Grüne und FDP im Wahlkampf:Keiner will das J-Wort sagen

Political Parties Campaign In Federal Elections

So nah wie diese Plakatwände stehen die Parteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen sich inhaltlich nicht.

(Foto: Getty Images)

Auf ihren Parteitagen kritisieren sich die Spitzenkandidaten von FDP und Grünen gegenseitig, von Zusammenarbeit soll keine Rede sein. Mitregieren könnten beide Parteien aber wohl nur in einer Jamaika-Koalition.

Von Jakob Schulz und Benedikt Peters, Berlin

Dieselbe Stadt, derselbe Tag, dieselbe Uhrzeit: Eine Woche vor der Bundestagswahl stürzen sich Grüne und Liberale am Sonntag in Berlin ins Finale des Bundestagswahlkampfs. Gleichzeitig, aber nicht gemeinsam.

Die Parallelität von Zeit und Ort haben eine gewisse Ironie: Beide Parteien, Grüne und FDP, haben sich vor der Wahl heftig ineinander verbissen. Doch wenn man den Umfragen glaubt, sind nach der Wahl nur zwei Koalitionen möglich: Schwarz-Rot oder ein Jamaika-Bündnis mit Union, FDP und Grünen. Trotzdem lassen FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir wenig unversucht, den jeweils anderen zu kritisieren und die mögliche Zusammenarbeit in der nächsten Legislaturperiode wegzureden.

Auf dem FDP-Parteitag hat Christian Lindner einen Spickzettel auf die Bühne mitgebracht, um grüne Schmähungen vorzulesen. "Diktatoren-Versteher", liest er vor, "Klimawandel-Leugner. Menschenfeinde. Ausbeuter." Die Liste ist lang, Lindner wirft den Grünen eine "Kampagne gegen die FDP" vor. Sein Fazit: "Mögen die Grünen sich mit uns beschäftigen, wir beschäftigen uns hier heute mit politischen Inhalten!" Der Applaus im Saal ist groß. An dem selbstgesetzten Anspruch scheitert Lindner aber schon kurz darauf.

Wieder und wieder stichelt der FDP-Chef gegen die Grünen. Vorwürfe, ein "Diktatoren-Versteher" zu sein? Müsse man als "dornige Chancen" begreifen, sagt Lindner. Er spielt damit auf ein Video von 1997 an, in dem er als 18-jähriger Jungunternehmer Phrasen drischt und eben sagt, dass Probleme nichts anders seien als mit Dornen versehene Chancen. Auch er wisse nicht mit Sicherheit, wie die Mobilität und Energieversorgung der Zukunft aussehen werden, gesteht Lindner, er sei studierter Politologe. Aber Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir sei Sozialpädagoge, "der weiß das auch nicht!" Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki empfiehlt Özdemir gar, morgens für mehr Entspannung doch mal einen Joint zu rauchen.

Unterschiedliche Inhalte nähren das Feindbild

Im Gasometer in Berlin-Schöneberg lassen auch die Grünen keinen Zweifel daran, wen sie bei der Wahl als Hauptgegner ausgemacht haben. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt teilt in alle Richtungen aus. SPD und Union wirft sie Rückwärtsgewandtheit vor, der AfD Ausländerfeindlichkeit. Keine Partei aber attackiert sie so hart wie die FDP. Die Liberalen machten Politik für die Kohle-Lobby und leugneten den Klimawandel. "Nachhaltiger kann man die Welt nicht ruinieren", ruft sie. Lindner bescheinigt sie "Realitätsverweigerung" und ruft in Anspielung auf die FDP-Wahlkampagne: "Man kann das Land nicht mit einer Werbeagentur und mit Selfies regieren." Jedes Mal gibt es lauten Applaus.

Doch werden nicht nur die wechselseitigen Feindbilder gepflegt. Es geht, auch, um Inhalte. Beim FDP-Parteitag nennt Lindner als Kern seiner Rede zehn "Trendwenden". Dazu zählt er Forderungen etwa zu Bildung, Digitalisierung, innerer Sicherheit, Zuwanderung oder Europa. Sie sind nicht neu, sie basieren auf dem Parteiprogramm. Die insgesamt zehn Forderungen sind für Lindner Bedingung dafür, dass die FDP in eine Regierung eintritt. Sollte es nicht möglich sein, diese Ziele zu erreichen, wäre Regieren verantwortungslos und der richtige Platz der Liberalen in der Opposition, ruft Lindner.

