Süddeutsche Zeitung

Grüne zu Jamaika: "Keine Angst davor, in harte Verhandlungen zu gehen"

  • Bei ihrem Länderrat in Berlin debattieren die Grünen über die Konsequenzen aus der Bundestagswahl und votieren für Sondierungen über Jamaika.
  • Parteichef Cem Özdemir versucht die Sorgen über mögliche geheime Absprachen zu Jamaika auszuräumen, Winfried Kretschmann ruft zu Optimismus auf.
  • Prognosen über den Ausgang von Gesprächen traut sich aber niemand zu.

Von Stefan Braun, Berlin

Sie reden leidenschaftlich, sie geben sich nachdenklich, manche haben Angst vor den Gesprächen mit Union und Liberalen. Und noch mehr haben die Sorge, dass es für die Grünen schlicht und einfach schiefgehen könnte. Trotzdem stimmte am Samstag auf dem grünen Länderrat in Berlin bei nur drei Enthaltungen die große Mehrheit dafür, Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und FDP aufzunehmen. Eine Vorentscheidung für eine Koalition ist das noch lange nicht. Die große Schlacht wird erst vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen geschlagen. "Ich habe keine Angst davor, in harte Verhandlungen zu gehen", sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt.

Wie heikel die Lage bei den Grünen in diesen Tagen ist, zeigt Parteichef Cem Özdemir gleich zu Beginn des Treffens. Und das mit einem Versprechen: Nein, es werde neben den offiziellen Sondierungen "keine Gespräche" und auch sonst keine Nebenabsprachen geben. Ja, die beiden Spitzenkandidaten würden die Gespräche führen - aber alle im Sondierungsteam würden am Ende mitentscheiden. Niemand müsse misstrauisch sein, keiner müsse Sorgen haben, dass irgendjemand geheime Zusagen machen werde. Auch wenn die Grünen sehr froh sind über ihre 8,9 Prozent bei den Wahlen - alle ahnen, wie schwer die nächsten Wochen für sie werden.

Hintergrund war ein Zeitungsbericht, in dem vor wenigen Tagen vermeintliche Absprachen mit der FDP vermeintlich aufgedeckt wurden. Die Grünen-Spitze dementierte sofort, ebenso die FDP-Führung. Trotzdem ist klar, dass solche Gerüchte vor allem bei den Grünen viele nervös machen. Kein Wunder, dass Özdemir diese Sorge so früh wie möglich ausräumen möchte.

Wie fragil vieles gerade ist, wird auch beim Auftritt von Robert Habeck deutlich. Der Schleswig-Holsteiner, der hartnäckig als neuer Parteichef gehandelt wird, beginnt seine Rede mit einer Überraschung. Er lobt das Ergebnis nicht, obwohl wahrscheinlich auch er am Wahlabend froh war über die 8,9 Prozent. Er erinnert daran, dass das Ergebnis 2013 kaum schlechter war als diesmal. Trotzdem habe man die damalige Führung sofort abgestraft. "Politik ist ein scheiß hartes Geschäft", sagt Habeck. "Und mir tut leid, dass wir mit euch damals so hart umgegangen sind."

Habeck sagt das sicher aus Mitgefühl. Er weiß aber auch, dass er die damals Bestraften noch brauchen wird; die ganze Partei ist auf sie angewiesen. Deshalb wendet er sich direkt an Jürgen Trittin und Claudia Roth. Beide sind ins Vierzehner-Team für die Sondierungsgespräche berufen worden. Und beide, daran lässt Habeck keinen Zweifel, werde man beim Ja oder Nein zur einer Koalition sehr brauchen. Habecks Botschaft: "Wir sind froh, dass Jürgen und Claudia, Kretsch und Reinhart (Bütikofer) mit dabei sind."

Darüber hinaus spricht der Kieler Umweltminister über Klima, über Flüchtlinge, vor allem aber auch über die Frage, die ihn besonders beschäftigt: Eine Regierung mit den Grünen dürfe nicht dazu führen, dass es den Menschen nachher noch schlechter gehe als heute. Seine Botschaft: Die Grünen müssen sich um das Soziale ganz besonders kümmern. "Wir müssen den Menschen auch Halt geben. Grüne Erfolge dürfen nicht die AfD noch größer machen."

Was danach folgt ist eine ziemlich offene Debatte, in der Sorgen laut werden, aber sehr wenige Stimmen, die schon die Aufnahme von Sondierungen ablehnen. Der Kölner Marc Kersten warnt davor, ängstlich in die kommenden Wochen zu gehen. "Angst schränkt das Urteilsvermögen ein, Angst macht schwach; Angst führt an dunkle Orte, statt in eine grüne Zukunft." Er will vor allem eines erreichen: Dass nicht vor lauter Angst gar nichts getan wird.

Ähnlich klingt auch die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger, die zum linken Lager gehört. Sie erzählt, dass sie vor allem im Wahlkampf oft erklärt habe, ihr fehle die Fantasie für ein Jamaika-Bündnis. Trotzdem habe sich für sie mit dem Wahltag etwas geändert. Jetzt reiche es nicht mehr, von der fehlenden Fantasie zu reden. "Jetzt geht es darum, die Fantasie ganz besonders anzustrengen."

"Demokratie ist nur vor der Wahl ein Wunschkonzert"

Der bayrische Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek argumentiert in dieselbe Richtung. Er sagt, die Grünen müssten endlich ernsthaft um eine Regierungsbeteiligung kämpfen. Die Grünen könnten nicht drei Wahlkämpfe führen, in denen sie dreimal sagen, dass Ende nahe, weil man nicht mitregiere. Und dann, nach der Wahl, wieder nach Gründen suchen, um draußen zu bleiben. "Wir haben jetzt eine ganz besondere Verantwortung."

Andere, wie der linke Grüne Thomas Dyhr aus Brandenburg, halten dagegen. Mit einer CDU, bei der mancher die Atomkraft wieder einführen wolle, mit einer CSU, die nach rechts rücke, mit einer FDP, die gegen Europa argumentiere - da fehle ihm wirklich die Vorstellungskraft. "Ich kann dafür nicht meine Hand heben", sagt er am Ende. Bemerkenswert allerdings: Kein einziger Delegierter applaudiert ihm.

Anders ist das bei Winfried Kretschmann. Baden-Württembergs Ministerpräsident räumt ein, dass Jamaika-Gespräche sehr schwer werde. Aber er fügt kein "Dann-lassen-wir-das" hinzu. Sondern ruft in den Saal: "Demokratie ist nur vor der Wahl ein Wunschkonzert. Wir müssen das jetzt annehmen, was die Wähler da jetzt so zusammengewählt haben." Wem die Fantasie dafür fehle, dem empfehle er Michael Endes "Unendliche Geschichte". Er im Übrigen gehe in die Oper - und lerne jedes Mal wieder neu, wie dort "aus alten Stoffen großartige neue werden". Sein Plädoyer: Man müsse selbstverständlich hart verhandeln. Gleichzeitig müsste klar sein, dass der Preis für eine Koalition stimmt - und zwar für alle.

Zum Schluss erinnert er an das eigene Wahlplakat. "Zukunft wird aus Mut gemacht", stehe darauf. "Jetzt, wo wir die alle abhängen, schauen sie uns selbst an." Kretschmann, der Optimist, will jetzt unbedingt ansteckend wirken.

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