Es gibt diese Momente im Leben. Momente, in denen die Lage wirklich nicht gut ist und jeder sich fragen muss, ob er resigniert aufgibt oder endlich anfängt. Nicht selten zeigt sich dann, wie viel jemand drauf hat. Nun ist Anton Hofreiter nicht dafür bekannt, schnell klein bei zu geben. Aber das, was er auf dem Parteitag der Grünen hinlegt, ist mit Sturm noch harmlos beschrieben. Der Fraktionschef säuselt sich nicht durch seine Rede, indem er die gefährlichen Klimaveränderungen kritisiert, Donald Trumps Verweigerungspolitik beklagt und Angela Merkels Bilanz beim Thema schlecht findet. Hofreiter hält eine Wutrede, wie sie selbst er noch nicht gehalten hat.
Ja, er rockt diesen Parteitag wie niemand vor ihm, weil er den Delegierten im Velodrom in einer knappen Viertelstunde einhämmert, warum es richtig ist, für die Grünen zu kämpfen. Diese nehmen es dankbar an; sie sind hergekommen, um genau einen solchen Kampfeswillen in Richtung Bundestagswahl zu spüren.
Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert
Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.
Dabei beginnt der Parteilinke am Rendnerpult leise. Er erzählt von seiner Reise in die Arktis, von den "unglaublichen Wassermassen", die da inzwischen ohne Unterbrechung ins Meer fließen, weil Jahrtausende alte Gletscher "viel schneller schmelzen, als selbst ich mir das vorstellen konnte". Der Hobbymaler Hofreiter zeichnet mit sanften Strichen ein dramatisches Bild. Er berichtet von den Besuchen in "Klimabohrcamps", in denen die Veränderungen konkret werden. "Man sieht, wie sich dort ganz krass und ganz massiv das Klima ändert." Seine Berichte sind das passende Vorspiel für den Zornesausbruch.
Hofreiter macht deutlich, dass es nicht um den Planeten gehe, der gerettet werden müsse. Der habe schon viele Attacken überstanden. Nein, es gehe "um uns und unsere Lebensgrundlagen". Um nix Spinnertes also, sondern um das Kind in Bangladesch, um die Bauernfamilie in Mali, um Europa, das seinen Frieden kaum werde retten können, wenn der Klimawandel nicht gestoppt wird. "Es ist die zentrale Existenzfrage, um die wir hier ringen." Hofreiters Botschaft: Es soll keiner mehr behaupten, hier gehe es um Nebensächlichkeiten.
Ab da ist er in Fahrt und überrollt alle, die das immer noch nicht verstanden haben oder verstehen wollen. Donald Trump, der "unverantwortlichst" das Klimaabkommen gekündigt habe; den Berliner Kreis der CDU, der "offenbar absolut gar nichts kapiert" habe. Angela Merkel, die eine miserable Öko-Bilanz vorlege. Mit Blick auf den G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg verlangt Hofreiter, Trump endlich die Meinung zu geigen, nicht verschämt, sondern unmissverständlich. Merkel müsse ihn auf der offenen Bühne eines Gipfeltreffens "deutlich spüren" lassen, dass es so nicht mehr weiter gehe. Sie dürfe ihm nicht länger nachrennen, nicht weiter um ein Freihandelsabkommen betteln. Sie müsse hart sein.
In diesem Moment stehen alle Grünen im Saal - es wird nicht das letzte Mal sein.
Es folgt eine Frontalattacke gegen die Bundesregierung. CO2-Bilanz? Eine "Katastrophe", weil sich zwischen 2009 und 2016 beim Ausstoß rein gar nichts geändert habe. Welches Land verbrennt am meisten Braunkohle? Indien? China? Ein anderer Sünder? Nein, es ist Deutschland. Deshalb solle niemand mehr kommen und behaupten, auch die anderen Parteien neben den Grünen seien "irgendwie öko". Wo kämen die größten Dieselbetrüger her? Komme VW aus Frankreich? Oder aus den Vereinigten Staaten? Nein, das Unternehmen komme aus Deutschland, ewig behütet von einem "verantwortungslosen Verkehrsminister". Und dessen Kollege aus dem Landwirtschaftsministerium? Dessen Hauptziel sei der Kampf gegen Tofu-Würstchen. "Wenn das öko ist, wird mir Angst und Bange."
Hofreiter spricht nur gut 17 Minuten. Aber nach diesen 17 Minuten wissen alle, warum sie hier sind. Es sind schwere Zeiten für die Grünen, die Umfragen für die Bundestagswahl bereiten Sorgen. Nun hat der Fraktionsvorsitzende Hofreiter für eine Art Selbstvergewisserung gesorgt, nach der sich im Berliner Velodrom alle gesehnt haben. Dazu gehört sein Hinweis, dass alle Veränderungen, für die die Grünen im Wahlkampf kämpfen wollten, nur dann eine Chance hätten, wenn sich die Partei auch um die Leidtragenden möglicher Beschlüsse kümmerten. "Wer sie durchsetzen will, muss sie sozial verträglich durchsetzen."
Hofreiters Schlusswort ist denn auch keine offene Provokation, aber unmissverständlich. "Wir wollen regieren. Wir wollen aber nicht wegen der verdammten Dienstwagen regieren; wir wollen regieren, um zu verändern. Weil die Welt es braucht, verändert zu werden." Es folgen: drei Minuten Applaus, alle stehen. Dieses Gefühl, das nun alle erleben, wollten die Grünen unbedingt mit nach Hause nehmen.