Süddeutsche Zeitung

Grüne: Wahlkampagne:Die Antwort auf alles

Die Grünen präsentieren sich grüner als je zuvor - bis hin zum Brötchenbelag. Koalitionsdebatten werden vermieden, grüne Kernthemen neu befeuert: Atommüll und ein CDU-Politiker zieren die Plakate.

Thorsten Denkler, Berlin

Grün das Einstecktuch im Jackett von Jürgen Trittin. Grün der Button am Revers von Renate Künast. Grün die Stoffbahnen, die über den Wahlplakaten hängen. Grün die Leuchtstoffröhren in den Fenstern, grün der Belag auf den Brötchen, grün das Obst, grün die Servietten, grün der Limetten-Minze-Trunk. Alles grün bei den Grünen.

Die Partei stellte an diesem Mittwoch im Berlin-Kreuzberger "Design Village" ihre Wahlkampagne für die Bundestagswahl am 27. September vor, in einem Hinterhofkomplex mit jungen und kreativen Unternehmen.

Der Spruch, neudeutsch Claim, der auf allen Plakaten der Grünen stehen wird: "Aus der Krise hilft nur grün." Damit das auch alle richtig verstehen, sagt Künast später: "Grün ist nicht nur Trend, grün ist die Antwort."

So viel grün hat es bei den Grünen bis vor wenigen Monaten noch nicht gegeben. Da suhlte sich die Partei noch, ausgelöst von den Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin, in einer Debatte um rot-gelb-grüne Regierungsträume. Diese Koalitions-Option ist auch aus heutiger Sicht die einzig realistische Chance, grüne Inhalte umzusetzen.

Die grüne Basis fand das weniger lustig. Den Kompromiss haben sie auf dem Wahlparteitag Anfang Mai verabschiedet: Alles ist möglich, ausgeschlossen ist nur die Option, mit CDU und FDP in eine Regierung zu gehen. Nicht Koalitionen, sondern grüne Inhalte sollen im Mittelpunkt stehen.

Die Grünen mit ihrer Wahlkampfmanagerin Steffi Lemke und der Stamm-Agentur "Zum goldenen Hirschen" haben das jetzt so umgesetzt: Sonnen, Kindergesichter, Atommüllfässer, Bio-Tomaten, Gen-Tomaten und der Verweis auf "Jobs, Jobs, Jobs". Das O in Jobs ist dann jeweils ersetzt durch eine Sonne, einen Bauhelm und ein Windrad. Das ganze in Street-Art-Optik. Die Claims sehen aus wie mit Schablone auf Asphalt gesprüht. So wollen sich die Grünen der Republik präsentieren.

Ein Plakat zeigt auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der - big brother is watching you - mit dem Zeigefinger auf den Betrachter zeigt. Botschaft: "Du bist verdächtig." Steffi Lemke kommentiert: "Der Überwachungsstaat hat ein Gesicht und das ist Wolfgang Schäuble."

Mit Negativ-Campaigning ist im Europawahlkampf schon die SPD gescheitert. Aber deren Finanzhai, der lieber FDP wählt, sah vielleicht einfach zu nett aus. Schäuble schaut street-art-verfremdet doch sehr viel gefährlicher drein.

Das Kernversprechen der Grünen: eine Million neue Jobs. Geschaffen werden sollen sie durch "Investitionen in Klima, Bildung und Gerechtigkeit", sagt Spitzenmann Jürgen Trittin. Zumindest der Zusammenhang von Investitionen und Gerechtigkeit muss aber noch erklärt werden. Gemeint sei etwa ein Mindestlohn um damit letztlich auch die Binnennachfrage anzukurbeln, was wiederum Arbeitsplätze schaffe, bemüht sich Trittin.

Das Wahlziel erläutert Ko-Kandidatin Renate Künast. Dritte Kraft wollen die Grünen werden und Schwarz-Gelb verhindern. Die Frage nach der sich daraus ergebenden Machtoption für die Grünen umschifft sie: "Wir haben hier heute eine Kampfansage gemacht. Lassen Sie uns jetzt mal Stimmen für die Grünen gewinnen. Und am 27. September wird ausgezählt." Soll heißen: Bloß keine abgeschlossenen Debatten wieder aufbrechen lassen.

Damit würden sich die Grünen vermutlich mehr schaden, als sie mit der Kampagne gewinnen können. Zumindest finanziell ist der Spielraum der Grünen begrenzt. Mit einem Etat von vier Millionen Euro haben die Grünen das kleinste Wahlkampfbudget aller Parteien. Dafür wächst die Zahl der Mitglieder. Pro Woche kämen 100 hinzu, berichtet Steffi Lemke. Aber selbst das dürfte nicht reichen, damit sich die Grünen am Wahlabend ihren eigentlichen Traum erfüllen können: die Neuauflage der rot-grünen Koalition.

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