Grüne und SPD in Umfragen:In Zeiten höchster Not, ist der Mittelweg der Tod

In Umfragen haben die Grünen die Volkspartei SPD überholt. Das ist weniger ein Verdienst der Grünen als ein Problem für die SPD. Ohne programmatische Erneuerung geht sie unter.

Lars Langenau

In den vergangenen vier Wochen jagte eine Horrormeldung die nächste. Groß wurde der Wunsch bei Vielen, zumindest die atomare Katastrophe in Japan würde zum Umdenken, zum Wandel führen. Dann kam die Wahl in Baden-Württemberg, ein unter der weltpolitischen Wetterlage zu vernachlässigendes Ereignis. Eigentlich.

Rotgrün

Die Grünen mögen einen Kanzlerkandidaten nominieren, doch die SPD ist der traditionelle, der natürliche Führer einer linken Koalition.

(Foto: sde)

Doch die Wahl wurde zum Ausdruck der "German Angst". Ein Grüner wird nun Regierungschef eines durch und durch konservativen Bundeslandes. Winfried Kretschmann hat, neben allen anderen Dingen, vor allem wegen der Fukushima-Katastrophe die historische Chance, die SPD zum Juniorpartner zu machen. Wegen eines Ereignisses, das mehr als 9000 Kilometer Luftlinie entfernt liegt.

Seither eilen die Grünen von Erfolg zu Erfolg. Nicht nur in Umfragen, sondern auch in den tatsächlichen Wahlergebnissen. Der SPD scheinen sie enteilt. Die Grünen - eine neue Volkspartei? Man kann es kaum glauben, auch wenn sie das ja schon seit Jahren - zumindest in Großstädten - längst sind.

Inzwischen fehlt es den Grünen dramatisch an Personal. Früher galt die goldene Regel, dass jeder unpolitische Mensch, der politisch Erfolg haben wollte, einfach in die FDP eintrat und schwupps war er Mandatsträger. Heute ist das bei den Grünen so. Oft genug ist die Partei heute lediglich ein müder Abglanz der FDP mit ökologischem Anstrich, eben weil man sich das gute Leben aus den Biomärkten eben leisten kann.

Rot-Grün oder Grün-Rot. Wen interessiert es?

Die Zeiten sind schnelllebig. Und vielleicht macht es Sinn, einmal kurz innezuhalten in der jetzt am Wochenende entzündeten Debatte, ob die Grünen mit einem eigenen Kanzler-Kandidaten in die Bundestagswahl 2013 (!) gehen sollten. Unter dem Eindruck der jüngsten Umfragen möchte man sagen: Ja klar, go and win!

Die seit Jahrzehnten vor allem von linken Sozialdemokraten prophezeite, gewünschte, gewollte, herbeigesehnte linke Mehrheit jenseits von Schwarz-Gelb ist da. Nicht allzu oft wurde auf Länderebene auch länderspezifisch gewählt. Oft verkümmerten Wahlen nur zur Abrechnung mit den jeweils Regierenden. 1998 war das (auch) so. Helmut Kohl konnten nach 16 Regierungsjahren nur noch die treusten der treuen Wähler der Union sehen. Rot-Grün mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer wurde Wirklichkeit. Nach den schier ewigen Jahren des Stillstandes lag plötzlich Aufbruchstimmung in der Luft.

Realpolitik hat den Aufbruch getötet. Nachhaltig, dachte man. Zumindest bis zum Super-GAU in Japan.

Nun ist angesichts des schrecklichen Ereignisses neue Euphorie entstanden. Zumindest in Deutschland, in dem man sich verwundert die Augen reibt, dass plötzlich die Grünen mit der Union darum konkurrieren, wer als Schnellster den Ausstieg aus der Atomkraft gebacken bekommt. Dann halt eben Grün-Rot anstatt Rot-Grün. Wen kümmert es? Es kommt doch darauf an, wie es einst Kohl ebenso profan wie genial ausdrückte, was dabei hinten rauskommt.

Leidtragend ist momentan weniger die Union, die trotz des Machtverlustes in Baden-Württemberg ja noch ein respektables Ergebnis von 38 Prozent einfahren konnte. Es sind, natürlich, zum einen die Liberalen, die in der Öffentlichkeit nur noch als Partei der Hoteliers wahrgenommen wurden. Zum anderen, und vielleicht viel wichtiger und nachhaltiger: Die Sozialdemokratie.

Was ist aus der stolzen Arbeiterpartei geworden?

