Grünen-Parteitag:Im langen Schatten von Claudia Roth

Abschied nach neun Jahren - Claudia Roth zieht sich nach neun Jahren von der Spitze der Grünen zurück.

Abschied nach neun Jahren - Claudia Roth zieht sich von der Spitze der Grünen zurück.

(Foto: dpa)

Was für ein Abschied: Die Grünen verneigen sich vor Claudia Roth. Frühere Gegner zollen per Videobotschaft Respekt. Applaus, minutenlang. Die Parteichefin nutzt die Gunst - und diktiert Cem Özdemir und Simone Peter die grüne Agenda.

Von Michael König, Berlin

Sie singt, sie lacht, sie klatscht gegen die Tränen an. Claudia Roth mag jetzt nicht weinen. Sie will stark sein im Moment des Abschieds. Es fällt ihr schwer. Den Film hält sie gerade noch durch. Dann holt sie das Taschentuch aus der Tasche.

Die Grünen verneigen sich auf ihrem Parteitag in Berlin vor der Vorsitzenden, die nach neun Jahren den Posten räumt. Das Ergebnis von mageren 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl hat den ganzen Vorstand zum Rückzug bewogen, auch die Fraktionsspitze wurde neu besetzt. Auf dem Parteitag folgt deshalb Abschied auf Abschied. Doch nichts ist vergleichbar mit dem, was den Delegierten am Samstagnachmittag geboten wird.

Eine gefühlte Stunde dauert die Roth-Show. Die anschließende Wahl der Roth-Nachfolgerin Simone Peter wird beinahe zur Randnotiz. Sie erhält knapp 76 Prozent der Stimmen. Cem Özdemir, der männliche Part der Doppelspitze, wird mit nur 71,4 Prozent im Amt bestätigt.

Zunächst jedoch: Licht aus, alle Blicke auf die Leinwand. Ein Abschiedsfilm, ach was, eine Hommage. Roth mit Rock-Legende Alice Cooper. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Rotwein. Mit SPD-Chef Sigmar Gabriel beim Tanz. Joschka Fischer, ehemals grüner Außenminister, sagt in die Kamera: "Ihre Umarmungen werden der Partei fehlen." Jürgen Trittin, bis vor zwei Wochen grüner Fraktionschef: "Ohne Roth wird sich die Partei neu erfinden müssen." Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg: "Man kann sich die Partei nicht wirklich ohne sie vorstellen."

Theo Zwanziger, ehemals Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, zollt per Telefon Respekt: "Bleib gesund, liebe Claudi". Selbst Günter Beckstein, CSU-Politiker, ehemaliger Ministerpräsident von Bayern und Duz-Freund von Roth, sendet beste Wünsche. "Sie war ein Eisbrecher für konservative Männer", wird Roths Laudatorin Theresa Schopper, Landesvorsitzende in Bayern, später sagen.

Und dann die Anekdoten: Wie Claudia Roth einmal versehentlich für das Porno-Heft Blitz Illu einen Gastbeitrag schrieb - und nicht für die seriösere Super Illu. Wie sie in der Kölner Altstadt einmal 45 Minuten für 200 Meter brauchte, weil so viele Passanten Schnaps mit ihr trinken wollten. Wie sie eine mehrstündige Bewerbungsrede vorbereitet hatte, als sie 2001 zum ersten Mal für den Bundesvorstand kandidierte. "Das Papier im Faxgerät wurde knapp", erzählt ihr alter Weggefährte Frithjof Schmidt, der Roths Rede damals lesen sollte. Jetzt hält er die erste Laudatio auf Roth.

Bundesparteitag Grüne

Die neue Grünen-Spitze: Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt, Parteichefs Simone Peter und Cem Özdemir (von links nach rechts).

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Ein Film, zwei Dankesreden. Dann darf sie selber ans Mikrofon, die Augen mittlerweile feucht. Und legt los. Keine mehrstündige Rede, aber doch mehr als 30 Minuten. Und die haben es in sich.

Roth verabschiedet sich nicht, sie motiviert. Macht so ihren Nachfolgern das Leben schwer. "Traurig waren wir jetzt über das Wahlergebnis. Jetzt ist auch wieder gut!" Und: "Wir müssen unsere Politik wieder mit mehr Leben füllen, mit mehr Emotion!" Und: "Wir haben gezeigt, dass Politik nicht mausgrau sein muss und von Männern gemacht." Ein bisschen Dadaismus gehört auch dazu: "Ding, ding, dang, dong, da ist Attacke angebracht", sagt sie zur Großspende der BMW-Eigner, einen Tag nachdem die Union schärfere Grenzwerte für Autoabgase verhindert hat.

Roth diktiert die Agenda, die Grünen jubeln ihr zu. Für Cem Özdemir ist das offenkundig schwer zu ertragen. Er sitzt hinter ihr auf seinem Stuhl und bedient sein Smartphone. Er spart an Applaus, er stützt den Kopf auf. Zu Beginn seiner Rede wird er später sagen: "Wo bist du, liebe Claudia? Ach da! Das war im Bundesvorstand auch schon so, da warst du auch immer überall."

Özdemir bleibt als einziger Spitzengrüner

Özdemir verspricht, den Flügelstreit zwischen Realos und Linken zu überwinden. Das hat er 2008, bei seinem Amtsantritt, auch schon getan. Dabei stünde er ohne die Unterstützung seines Realo-Flügels kaum da oben. Jetzt will er im Namen der ganzen Partei der "großen Koalition ordentlich Feuer unterm Hintern machen".

Özdemir ist nach der Wahlpleite der einzige Spitzen-Grüne, der seinen Job behalten will. Vor der Wahl hatte er der Union die Wähler abspenstig machen wollen, das fanden nicht alle Grünen gut. Das eher linke Wahlprogramm trug er halbherzig mit. Nach der Wahl machte er sich für einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs stark, er versuchte Kerstin Andreae als neue Fraktionschefin durchzusetzen - vergeblich.

Andreae und Özdemir kommen aus dem Landesverband Baden-Württemberg, den viele Grüne als besserwisserisch empfinden. Landesvater Kretschmann gibt gerne den Oberlehrer, er kokettiert damit. Aber er muss auf dem Parteitag auch keine Wahl gewinnen. Özdemir schon.

Er muss vor der Wahl fünf Rückfragen beantworten, mehr als alle anderen Kandidaten. Am Ende bekommt er 71,41 Prozent. Mit Nein stimmen 19 Prozent, zwei Prozent entfallen auf den Gegenkandidaten Thomas Austermann. Es ist Özdemirs schlechtestes Ergebnis bislang.

"Eine Menge Rock 'n' Roll"

Simone Peter geht es kaum besser. "Liebe Claudia, du hast uns eine Menge Rock 'n' Roll geboten. Vielen Dank." Ihre eigene Rede dagegen wirkt hölzern, der Druck ist ihr anzumerken. Trotzdem bekommt sie am Ende 75,91 Prozent. Roth hatte bei ihrer letzten Vorstandswahl 88,49 Prozent erhalten.

Die ehemalige Vorsitzende fällt ihrer Nachfolgerin um den Hals. Peter hat den wichtigsten Teil ihrer Karriere jetzt vor sich. Sie muss die Partei nach der Wahlschlappe neu aufstellen, sie für neue Koalitionen öffnen. Die eigene Steuerpolitik überdenken und aus den Fehlern des Wahlkampfes lernen. So hat es der Parteitag beschlossen.

Roth kann ihre Karriere ausklingen lassen. Sie wird wohl Bundestagsvizepräsidentin werden. Ein renommiertes Amt mit üppiger Ausstattung, aber ohne Einfluss auf die Tagespolitik. Roth ist raus, es sei denn, sie überlegt es sich noch einmal anders. Der letzte Teil ihrer Rede ist ein Zitat der Toten Hosen: "Auf Wiedersehen, die Zeit mit euch war wunderschön. Es ist wohl besser, jetzt zu gehen, ich will keine Tränen seh'n. Schönen Gruß und auf Wiedersehen."

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