Süddeutsche Zeitung

Grünen-Parteitag:Ab in die Mitte

Wenn sie eines Tages wieder regieren wollen, müssen sich die Grünen neuen Konstellationen öffnen. Auf dem Parteitag in Rostock muss die Debatte darüber beginnen.

Daniel Brössler

Fast 30 Jahre nach ihrem Entstehen sind die Grünen immer noch etwas Besonderes. Das wird sich auch an diesem Samstag wieder zeigen, wenn sie in Rostock zu einem Parteitag zusammenkommen, den sich die Konkurrenz in dieser Weise wohl ersparen würde. Angesetzt worden war die Delegiertenkonferenz schon vor langer Zeit in der vagen Hoffnung, es könnte just an diesem Wochenende einen Koalitionsvertrag abzusegnen geben. Das ist nun auch so, nur haben die Grünen nichts damit zu tun.

Ein Parteitag also wäre entbehrlich, zumal es keinen Scherbenhaufen zusammenzukehren gilt wie bei der SPD. Im Gegenteil: Die Grünen haben mit 10,7 Prozent das beste Bundestagsergebnis ihrer Geschichte erzielt. Andere würde das vermutlich zur Selbstzufriedenheit, ja zum Selbstbetrug verleiten. Bei den Grünen hat sich indes bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Schwäche der SPD ihnen enttäuschend wenig genützt hat.

Im Ergebnis müssen sie sich nun erneut als kleinste Oppositionspartei im Bundestag behaupten. In der Partei gärt ein Konflikt, wie es nun weitergehen soll. Eine mitunter selbstquälerische Lust an der kontroversen Debatte zeichnet die Grünen aus. Sie muss jetzt ausgelebt werden. Dann erhält der ursprünglich einmal ganz anders gedachte Parteitag einen Sinn.

Am Anfang sollte dabei, vier Jahre nach dem Ende von Rot-Grün, eine Standortbestimmung stehen. Für die Ökopartei ist die Oppositionsarbeit in der vergangenen Legislaturperiode immer auch Trauerarbeit gewesen. Den erneuten Weg zur Macht konnten sich die Grünen nur als eine Heimkehr vorstellen - zusammen mit der SPD zurück zu einer linken Gestaltungsmehrheit. Als dies immer unwahrscheinlicher wurde, standen die Grünen vor einem Dilemma. Sie konnten entweder ihre Wunschträume aufgeben oder den Machtanspruch.

Die Grünen haben sich für Letzteres entschieden und hatten vermutlich keine andere Wahl. Die verunglückte und letztlich sinnlose Diskussion über eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP hat gezeigt, dass Partei und wohl auch Anhängerschaft nicht so weit waren, den Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin auf diesem Weg zu folgen. Zur Befriedung der Basis musste auch eine Jamaika-Koalition mit Union und FDP ausgeschlossen und letztlich ein Wahlkampf ohne realistische Regierungsperspektive geführt werden.

Mangel an Vorstellungskraft

Es liegt nun nicht allein, aber auch in der Hand der Grünen, ob sich die Geschichte in vier Jahren wiederholt. In der Partei wird schon länger darüber gestritten, ob sie sich noch als Teil des linken Lagers begreifen sollte. Dahinter steckt immer auch der alte Machtkampf der Lager innerhalb der Bündnisgrünen. Der Jamaika-Ausschluss und das faktische "Nein" zu Rot-Rot-Grün war ein für den Konflikt zwischen Realos und Linken typischer Kompromiss.

Nun aber wird es Zeit für eine Richtungsentscheidung: Soll die Partei nach links gehen und auf Rot-Rot-Grün hoffen? Darauf also, dass die SPD aus der Krise findet und die Linkspartei aus der Fundamentalopposition? Beides ist nicht unmöglich, beides zusammen aber ziemlich unwahrscheinlich. Zudem müssten sich die Grünen dann schon fragen, wie viele festgefügt linke Parteien das Land braucht.

Die Grünen könnten andererseits entscheiden, sich in Richtung Mitte zu wenden. Das versperrt den Weg zu den Roten nicht, öffnet aber im Bund die Tür zu Bündnissen mit Schwarz und auch Schwarz-Gelb, die es auf Länderebene ohnehin schon gibt. Eines Tages werden die Erben Joschka Fischers zu entscheiden haben, wo sie mehr gegen Atomkraft, für Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaften erreichen - in wackerer linker Opposition oder in einer neuartigen Koalition.

Anders als oft behauptet, scheitern neue Konstellationen meist nicht an den Inhalten, sondern daran, dass man sie sich nicht vorstellen kann.

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SZ vom 24.10.2009
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