, die Utopien für morgen aber offenhalten.

"Da hat er wohl Angst vor seiner eigenen Courage bekommen", sagte ein Grüner, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Auch Hans-Christian Ströbele, der ebenfalls das Grundeinkommen unterstützt, rechnet damit, dass der Vorstand diesmal ungeschoren davonkommt. "Ich gehe davon aus, dass ihr Antrag durchkommt", sagt er im Gespräch mit sueddeutsche.de. Der Vizefraktionschef kann keine Lust am Aufbegehren wittern: "Die Atmosphäre ist ganz anders als in Göttingen."

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