Süddeutsche Zeitung

Grüne und Linke im Falle der großen Koalition:Erdrückt im Bundestag

Wenn Rote und Schwarze sich im Bundestag zusammentäten, ergäbe das die größte Mehrheit seit den Sechzigern. Mehr als drei Viertel der Abgeordneten würden dann zum Regierungslager gehören. Was das für die Opposition bedeuten würde - und wie Grüne und Linke jetzt für ihre Rechte kämpfen.

Von Ronen Steinke

Die Sorge scheint jetzt groß zu sein bei Politikern der SPD. "Ein richtiger Hammer" sei das, meint etwa Dieter Wiefelspütz, der langjährige SPD-Innenexperte, "so etwas kann Demokratie ersticken." Wenn es zu einer Neuauflage der großen Koalition unter Angela Merkel kommen sollte, was in diesen Tagen viele erwarten, dann wäre die Dominanz der Koalitionsfraktionen im Bundestag so groß wie seit den Sechzigerjahren nicht mehr: Mehr als drei Viertel der Abgeordneten unter der Reichstagskuppel würden dann zum Regierungslager zählen. Grüne und Linke würden darum kämpfen müssen, sich überhaupt noch Gehör zu verschaffen und die Regierung zu kontrollieren.

Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs, Sprecher der Parteirechten, warnt deshalb in Interviews bereits, man müsse dringend über Alternativen nachdenken. Schwarz-Grün zum Beispiel. Und selbst der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, dessen Partei jetzt fast die Hälfte der Sitze im neuen Bundestag besetzen kann, deutet an, dass die Übermacht aus Schwarz und Rot für das parlamentarische System problematisch wäre. Allerdings, so schränkt er ein: "Dass die Opposition so schwach ist, ist nicht die Schuld der Parlamentsmehrheit."

Krokodilstränen? Die roten und schwarzen Parlamentarier, die sich da so besorgt äußern, hätten es im Falle einer großen Koalition so angenehm wie lange nicht mehr. "Die Opposition dürfte praktisch nichts mehr", wie es der Berliner Staatsrechts-Experte Christoph Möllers im Gespräch mit Süddeutsche.de ausdrückt.

Geregelte Machtlosigkeit

Grüne und Linke würden gemeinsam nur 127 Abgeordnete auf die Waage bringen. Das ist weniger als ein Viertel der insgesamt 630 Abgeordneten des neuen Bundestages. Die Fraktionen der beiden Oppositionsparteien könnten keine Untersuchungsausschüsse mehr einberufen (für die es einen Antrag von einem Viertel der Abgeordneten braucht), keine Sondersitzungen des Bundestages verlangen (für die es ein Drittel der Abgeordneten braucht) und nicht mehr nach Karlsruhe vors Bundesverfassungsgericht ziehen, um Gesetze überprüfen zu lassen (wofür es ein Viertel der Abgeordneten braucht).

Für solche Drittel- oder Viertel-Quoren gibt es grundsätzlich gute Gründe, sagt Staatsrechtler Möllers, der in diesen Tagen die Grünen in der bangen Frage berät, wie sie sich gegen die Machtlosigkeit in der Opposition wappnen könnten. Dabei geht es auch darum, einige Regeln den neuen Mehrheiten anzupassen. "Eigentlich ist das Grundgesetz darauf angelegt zu sagen: Wir wählen das Parlament und die Spielregeln untereinander sollen sich die Abgeordneten dann selbst geben." Die Geschäftsordnung des 18. Deutschen Bundestages könnte minderheitenfreundlicher gestaltet werden - darüber wollen Linke und Grüne in den kommenden Tagen dringend verhandeln, wie Linken-Fraktionschef Gregor Gysi bereits ankündigt.

Kleine Parteien haben es ohnehin schwer

Quoren seien durchaus eine legitime Einrichtung in einem Parlament, gibt Möllers zu bedenken: Sie verhinderten, dass einzelne Abgeordnete oder schrille Kleingruppen den parlamentarischen Prozess übertönen können. Sie verwirklichen damit das Prinzip: Je größer eine Gruppe durch den Wähler gemacht worden ist, desto mehr Gehör soll sie auch finden.

Andererseits: Kleinere Parteien hätten es in Deutschland ohnehin schon schwer. Da gebe es die Fünf-Prozent-Hürde, die viele Gruppen von vornherein aus dem Parlament heraushält. Diesmal traf es gleich sämtliche Wähler von FDP und AfD - von den Wählern der Piraten und der "Sonstigen" ganz zu schweigen.

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