Grünen-Wahlprogramm:„Wer das sagt, veräppelt das Land“

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„Regierungsprogramm“: So nennen die Grünen ihr Wahlprogramm, das Kanzlerkandidat Robert Habeck am Dienstag in Berlin präsentiert. (Foto: Nadja Wohlleben/Reuters)

Die Grünen wollen über einen „Deutschlandfonds“ Milliarden in Brücken, Bildung, Sicherheit und Wachstum investieren. All das sei im Gegensatz zur Union gegenfinanziert. Aber stimmt das wirklich?

Von Markus Balser und Vivien Timmler, Berlin

Dafür, dass der Claim der Grünen „Ein Mensch, ein Wort“ ist, findet Robert Habeck doch ziemlich viele. Einfach nur das Wahlprogramm seiner Partei vorzustellen, das ist nicht sein Ding. Erst mal geht er auf die Metaebene. Er wolle „nicht nur die Inhalte der Politik diskutieren, sondern auch den Stil“, kündigt er an. Wer eine Regierung anführen wolle, müsse auch in der Lage sein, unterschiedliche Interessen zusammenzubringen. „Gelingt es, nicht nur überzeugt von sich selbst zu sein“, fragt er, „sondern für eine gewisse Zeit die Selbstherrlichkeit zurückzustellen?“

Die Grünen haben am Dienstagmorgen ins sogenannte Auditorium in der Berliner Friedrichstraße geladen. Auditorium kommt von audire, lateinisch für hören oder auch: zuhören. Das wollen die Grünen in den vergangenen Wochen ziemlich oft gemacht haben, „den Menschen wieder mehr zuhören“, war eine der zentralen Lehren aus der krachend verloren gegangenen Europawahl im Juni. Und so reiste Kanzlerkandidat Habeck maximal öffentlichkeitswirksam durchs Land, immer auf der Suche nach dem nächsten Küchentisch, und sammelte Forderungen ein, die zwar keine „klassische grüne Wahlprogrammatik“ seien, aber nun trotzdem im Wahlprogramm stehen. Ein Führerscheinzuschuss für Azubis zum Beispiel, finanzielle Unterstützung für Schulbesuche von KZ-Gedenkstätten oder auch eine Prämie für den Immobilienkauf zur Eigennutzung.

An diesem Dienstag nun sollen vor allem die anderen hören, wie die Grünen den kommenden Wahlkampf angehen wollen. Oder besser gesagt: die kommende Legislaturperiode. Mit einem „Wahlprogramm“ hält sich die Partei nicht auf. Sie legt gleich ein „Regierungsprogramm“ vor. Niemand soll trotz schwacher Umfragewerte von elf bis 14 Prozent auf die Idee kommen, die Partei abzuschreiben.

„Das Biest Inflation bekämpfen“

Viel Zeit bleibt den Parteien in den 67 Tagen bis zur Wahl nicht, ihre Themen zu setzen. Schwerpunkt des Grünen-Wahlkampfs soll das Ziel werden, das Leben „wieder bezahlbar zu machen“. Die Grünen wollten „das Biest Inflation bekämpfen“, kündigt Habeck an. Die Kosten für die Pflege bedrückten viele Menschen. Sie müssten sinken. Und dann ist da noch das große Thema der Strompreise. Nach dem Ausbau der erneuerbaren Energien versprechen die Grünen nun, auch den Preis für Strom zu senken. Eine vierköpfige Familie wollen die Grünen allein durch günstigeren Strom um etwa 400 Euro im Jahr entlasten. Die Netzentgelte, ein wichtiger Posten, sollen künftig aus einem „Deutschlandfonds“ bezahlt werden.

Dieser Fonds soll auch noch andere Wunder vollbringen, etwa die nötigen Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sowie die Sanierung von Schulen oder Kitas voranbringen. Immerhin einen mittleren dreistelligen Milliardenbetrag wollen die Grünen dafür in den kommenden zehn Jahren bereitstellen. „Deutschland muss sich noch einmal neu erfinden“, sagt Habeck. Das Land habe an Wettbewerbsfähigkeit verloren, die Innovationskraft müsse wieder deutlich steigen. Auch die Schuldenbremse wollen die Grünen reformieren, aber nicht „voodoomäßig“, sondern investitionsorientiert. Die großen Herausforderungen der Zukunft seien nicht durch Einsparungen im Haushalt allein zu erwirtschaften, sagt Habeck. „Wer das sagt, veräppelt das Land.“

Auch wollen die Grünen künftig mehr Geld als bisher in Sicherheit und Verteidigung stecken. Deutschland müsse deutlich mehr als die bisherigen zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in seine Wehrhaftigkeit investieren, sagt Außenministerin Annalena Baerbock. „Das bedeutet Friedenssicherung.“

„Alles gegenfinanziert“ – wirklich?

Allerdings bleibt auch bei den Grünen wie zuvor schon bei der Union offen, wie das alles finanziert werden soll. Zwar behauptet Habeck, „im Unterschied zu den politischen Mitbewerbern sind unsere Vorschläge gegenfinanziert“. Welchen Anteil neue Schulden an der Finanzierung des Deutschlandfonds ausmachen sollen, verrät er aber nicht. Nur so viel: Die Staatskassen füllen soll eine neue Milliardärssteuer; etwa sechs Milliarden Euro kann die bringen. Zudem wollen die Grünen Steuerschlupflöcher schließen. Auch „Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer für außerordentlich große Erbschaften“ soll es künftig keine mehr geben. „Aber da geht es nicht um Oma ihr klein Häuschen“, schränkt Grünen-Chef Felix Banaszak ein. Am Ende dürfte der Grünen-Plan nur aufgehen, wenn das Land deutlich höhere Schulden aufnimmt.

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Und damit die Rechnung bei der gesetzlichen Rente aufgeht, wollen die Grünen künftig über einen „Bürgerfonds“ den Kapitalmarkt nutzen. Passend dazu soll es eine „Bürgerversicherung“ geben, in die auch Abgeordnete und perspektivisch Beamte einzahlen sollen. Der Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen und auch für Minderjährige gelten. Darüber hinaus stehen die Grünen weiterhin zum Bürgergeld, wollen aber mehr „Anreize zur Aufnahme von Arbeit“ schaffen.

Das vermeintliche Alleinstellungsmerkmale der Partei, das Thema Klima- und Umweltschutz, haben die Grünen indes von der Pole-Position in den Mittelteil des Wahlprogramms verlagert. „Wir machen eine Klimapolitik, die effektiv und gleichzeitig sozial gerecht ist“, heißt es nun. Neue ökologische Ideen haben die Grünen lieber gar nicht erst reingeschrieben. Ähnliche Debatten wie um das Gebäudeenergiegesetz wollen sie in jedem Fall vermeiden.

Eine weitere Runde im Grünen-Portfolio drehen dürfen hingegen die Forderung nach einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen, das in der Ampel gescheiterte Klimageld und die ebenfalls auf der Strecke gebliebene Kindergrundsicherung. Die potenziellen Koalitionspartner teilen diese Wünsche nicht, erst recht nicht die Union. Die Grünen bremst das an diesem Morgen nicht.

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