Grüne Spitzenpolitiker Kretschmann und Künast:Er hat, sie will

Renate Künast will werden, was Winfried Kretschmann bereits ist - doch bei einem gemeinsamen Auftritt wird klar: Die forsche Kandidatin der Berliner Grünen hat kaum etwas mit dem pragmatischen Stuttgarter Regierungschef gemein. Zu ihm ist das Amt gekommen, Künast dagegen rennt und rennt, um ins Rote Rathaus zu kommen.

Thorsten Denkler, Berlin

Winfried Kretschmann sagt erst mal: "Ja, - grüß Gott." Als wäre damit eigentlich schon alles gesagt. Und dann spricht er viel über Seriosität, die vor Schnelligkeit gehe, über die ersten "Akzente", die er in seinen ersten 100 Tagen als Ministerpräsident von Baden-Württemberg gesetzt habe. Dass er eben angetreten sei mit einer "Politik des Zuhörens".

Pressekonferenz zu '100 Tage im Amt des ersten gruenen Ministerpraesidenten'

Er ist seit 100 Tagen in Amt, sie will in weniger als 100 Tagen ins Amt kommen: Winfried Kretschmann und Renate Künast vor der Bundespressekonferenz.

(Foto: dapd)

Dann ist Renate Künast dran im großen Saal der Bundespressekonferenz. Sie will werden, was Kretschmann ist: Regierungschef in einem Bundesland. Künast steht als Spitzenkandidatin der Berliner Grünen mitten im Wahlkampf. Am 18. September wird gewählt.

Künast will "richtig loslegen", will Berlin zur "Mitsprachestadt" machen, will "in kürzester Zeit 400 Lehrer einstellen", will die Sanierungsmittel für die Schulen verdoppeln. Sie will, will, will. Die Wirtschaftskraft entwickeln. Die S-Bahn in Takt bringen. Die Stadtautobahn 100 verhindern. Der Mietenexplosion entgegenwirken.

Kretschmann wischt sich mit einem weißen Stofftaschentuch die Stirn ab. Die Kameras klicken. Künast redet und redet und redet.

Manchmal denkt sie schneller, als sie spricht. Ihr Kopf gibt ihrem Mundwerk einfach nicht die nötige Zeit hinterherzukommen. Dann verhaspelt sie sich: "Die größten Schnittmengen haben die Grünen mit der CD... - ähm - SPD."

Manchmal muss sie akute Denkpausen überbrücken. Dann kommen sinnfreie Sätze aus ihrem Mund, die sie aber ausspricht, als sei das Weltengefüge in Gefahr. So wie bei diesem: "Es geht in Berlin wirklich darum, wer in den nächsten fünf Jahren das Land regiert!" Aha.

Hier der besonnene, ruhige und alterswitzige Kretschmann. Dort die aufgeregte, quirlige und zuweilen aggressive Renate Künast. So unterschiedlich die beiden Politikertypen sind, so unterschiedlich kämpfen sie auch um die Macht. Kretschmann hat in der ihm eigenen Bescheidenheit immer gesagt, das Amt müsse zum Mann kommen. Künast rennt dem Amt hinterher, als ginge es um ihr Leben.

Es könnte ein Lauf ins Leere sein. Bei knapp über 20 Prozent sehen die Wahlforscher die Grünen derzeit in der Berlin. Das wäre immer noch ein Rekordergebnis, eine Sensation. Und wenn alles gut geht, könnte dabei eine rot-grüne Koalition herauskommen.

Bloß: Künast tritt nicht an, um nur mitzuregieren. Sie will nicht mit der CDU um Platz zwei streiten müssen. Künast will Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden.

Eine zeitlang sah es für sie auch ganz gut aus. Noch vor ein paar Monaten lagen die Grünen in Umfragen vor der SPD. Inzwischen aber deutet alles auf einen klaren Sieg des Amtsinhabers Klaus Wowereit hin, dessen SPD bei gut 31 Prozent liegt. Wahlforscher sehen die Grünen klar im Abwärtstrend.

Dass Künast einmal Berlin regieren wird, ist im Moment sehr unwahrscheinlich.

Kämpfen will sie bis zum Schluss, bis zum Wahlsonntag am 18. September um 18 Uhr. Sie wirkt sehr entschlossen, als sie das sagt, so, als wolle sie am Wahlabend bis 17.59 Uhr im Regen völlig durchnässte Flugblätter verteilen.

Da lehnt sich Kretschmann langsam vor und erklärt, jetzt müsse er der Renate "doch mal einen öffentlichen Ratschlag geben". Gekämpft, sagt er, werde doch nur bis "maximal 12 Uhr am Wahltag". Danach könne sie sich hinlegen und abwarten.

Kretschmann ist Pragmatiker, durch und durch. SPD-Chef Sigmar Gabriel hält die Debatten um Stuttgart 21 inzwischen für ein öffentliches Ärgernis? Kretschmann stört das nicht. Seine Botschaft an alle, denen das Thema zum Hals raushängt: "Dann hängt's halt raus." Er meint das nicht mal böse.

Künast klingt, als hingen Wohl und Wehe der Stadt von der Frage ab, wer im Roten Rathaus sitzt - Wowereit oder sie. Eine Journalistin der New York Times fragt Kretschmann, wie sein Wahlsieg in Baden-Württemberg das Land, die Nation verändert hat. Eine Frage der Kategorie: ganz groß. Künast hätte auf die Frage ganz groß zu antworten gewusst. Kretschmann runzelt die Stirn, als habe er die Frage gar nicht richtig verstanden. "Ja", sagt er, "verändert hat sich erst mal die Regierung." Und mehr ist dazu eigentlich auch gar nicht zu sagen.

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