Grüne in Baden-Württemberg:Kraftprobe mit Özdemir

Flügelkampf bei den Südwest-Grünen: Der Parteilinke Gerhard Schick kämpft mit Cem Özdemir um einen Listenplatz - und weil der Bundeschef ist, wird dieser Showdown in Böblingen das Erscheinungsbild der Bundesgrünen mitprägen. Realos warnen: Er könnte die Partei beschädigen.

Roman Deininger, Stuttgart, und Christoph Hickmann, Berlin

Cem Özdemir, Die Grünen

Doch noch ein Gegenkandidat: Grünen-Bundesvorsitzender Cem Özdemir sah sich bereits sicher auf Platz zwei der Landesliste. Nun wird der Realo plötzlich herausgefordert - und alles ist wieder offen.

(Foto: dapd)

Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick beherrscht durchaus den Austausch des gepflegten Arguments, doch in diesen Tagen ist er als Kämpfer in eigener Sache unterwegs, da sind die Botschaften ein bisschen simpler. "Die Regel, dass man gegen einen Vorsitzenden nicht antritt, hat es bei den Grünen nie gegeben", sagt der Mannheimer Bundestagsabgeordnete, "die kann man jetzt nicht plötzlich erfinden." Und fügt auf Nachfrage hinzu: "Ich habe vor, für Platz zwei der Landesliste zu kandidieren."

Der Bundesvorsitzende, den er damit vor dem Landesparteitag der Südwest-Grünen am ersten Adventswochenende in Böblingen herausfordert, heißt Cem Özdemir und kommt wie Schick aus Baden-Württemberg. Damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch. Schick, 40, gehört zum linken Parteiflügel, Özdemir, 46, ist Realo - und sitzt im Gegensatz zu seinem Kontrahenten derzeit nicht im Bundestag.

Als es vor vier Jahren in Schwäbisch Gmünd um die aussichtsreichen Plätze auf der Landesliste ging, ließen die Delegierten den damals designierten Parteichef durchfallen, obwohl der gleich zweimal Anlauf nahm, bei den Abstimmungen über Platz sechs und Platz acht. Özdemir verließ den Parteitag gedemütigt und mit Tränen in den Augen. Nun, nach vier Jahren an der Parteispitze, hat er wieder einen Gegenkandidaten. Es geht um Listenplatz zwei, weil Platz eins bei den Grünen für eine Frau reserviert ist. Und auch um den streiten die Parteilager: Die Linke Sylvia Kotting-Uhl greift Kerstin Andreae an, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion.

Gerade erst hat die Republik den Stuttgarter Wahlsieg Fritz Kuhns und somit die vermeintliche Übernahme des bürgerlichen Lagers durch die Grünen bestaunt, da steuert ausgerechnet der Vorzeige-Landesverband auf ein Schauspiel zu, wie es in sogenannten bürgerlichen Parteien verpönt ist.

Und weil Özdemir nun einmal Bundeschef ist, werden die Auswirkungen nicht auf die Südwest-Grünen um Ministerpräsident Winfried Kretschmann beschränkt bleiben, sondern das Erscheinungsbild der Partei auf Bundesebene mitprägen. Das ist gerade ohnehin kein besonders hübsches, schließlich beschäftigt sich die Partei seit Wochen vor allem mit der Auswahl ihrer Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf. Und nun noch, so sieht es derzeit aus, ein Showdown in Böblingen: Es dominiert der Personalstreit - und das in einer Partei, die so viel Wert darauf legt, dass es ihr zuallererst um "die Inhalte" gehe.

Gerhard Schick will darin allerdings keinen Widerspruch sehen, er sagt: "Ich stehe dafür, dass sich die Grünen entschlossen mit den Machtstrukturen in unserer Wirtschaft auseinandersetzen, etwa den Großbanken, und für eine sozial gerechte Wirtschaftsweise eintreten." Auf die Frage, warum er das unbedingt auf Listenplatz zwei tun muss, antwortet der Finanzexperte so: "Es geht darum, den Wahlkampf in Baden-Württemberg zu prägen, mit meinen Themen, meinem Politikstil."

