Ricarda Lang und Omid NouripourWohin die neue Grünen-Spitze will

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Omid Nouripour im Berliner Velodrom, wo er zum Parteivorsitzenden der Grünen gewählt worden ist.
Omid Nouripour im Berliner Velodrom, wo er zum Parteivorsitzenden der Grünen gewählt worden ist. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Bei der nächsten Wahl wieder ums Kanzleramt kämpfen, mehr auf das Soziale setzen und ein bisschen Rebellion: Das haben die neuen Parteivorsitzenden den Mitgliedern versprochen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Ziemlich genau zehn Minuten dauert es. Dann kommen in beiden Bewerbungsreden die entscheidenden Sätze. "Mein Name ist Ricarda Lang", sagt Ricarda Lang. "Ich bin 28 Jahre alt. Ich sehe aus, wie ich aussehe." Das reicht eigentlich schon. Eine halbe Stunde später wird dann Omid Nouripour vom Aussehen reden und von den Dingen, die damit zusammenhängen. "Ich trete an, weil diese Sichtbarkeit ermutigt", sagt er.

Samstagnachmittag beim Grünen-Parteitag im Berliner Velodrom, einem Ort gemütlich wie eine Tiefgarage. In einer Halle, in der eigentlich mehr als 800 Delegierte sitzen sollten, haben sich ein paar bekannte Grüne über die vorderen Stuhlreihen verteilt. Alle übrigen verfolgen den Parteitag pandemiebedingt am Bildschirm. Am Freitag wurden hier die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck verabschiedet, am Samstag stellen sich Ricarda Lang und Omid Nouripour als Nachfolger zur Wahl. Und weil das Motto "Wurzeln für die Zukunft" heißt, hat ein Moderatorenteam in Sendepausen über Grünzeug geplaudert und über die Frage, wie die fleischfressende Pflanze vegan ernährt werden kann.

Dann kommt Ricarda Lang, genauer gesagt, sie steht zu Hause vor dem Endgerät. Wegen eines positiven Corona-Tests muss die stellvertretende Parteivorsitzende der Grünen ihre Bewerbungsrede daheim vortragen, im Zimmer ihres Mitbewohners. "Das ist ehrlich gesagt ziemlich frustig", sagt sie.

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Was dann kommt, klingt allerdings weniger nach Kummer als nach einer, die sich um den Kummer anderer kümmern will. Corona, sagt Lang, das sei sehr viel schlimmer für die vielen, die schlechter dastünden als sie selbst. Und schon ist sie bei den "Schattenfamilien", die sich seit zwei Jahren zurückgezogen und isoliert haben, um Angehörige zu schützen. Bei der "Selbständigen, die immer und immer wieder alle Aufträge verliert". Und bei den Pflegekräften, die "lange über jede Belastungsgrenze hinweg gearbeitet haben". Nein, das seien nicht die Lautesten der Gesellschaft, sagt Lang. "Aber es sind die, denen wir am meisten zuhören sollten."

Zügige Professionalisierung

Die angehende Parteivorsitzende der Grünen, das ist eine, die vieles verkörpert, was Grüne sich unter Zukunft vorstellen. Ricarda Lang, 28, ist in der Grünen Jugend politisch sozialisiert, also in einem Netzwerk, in der Unbedingtheit mehr zählt als Kompromisse. Den Alten wird da gern mal mangelnder Kampfgeist vorgehalten. Klimaschutz, Gerechtigkeit, gesellschaftliche Vielfalt - der Parteinachwuchs kommt mit Wumms daher. Bei Lang kommt bisweilen überhöhtes Sprechtempo dazu. Sie weiß das.

Die Sozialpolitikerin, die seit 2019 im grünen Parteivorstand sitzt und jetzt auch im Bundestag, hat sich deshalb eine zügige Professionalisierung verordnet und eine hoch kontrollierte Sprache zugelegt. Ihr Arbeitsprogramm ist dicht gesteckt. Erhöhung der Hartz-IV-Sätze, bessere Bezahlung für Pflegekräfte, Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse, mehr Unterstützung für Menschen in ländlichen Gegenden, so sieht ihre Agenda aus. Beim Parteitag am Samstag stellt sie vor allem die Verschränkung von Klima- und Sozialpolitik in den Mittelpunkt. "Gerechtigkeit kann es ohne Klimaschutz gar nicht geben", sagt sie, denn die ersten Opfer der Klimakrise seien die wenig Privilegierten der Welt.

Ricarda Lang musste ihre Bewerbungsrede vor der Kamera halten - wegen positiver Corona-Tests.
Ricarda Lang musste ihre Bewerbungsrede vor der Kamera halten - wegen positiver Corona-Tests. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Sich selbst zählt Ricarda Lang nicht zu den Benachteiligten, trotz jahrlanger Anfeindungen gegen ihre Person und Erscheinung. "Ich werde mich als Politikerin nicht davon definieren lassen", sagt sie, und meint den Strom von Beleidigungen im Netz. "Ich sehe aus, wie ich aussehe. Und ich bin verdammt stolz, Politik in einer Partei zu machen, in der nichts davon drüber entscheidet, was mir politisch zugetraut wird." Da gibt es Applaus und wenig später 75,9 Prozent der Stimmen. Sie sieht ein bisschen enttäuscht aus.

"Wir sind die Unbeugsamen"

Nachdem Lang gewählt ist, tritt in der Parteitagshalle ihr Mitbewerber Omid Nouripour auf die Bühne. Der Demnächst-Grünen-Chef will ein Aufräumer werden in seiner Partei. Schon vor seiner Wahl kündigte er an, effektivere Strukturen in der Parteizentrale einziehen zu wollen. "Wir werden den Wahlkampf zusammen nacharbeiten, um beim nächsten Mal noch erfolgreicher zu sein", sagt er in seiner Bewerbungsrede. Sein Ziel für die Grünen sei es, "beim nächsten Mal bei der K-Frage mitzuspielen."

Ob Omid Nouripour genug Fingerspitzengefühl besitzt, um erfolgreich und ohne Flurschaden die Parteistrukturen zu erneuern, wird sich zeigen müssen. Zu den Leisetretern jedenfalls hat er nie gehört. Nouripour, der vor 46 Jahren in Teheran geboren wurde und mit 13 Jahren nach Frankfurt am Main kam, hat über den Protest zur Politik gefunden. Er hat im Hessen des Ministerpräsidenten Roland Koch für die doppelte Staatsangehörigkeit gekämpft, hat sich über Jahre gegen Rassismus eingesetzt - und später, im Bundestag, ein neues Feld entdeckt: die Außenpolitik.

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Dass Leute wie er sichtbar werden in der Politik, also Deutsche mit Vorfahren in anderen Kulturen, ist ein Motor für Nouripours politische Laufbahn. Bei seiner Bewerbung sind es denn auch eher kämpferische Bilder, mit denen er seine Rede garniert. "Wir sind die Unbeugsamen", so beschreibt er die Grünen. Er sehe sich und seine Partei in der Tradition von DDR-Oppositionellen wie Marianne Birthler "die dem Unrecht entgegen getreten sind unter widrigsten Umständen". Oder von Milan Horáček, "der in der Diktatur in der Tschechoslowakei Widerstand geleistet hat und natürlich später seine Heimat bei uns gesucht hat und gefunden."

Für all diejenigen, die sich eine friedfertige grüne Bündnispartei wünschen, attraktiv auch für bürgerliche Milieus, dürften das nicht unbedingt beruhigende Töne sein. Nouripour ist Realo, aber vom Gestus her eher einer aus der rebellischen grünen Schule. Sein Wahlergebnis ist dann ordentlich, 82,6 Prozent.

Bis zum Ende des Jahres wollen Nouripour und Lang ihrer schnell gewachsenen Partei zu besserer Kommunikation und einer solideren Finanzverwaltung verhelfen. Der Umbau der grünen Bundesgeschäftsstelle, der eigentlich 1,45 Millionen Euro kosten sollte, ist aus dem Ruder gelaufen. Die Kosten werden sich aller Voraussicht nach etwa verdoppeln. Und dann sind da noch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen der Corona-Boni im Jahr 2020. An Arbeit jedenfalls wird es nicht fehlen.

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