Süddeutsche Zeitung

Grüne wählen Spitzenduo:Grüne wählen Sicherheit

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Nie wieder Veggie-Day, bloß keine Steuerdebatten: Dass die grüne Basis die beiden Realos Göring-Eckardt und Özdemir zu ihren Spitzenkandidaten wählt, ist ein klares Signal an den linken Flügel der Partei.

Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

So knapp. Nur 75 Stimmen trennen Robert Habeck, 47, von der Spitzenkandidatur. Der kam vielen vor wie eine frische Brise von der Waterkant. Der Vize-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, er wollte die Partei aufrollen, sie auf seine Art moderner machen. Die Basis aber will Kontinuität, sie will Sicherheit. Sie will Cem Özdemir, 51.

Wenn die Urwahl der Grünen ein politisches Statement der Basis ist, dann lautet es wie folgt: keine Experimente mehr. Keine unsinnigen Steuerdebatten, keinen Veggie-Day-Irrsinn, keine Unzeit-Debatten über Prostituierte in Pflegeheimen. Dafür erschien ihnen Özdemir eine sichere Bank. Und das, obwohl das Duo jetzt aus zwei Realo-Politikern besteht.

Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt war als einzige Frau im Rennen praktisch gesetzt. Kernforderungen linker Grüner etwa nach einer Vermögensteuer nimmt sie bestenfalls zur Kenntnis. Wahlkampf will sie damit nicht machen. Und Özdemir ist politisch so nah am Gottvater grüner Realpolitik, Winfried Kretschmann, dass der Unterschied nur äußerlich zu beschreiben ist.

Der einzige Parteilinke in der Konkurrenz um die Spitzenkandidatur war der langhaarige Bayer und Fraktionschef im Bundestag, Toni Hofreiter. 8886 Stimmen, 26,19 Prozent. Das ist sein niederschmetterndes Ergebnis. Auf Parteitagen, da sind die Parteilinken eine Macht. Dass auf dem November-Parteitag in Münster die umstrittene Forderung nach einer Vermögensteuer in den Leitantrag aufgenommen wurde, das haben sie durchgesetzt.

Diese Urwahl zeigt: An der Parteibasis hätten solche Forderungen keine Chance. Die Basis unterstützt auch den etwas härteren Kurs der Realos, wenn es um die Flüchtlings- und Asylpolitik geht. Dass Göring-Eckardt etwa die nachträgliche Überprüfung von Asylbewerbern fordert, hat ihr nicht geschadet. Und Özdemir hat es auf Platz eins geschafft, obwohl er in der Sicherheitsdebatte die Grünen vor sich hertreibt.

Schwarz-Grün wird wahrscheinlicher

Zu vermuten ist, dass Göring-Eckardt und Cem Özdemir mit ihren Wahlergebnissen im Rücken nun eher darauf verzichten, klassisch linke Forderungen zu übernehmen, nur um damit eine Minderheit in der Partei zu befriedigen. Parteitagsbeschlüsse hin oder her.

Mit dem Realo-Spitzenduo wird auch die schwarz-grüne Option nach der Bundestagswahl wieder wahrscheinlicher. Der wirtschaftsnahe Özdemir und die kirchentreue Göring-Eckardt werden nach der Bundestagswahl, wenn die Ergebnisse es zulassen, in möglichen Sondierungsgesprächen ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Sie haben gute Drähte in die Unionsfraktion. Wenn Schwarz-Grün im Herbst nicht zustande kommt, dann liegt das wohl eher an der CSU als an den Grünen.

Die Erwartungen sind allerdings hoch an die beiden Realos an der Spitze. Vor allem die Grünen im Ländle, wo sie inzwischen stärkste Kraft sind, haben eine bestechende und für Baden-Württemberg sogar belegte These: Je deutlicher die Grünen ihre Politik am Machbaren ausrichten, je breiter ihr Angebot ist, desto erfolgreicher sind sie. Den Beweis, dass dies nicht nur im Südwesten zutrifft, sondern für das ganze Land gilt, den können Göring-Eckardt und Özdemir jetzt antreten.

Für die Linken in der Partei ist das eine schmerzhafte Niederlage. Scheitern die Grünen aber auch mit Göring-Eckardt und Özdemir an der psychologisch wichtigen Zehn-Prozent-Hürde, dann werden die Linken zumindest klar benennen können, wer dafür Verantwortung trägt.

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