Im Südwesten finden allerdings einige Parteifreunde, dass er das genauso gut vom ebenfalls sicheren Listenplatz vier aus könnte. Der Anspruch der Linken auf die vordersten Plätze ist nach dieser Lesart reine Kraftmeierei: Gerade weil die Oberrealos Kretschmann und Kuhn zu den öffentlichen Gesichtern der Grünen avanciert sind, wolle die Linke ein Lebenszeichen setzen. Kaum einer zweifelt daran, dass sie dazu auch in der Lage ist: Die Linken sind nicht so sichtbar wie die Realos, innerhalb der Partei aber bestens vernetzt.

Der Bundesvorsitzende hat spannende Wochen vor sich

Ein solcher Flügelkampf, warnen die Realos, könne die ganze Partei beschädigen. Auf seiner Facebook-Seite wandte sich kürzlich der Tübinger Oberbürgermeister und Realo Boris Palmer direkt an Schick und Kotting-Uhl: "Lasst diesen Kampf ausfallen. Ihr könnt nicht gewinnen, denn wenn ihr es tut, verlieren wir dabei als Partei." Der ehemalige Grünen-Bundeschef Reinhard Bütikofer empfahl Schick per Tweet, wenn er denn schon gegen Özdemir antreten wolle, dann solle er das doch bereits Mitte November in Hannover tun - bei der Neuwahl des Bundesvorsitzenden.

Schick hat seinen Kredit bei Realos wie Bütikofer schon vor der Landtagswahl 2011 verspielt, als er federführend versuchte, Kretschmann als alleinigen Spitzenkandidaten zu verhindern. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als würde Kretschmann genervt hinschmeißen, so wie schon zweimal vorher in seiner Karriere - das grüne Wunder bei der Wahl wäre wohl ausgefallen. Doch Kretschmann blieb, die Linke gab sich damit zufrieden, ihm ein Vierer-Spitzenteam zur Seite zu stellen, das im Wahlkampf dann völlig unterging.

Schick und die Linken, sagen nun Realos, hätten "aus den Erfolgen bei der Landtags- und OB-Wahl offenbar nichts gelernt". Die Linken tragen Özdemir im Gegenzug immer noch seine Flugmeilen-Affäre nach und werfen ihm vor, eine Absprachelösung durch die frühe öffentliche Ankündigung seiner Kandidatur verhindert zu haben. Im Raum stand offenbar, die Plätze eins und zwei für Andreae und ihn sowie die Plätze drei bis sechs für Linke zu reservieren. Doch ein solcher Deal kam nicht zustande.

Nun hat sogar Kretschmann im Flügelkampf interveniert und Schick angerufen. Bei den Grünen erzählt man sich, dass der Ministerpräsident in dem eher einseitigen Gespräch sein Missfallen über Schicks Vorgehen deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Ganz glücklich mit der Situation soll auch Chris Kühn nicht sein, der Landesvorsitzende - immerhin ein Linker.

Auch deshalb gibt es in seinem Lager wieder ein wenig Bewegung, einige sollen sogar einen Rückzug Schicks in die Debatte geworfen haben. Stilles Einvernehmen gibt es zwischen den Flügeln immerhin darüber, dass, wer immer am Ende die Duelle um die Plätze eins und zwei verliert, weich fallen soll: auf die Plätze drei und vier. Die Linken wollen Özdemir diesmal nur ein halbes Desaster zumuten. Das sei doch ein Entgegenkommen, sagen sie. Mitnichten, sagen die Realos: Die Linken hätte einfach keine weiteren Kandidaten, die gegen Özdemir gewinnen könnten. So oder so - der Bundesvorsitzende hat mal wieder spannende Wochen vor sich. Aber damit hat er ja mittlerweile Erfahrung.

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