Süddeutsche Zeitung

Wahl in Hamburg:"Es kann gut sein, dass die CDU zum instabilen Faktor der Groko wird"

Politikwissenschaftler Marc Debus über die Auswirkungen der Hamburg-Wahl auf die Bundesregierung, die Lage der FDP und eine ernüchternde Erkenntnis für die siegreichen Grünen.

Interview von Oliver Das Gupta

Marc Debus, Jahrgang 1978, ist Professor für Politische Wissenschaft und Vergleichende Regierungs­lehre am Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Analyse von Partei- und Wahlprogrammen. Vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg hat Debus gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Stecker eine Datenanalyse erstellt: Die Forscher haben gemessen, wo die Parteien der Freien und Hansestadt politisch zu verorten sind.

Interview am Morgen

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SZ: Herr Debus, die SPD ist in Hamburg klar stärkste Kraft geworden, die CDU liegt nur wenige Punkte vor der Linken. Welche Folgen hat das Wahlergebnis auf die große Koalition?

Marc Debus: Zumindest hinsichtlich der SPD dürfte das Wahlergebnis in Hamburg stabilisierend sein. Sicherlich wird die SPD versuchen, das durch die Wahl gewonnene neue Gewicht einzusetzen, um weitere Inhalte durchzusetzen. Diese Wahl zeigt den Sozialdemokraten, dass sie durchaus erfolgreich sein können, obwohl sie Juniorpartnerin in der Groko sind. Bei der CDU ist es etwas anders. Denn dort ist ja nicht nur offen, wer künftig die Partei führt. Es stellt sich auch die Frage, ob die CDU ein Stückweit nach rechts rückt oder den zentristischen Kurs beibehalten will. Es kann gut sein, dass nun die CDU zum instabilen Faktor der großen Koalition wird. Ich würde auf jeden Fall nicht darauf wetten, dass die Bundesregierung bis Herbst 2021 hält.

Welchen Einfluß hat die Hamburger Niederlage auf den CDU-internen Machtkampf um den Parteivorsitz?

Schwer zu sagen, denn die Hamburger CDU stand ja schon seit Wochen schlecht da. Ein möglicher Erklärungsansatz wäre, dass die Union dort tatsächlich progressiv ausgerichtet ist - unsere Wahlprogrammanalysen haben gezeigt, dass es sich fast um eine liberale Partei handelt. Es wäre möglich, dass Teile des rechten Flügels der CDU mit Blick auf Hamburg nun argumentieren, dass man zu wenig Profil gezeigt habe und mit einer stärkeren Abgrenzung die eigene Anhängerschaft eher mobilisieren hätte können. Diese Argumente könnten Jens Spahn und Friedrich Merz ins Feld führen.

Inwiefern haben sich die Ereignisse in Thüringen auf die Wahl ausgewirkt?

Einer der Haupteffekte der verfahrenen Lage in Thüringen nach der Ministerpräsidentenwahl mit AfD-Stimmen ist, dass die CDU nach außen hin zerstritten wirkt. Man ist sich uneins im Umgang mit der Linken, das dauert ja bis jetzt an. Aus der Forschung wissen wir, dass zerstritten wirkende Parteien nach Empfinden der Wähler eine geringere Problemlösungskompetenz besitzen. Auch die offene Frage nach dem oder der künftigen Parteivorsitzenden hat denselben Effekt. Das wirkt sich natürlich negativ auf die Wahlchancen aus.

Die AfD schafft es wohl in die Hamburger Bürgerschaft, allerdings schneidet die Partei schlechter ab als bei der letzten Wahl. Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Ergebnis?

Die AfD erreichte bei der vergangenen Bürgerschaftswahl 2015 ein eher unterdurchschnittliches Ergebnis, insofern ist der knappe Einzug in das Landesparlament nicht allzu überraschend. Die Stimmenverluste der AfD bedeuten jedoch nicht unbedingt eine Trendwende hin zu größeren Verlusten bei kommenden Wahlen.

Vor wenigen Tagen hat ein Rechtsextremer im hessischen Hanau zehn Menschen und sich selbst getötet. Hat sich der rassistisch motivierte Anschlag auf das Ergebnis in Hamburg niedergeschlagen?

Einen Hanau-Effekt mag es gegeben haben. Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft könnte die Tat mobilisiert haben, zugunsten der Parteien links der Mitte zu stimmen. Dafür spräche auch die angestiegene Wahlbeteiligung.

Die FDP musste um den Einzug in die Bürgerschaft lange zittern. Sind fünf Prozent der Stimmen vor dem Hintergrund von Thüringen noch ein passables Ergebnis?

Es ist kein starkes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Hamburg eine liberale Großstadt ist und die FDP in Umfragen bundesweit bei acht Prozent steht. Für die Freien Demokraten gilt in diesem Fall dasselbe wie für die Union: Wenn man zerstritten wirkt, ist man eher unattraktiv. Ein chaotisches Auftreten wie in Thüringen schadet einer Partei. Möglicherweise hat bei der FDP am Ende doch noch geholfen, dass sie relativ rasch geklärt hat, wie ihre eigentliche Position ist.

Hat sich durch das Ergebnis das Standing von Christian Lindner als FDP-Chef verbessert?

Weder verbessert noch verschlechtert. Das Handeln von Christian Lindner vor der Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten sowie die Tatsache, dass die Liberalen in Erfurt in einer wichtigen Frage relativ freie Hand hatten, ist ja nach wie vor ein offener Punkt. Auch wenn Lindner hinterher schnell zurückgerudert ist, werden ihm nach wie vor Teile der Partei anlasten, nicht entschieden genug agiert zu haben.

Die Linke konnte in Hamburg zulegen, fast jeder Zehnte scheint für sie gestimmt zu haben. Wie ist die Stärke der Sozialisten in einer westdeutschen Großstadt zu erklären?

Hamburg hat traditionell ein starkes linksalternatives Milieu. In den Neunzigerjahren schnitt deshalb auch die Vorgängerpartei PDS in Hamburg bei Bundestagswahlen mitunter überdurchschnittlich gut ab. Diesmal kamen die für viele Hamburger wichtigen Themen wie Sozialpolitik und erschwingliches Wohnen nicht nur der SPD entgegen, sondern auch der Linken.

Die Grünen haben sich in Hamburg erstmals Hoffnung auf das Bürgermeisteramt gemacht. Doch der Abstand zur SPD ist nach wie vor relativ groß. Ist der Wahlausgang - trotz der Zugewinne - auch eine Enttäuschung für die Grünen?

Themen wie Umwelt- und Klimaschutz sind in Hamburg von den Bürgern als sehr relevant erachtet worden. Deshalb konnte man in der Tat eigentlich davon ausgehen, dass die Grünen stärker abschneiden. Dass es anders kam, könnte darauf hindeuten, dass der Stimmenanteil der Grünen gesättigt ist.

Lassen sich aus den Ergebnissen für die Grünen in Hamburg auch Schlüsse auf die Kräfteverhältnisse in der Bundespolitik ziehen?

Es kann ein Indiz dafür sein, dass die Grünen es doch schwer haben werden, die SPD als zweitstärkste politische Kraft in Deutschland abzulösen. Sicherlich wird die Partei bei der nächsten Bundestagswahl stark abschneiden, zumal ihre Themen wie Klima- und Umweltschutz momentan ganz oben auf der Agenda stehen. Ich warne aber davor, den Trend der letzten Wahlen, in denen die Grünen sehr stark abgeschnitten haben, auf die Bundesebene zu übertragen.

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