Die Grünen sind, verglichen mit der SPD, noch immer eine kleine Partei und haben es bei der Bundestagswahl vor dreieinhalb Jahren trotz des Absturzes der Sozialdemokraten auf nicht einmal halb so viele Zweitstimmen gebracht. Trotzdem ist es ihnen zur Grundhaltung geworden, mit einem manchmal befremdlichen, manchmal schon unangenehmen Überlegenheitsgestus auf die Genossen herunterzuschauen.
Man hält sich für klüger, disziplinierter, und Wahlkampf kann man sowieso besser, weshalb die Grünen-Chefin Claudia Roth gerade erst den SPD-Parteitag aufwecken und Agonie in Euphorie verwandeln musste. Dabei haben die Grünen dieser Tage gar keinen Grund zur Überheblichkeit. Ganz im Gegenteil.
Verglichen mit den Sozialdemokraten, geben sie gerade ein ziemlich chaotisches Bild ab. Während der vermeintlich unfähige Wunschpartner sein Wahlprogramm zügig unter Dach und Fach gebracht hat, sind die Grünen auch noch stolz darauf, dass ihre überaus eifrigen Mitglieder eine vierstellige Zahl an Änderungswünschen zum Programm vorgebracht haben. Vor allem aber zerfleddern sie sich gerade öffentlich über der Grundsatzfrage, ob sie es in ihrem Programmentwurf mit den Steuererhöhungen übertrieben haben oder nicht. Die Auseinandersetzung wird dabei mittlerweile in einer Tonlage ausgetragen, wie man sie aus der SPD länger nicht mehr gehört hat.
Dabei hat die grundsätzliche Kritik, die diverse Vertreter des Realo-Lagers bis hin zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann vorbringen, durchaus ihre Berechtigung. Wenn Rote und Grüne gemeinsam eine Mehrheit wollen, wäre es ja nicht ganz ungeschickt, wenn man unterschiedliche Wählergruppen anspräche, und zwar möglichst über das rot-grüne Stammpotenzial hinaus.
Die Grünen müssten in einer solchen Konstellation nicht nur ökologisch das Korrektiv zur SPD bilden, sondern auch ökonomisch. Wer grundsätzlich findet, dass es gerecht zugehen sollte, sich vor zu viel Umverteilung von oben nach unten aber doch fürchtet, könnte dann die Grünen als Garanten dafür wählen, dass die SPD es steuerpolitisch nicht zu toll treibt. Das wäre eine ideale Arbeitsteilung, eigentlich.
Keine Zeit für Richtungsdebatten
Stattdessen haben die Grünen einen Programmentwurf hingelegt, der in Sachen Steuern und Abgaben nicht nur äußerst nah an den Vorstellungen der Sozialdemokraten liegt, sondern an symbolträchtigen Stellen sogar weiter geht - etwa beim Spitzensteuersatz, der bei ihnen noch deutlich früher greifen soll, also weiter unten in der Einkommensskala. Trotzdem ist es nicht allzu klug, sich darüber jetzt aufzuregen.
Man kann ja nicht sagen, dass dafür bislang keine Zeit gewesen wäre, weil die böse (im Übrigen fein nach Realos und Linken austarierte) Parteispitze über Nacht eine Liste an Zumutungen erdacht und damit die Wirtschaftsfreunde überrumpelt hätte. Dieses linke Programm ist gewachsen, über Monate und Jahre, es hat Parteitagsbeschlüsse gegeben, Kommissionen und Arbeitskreise, und jeder hätte jederzeit sagen können, dass ihm die Richtung nicht passe, die das Ganze für jeden offensichtlich nahm. Wer nun einwendet, dass ein Programm eben erst gelte, wenn es endgültig beschlossen sei und es sich bei alldem um einen geradezu urdemokratischen Vorgang handele, der muss sich fragen lassen, ob er verstanden hat, wie Politik in Zeiten des Wahlkampfs funktioniert: Augen zu und durch, so einfach ist das. Für steuerpolitische Richtungsdebatten ist es kurz vor dem entscheidenden Parteitag und fünf Monate vor der Wahl zu spät.
Die SPD hat das begriffen - gemessen an ihrer Ausgangslage und der internen Streitlust früherer Jahre, ist es in ihren Reihen geradezu schockierend ruhig. Die Grünen, so schwer es ihnen fallen wird, können sich da dieser Tage einiges abgucken.