Am 27. September 2009 erzielte die SPD mit nur noch 23 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis nach dem Krieg überhaupt. Doch was hat sie seither für Konsequenzen daraus gezogen?Ihr damaliger Spitzenkandidat, Frank-Walter Steinmeier, darf Fraktionschef sein. Ein als Nachfolger von Gerhard Schröder in Niedersachen gescheiterter Ministerpräsident darf Parteichef sein.

Nun, Köpfe mögen vielleicht in Zeiten ohne Wahlen zweitrangig sein, aber ist seither irgendetwas Programmatisches von Bedeutung aus der deutschen Sozialdemokratie gedrungen? Der stolzen, alten Arbeiterpartei? Der Partei von August Bebel und Ferdinand Lassalle, der Partei Willy Brandts, der Partei des Pragmatikers Helmut Schmidt, und auch der Partei des heute gerne totgeschwiegenen Oskar Lafontaines?

Nein, die Sozialdemokratie hat verschlafen, dass sich der Wind dreht. Vielleicht mit ihren Kriegseinsätzen, obwohl der Kurswechsel nach dem Massaker von Srebrenica zu rechtfertigen war. Die Grünen haben ihren Kurswechsel damals ja auch nachvollziehbar machen können.

Ihren Kredit haben die Sozialdemokraten mit den Hartz-Gesetzen verspielt. So notwendig die Sozialreformen auch gewesen sein mögen, Schröders Basta-Politik hat es möglich gemacht, dass der SPD abermals der Ruch des Verräters anhaftete.

Es ist von daher eigentlich keine wirkliche Frage, ob die Grünen einen eigenen K-Kandidaten aufstellen sollten. Sie sollen tun, was sie nicht lassen können. Sei es nun Joschka Fischer, der zwar (eigentlich) schon abgewunken hat, aber doch so ein Machttier ist, dass er sich bei einer realen Chance in zwei Jahren doch dazu hinreißen lassen könnte. Mit jetzt 63 Jahren wäre er sicher nicht zu alt für den Job. Oder sei es Renate Künast, die bald den SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit in Berlin wegfegen könnte. Oder Jürgen Trittin, der, so polarisierend wie er nun einmal ist, die Grünen mit Sicherheit wieder auf die Rolle des Juniorpartners reduzieren würde.

Die eigentliche Frage ist: Was macht die Sozialdemokratie? Kommt sie wieder auf die Beine? Die SPD ist der traditionelle, der natürliche Führer einer linken Koalition. Sei es mit der Linkspartei, oder ohne. Aber sie muss Inhalte besetzen. Sie muss wieder glaubwürdig werden. Sie muss raus aus der Ecke des Stänkerers, des Verhinderers. Sie muss wieder die natürliche Alternative zur Volkspartei CDU/CSU sein.

Und da ist es egal, ob nun Namen für den K-Kandidaten wie Hannelore Kraft, Peer Steinbrück, Olaf Scholz oder doch Steinmeier oder Gabriel fallen. Sigmar Gabriel, der gescheiterte Ministerpräsident, der ehemalige Umweltminister in der großen Koalition, der bislang ziemlich glücklose SPD-Chef, hat es gerade in einem Interview hübsch formuliert: "Ganz im Ernst: Ich habe kein Problem damit, wenn im Jahre 2013 spekuliert wird: Wird der Rote oder wird der Grüne Kanzler - während keiner mehr davon redet, ob es Frau Merkel noch einmal wird."

Aber wenn sich die SPD bis zur nächsten Wahl nicht wirklich erneuert, zur echten Alternative der Union wird, sich wieder als Volkspartei versteht, dann gute Nacht - und abermals guten Morgen, Frau Merkel. Was die Sozialdemokratie braucht ist ein neues Godesberger Programm. Ein Programm das ernster ist, als der einst von Tony Blair und Bodo Hombach hopplahopp ersonnene "dritte Weg".

Es muss eine Programmatik sein, die in unserer schnelllebigen Zeit Bestand hat - und über den Tellerand der nächsten Wahl hinausschaut. Ein Programm, das wieder ausstrahlt auf Europa und die Welt, weil es den Menschen als Menschen begreift. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

Für die Sozialdemokratie ist es höchste Zeit zum Umdenken und nicht mehr zum Schönreden. Ein Wahlverlust ist eine Niederlage. Demoskopie hingegen ist Momentaufnahme. Die SPD muss sich jetzt entscheiden, ob sie Koch bleiben möchte, oder wie in Baden-Württemberg zum Kellner degradiert wird.

Wie heißt es so schön, in alten Sponti-Sprüchen: "In Zeiten höchster Not, ist der Mittelweg der Tod."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: