Grüne: Sonderparteitag zum Atomausstieg:Der Ausstieg der anderen

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Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg! Grünen-Chefin Roth muss die Delegierten auf dem Sonderparteitag auf die Position der Parteispitze einschwören. Doch viele Grüne wollen da nicht mitmachen - ihnen ist es ein Graus, den Ausstieg der Erbfeinde von Union und FDP zu adeln. Sicher ist bisher nur eines: Glücklich wird am Ende niemand sein. Egal, wie es ausgeht.

Thorsten Denkler, Berlin

Es werden spannende sieben Stunden an diesem Samstag in der Berliner Messe. Vielleicht dauert es auch noch etwas länger, bis die Grünen einen Beschluss gefasst haben, der das Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktion in Sachen Atomausstieg festlegen soll.

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Zuerst eine Verlängerung der Atomlaufzeiten, nach der Katastrophe von Fukushima dann die Kehrtwende: Wie namhafte Vertreter von CDU, CSU und FDP zunächst gegen den Atomausstieg wetterten - und nun das schnelle Abschalten der deutschen Meiler preisen.

Sicher ist bisher nur eines: So richtig glücklich wird am Ende niemand sein. Egal wie es ausgeht.

Vier Papiere gibt es, die als Leitanträge für diesen Sonderparteitag herhalten können. Nur einer aber, der Antrag des Bundesvorstandes, setzt ausdrücklich auf ein Ja zum Ausstiegsbeschluss der schwarz-gelben Bundesregierung.

Die Parteispitze der Grünen ist nahezu einhellig der Auffassung, dass sie nicht ablehnen kann, was sie seit Monaten, seit Jahren fordert. Eine Kernforderung ist etwa die vollständige Rücknahme der Laufzeitverlängerung für AKWs um durchschnittlich zwölf Jahre, die die Bundesregierung im vergangenen Herbst beschlossen hat. Union und FDP kommen dem jetzt nach, gehen mit einem festen Ausstiegsdatum 2022 sogar weiter, als der rot-grüne Ausstiegsbeschluss aus dem Jahr 2000.

Oder die sofortige Abschaltung der sieben ältesten Atommeiler plus Krümmel. Schwarz-Gelb macht das. Oder der verbindliche Stufenplan zu Abschaltung der verbleibenden Atomkraftwerke. Schwarz-Gelb macht mit.

Wenn es noch einen Haken gibt, dann den, dass es ausgerechnet die Erbfeinde aus den einstigen Atomparteien CDU, CSU und FDP sind, die diesen Ausstieg jetzt beschließen wollen.

Vielen Grünen ist schon das ein Graus. Die drei Gegenanträge zum Leitantrag des Bundesvorstandes lehnen den schwarz-gelben Beschluss entweder als völlig unzureichend ab, oder stellen unüberwindbare Hürden für eine Zustimmung auf. Etwa die, den Ausstieg aus der Atomkraft bis 2017 vollendet zu haben.

Technisch geht das, sagen grüne Spitzenleute, nur soll doch keiner glauben, das ließe sich in den kommenden zwei Wochen bis zur entscheidenden Sitzung des Bundestages noch verhandeln. Sie wissen: Eine Zustimmung der Grünen ist aus Sicht der Bundesregierung zwar wünschenswert, weil damit der Ausstieg erstmals von allen relevanten Parteien getragen würde. Notwendig aber ist sie nicht. Weder im Bundesrat noch im Bundestag braucht die Regierung die Grünen, um Mehrheiten für das Gesetzespaket zu bekommen.

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Viel wichtiger ist das Bild, das die Grünen je nach Beschlusslage vermitteln. Entweder gelten sie als sture Prinzipienreiter, die um den Preis einer historischen Einigung darauf bestehen, noch schneller auszusteigen. Oder sie stehen in den Augen ihrer atomkritischen Stammwähler als Steigbügelhalter einer verkorksten Atompolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel bereit, die sich danach in Fäustchen lacht, dass die Grünen da mitgemacht haben.

Beides keine lustige Ausgangsbasis der Grünen für die kommenden Wahlkämpfe. Mit einem Nein könnten sie viele neue Sympathisanten aus der bürgerlichen Mitte verschrecken. Mit eine Ja ihre Stammwähler. Die Grünen-Spitze scheint gewillt, Letzteres in Kauf zu nehmen, um in der Atomdebatte nicht wieder als dumpfe Dagegen-Partei gebrandmarkt zu werden, die selbst dann noch dagegen ist, wenn nahezu alle ihre Forderungen erfüllt sind.

Wie es ausgeht, ist völlig offen. Manche spekulieren, dass ein Drittel der Delegierten auf dem Parteitag strikt gegen eine Zustimmung ist, ein Drittel klar dafür und ein Drittel noch unentschieden.

Selbst wenn der Antrag des Bundesvorstandes es schafft, Leitantrag zu werden, warten da immer noch 69 Änderungsanträge, von denen ein paar ziemlich explosiv sind. Käme etwa der Änderungsantrag unter Federführung der Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl aus Baden-Württemberg durch, wäre eine Zustimmung der Bundestagsfraktion zum neuen Atomgesetz, in dem die Laufzeitverkürzung geregelt wird, kaum noch möglich. Zustimmung soll es demnach erst geben, wenn der Atomausstieg schon bis 2021 abgeschlossen ist oder ein Baustopp für den Salzstock Gorleben verhängt wird. Forderungen, auf die sich die Bundesregierung kaum einlassen dürfte.

Gewisse Chancen haben dürfte der Antrag, den Atomausstieg auch im Grundgesetz zu verankern. Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag sind zwar derzeit kaum vorstellbar - da müssten die Grünen schon alleine in beiden Kammern die Zweidrittelmehrheit zusammenbringen. Aber gefordert werden kann das ja mal.

Erwartet wird von der Grünen-Führung beides: Prinzipientreue und Pragmatismus. Leisten muss den Spagat an diesem Samstag vor allem Parteichefin Claudia Roth. Sie wird die Rede halten, mit der der Antrag der Parteispitze eingebracht wird. Von dieser Rede dürften viele unentschlossene Delegierte ihre Entscheidung abhängig machen. Wenn sich die Parteispitze keine Watsche von den Delegierten abholen möchte, ist Roth gut beraten, ihre Rede diesmal besonders gut vorzubereiten.

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