Bei den Grünen fallen zwei Begriffe immer wieder, wenn es um Inhalte geht: "Umwelt" und "Gerechtigkeit". Die Partei inszeniert sich als die einzige Partei, die den Klimawandel ernsthaft bekämpfen könne. Deutlich wird das, als der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ans Rednerpult tritt. Zuletzt war er im Dieselskandal für zu viel Nähe zu den Autokonzernen gescholten worden. Jetzt ruft er in den Saal: "Redet erst mal über Klima! Das ist die dramatische Entscheidung des Jahrhunderts!"

Ausschließen wollen die Spitzenkandidaten nichts

Immer wieder geht es auch um Gerechtigkeit. Göring-Eckardt verspricht, Kinder- und Altersarmut endlich wirksam zu bekämpfen, besser als "die stolze SPD". Und ihr Co-Spitzenkandidat Özdemir sagt, die Grünen seien die Partei, die für Langzeitarbeitslose und Erwerbsgeminderte kämpfe, "für alle, für die sich sonst keiner einsetzt".

Ein Wort fällt in den Parteitagsreden bei den Grünen dafür kein einziges Mal: "Jamaika". Von einem Dreierbündnis mit Union und FDP will im Gasometer niemand offiziell sprechen. Der Partei gehe es um Inhalte, betonen alle Redner, man kämpfe um ein starkes Wahlergebnis und um eine Regierungsbeteiligung. Ende der Durchsage.

Trotz aller Kritik an der FDP will sich aber niemand in der Parteiführung dazu durchringen, eine Koalition mit den Liberalen auszuschließen. Man werde nach der Wahl mit allen demokratischen Parteien reden, sagt Özdemir, außer mit der AfD. Ein Regierungsbündnis werde es aber nur geben, wenn der Koalitionsvertrag eine klare grüne Handschrift trage. "Sonst gehen wir erhobenen Hauptes in die Opposition." Am Grünen-Kaffeestand aber fällt das Wort Jamaika sehr wohl. "Dafür gibt es in der Partei bestimmt keine Mehrheit", orakelt ein Delegierter.

Auch die FDP-Delegierten hören den Begriff "Jamaika" nicht, zumindest nicht von der Rednerbühne aus. "Mit uns gibt es keine Koalitionsaussage für irgendetwas", ruft Christian Lindner in den Applaus hinein. Ausschließen will er überhaupt nichts - außer, die eigenen Grundsätze zu verraten. Zur Rede Lindners will sich danach auf der Bühne nur ein einziger Delegierter äußern. Ein Zeichen von Geschlossenheit, witzelt ein liberaler Delegierter.

"Richtiger Überraschungscoup"?

Ähnlich bei den Grünen: Auch sie geben sich kämpferisch und geschlossen. Die Delegierten klatschen frenetisch, egal, wer auf dem Podium spricht. Alte Kämpfe sollen der Vergangenheit angehören, das zeigen auch Kretschmann und Fraktionschef Anton Hofreiter. Auf dem Parteitag im Juni war Kretschmann heimlich dabei gefilmt worden, wie er "den Toni" harsch kritisierte. Nun sitzen beide nebeneinander, und nach Kretschmanns Rede steht Hofreiter auf und drückt ihm die Hand. "Bis Sonntag ist noch viel zu holen", hört man angesichts der mauen Umfragen für die Grünen oft. Göring-Eckardt prophezeit gar einen "richtigen Überraschungscoup" am Wahltag.

Vielleicht ist angesichts der grün-gelben Keilerei der vergangenen Wochen aber auch ein anderer Coup gemeint. Immerhin prügeln die Spitzenkandidaten von FDP und Grünen zwar rhetorisch aufeinander ein, einen Knockout aber, also ein klares "Nein zu Jamaika", haben beide Parteien auch an diesem Sonntag nicht riskiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: