Grüne:Sieger ohne Macht

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Die Grünen haben in Bayern 17,5 Prozent geholt - und trotzdem verloren, wenn sie am Ende in der Opposition landen. Außerhalb Bayerns sagen manche Grüne nun, eine Koalition mit der CSU wäre ohnehin furchtbar. Doch die Partei darf sich nicht sträuben, Verantwortung zu übernehmen.

Von Josef Kelnberger

Es kommt in der Politik auf den Unterschied zwischen recht haben und recht bekommen an, lautet ein alter Spruch von Winfried Kretschmann. In der Disziplin Rechthaberei, manchmal bis hin zur moralischen Selbstüberhöhung, sind die Grünen seit jeher unschlagbar. Was das Rechtbekommen betrifft, scheint Kretschmanns Partei zumindest Fortschritte zu machen. Den Umfragen zufolge schicken sich die Grünen an, die SPD als zweitstärkste Kraft im Bund abzulösen. In Bayern hat sich nun erstmals ein Landesverband mit seinem Wahlergebnis Regionen angenähert, die bisher der Abteilung Südwest vorbehalten waren. Doch das Konfetti, in dem die Partei bei der Wahlparty am Sonntag in München badete, liegt seit Montag auf dem Müll: Sollten die Grünen nicht in der Regierung landen, wonach es aussieht, haben sie trotz aller Zugewinne eine Niederlage erlitten. Mit 17,5 Prozent in der Opposition zu landen, ist kein Erfolg.

Muss man beim Regieren Ideale verraten? Vielleicht. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen

Aber wäre eine Koalition mit der CSU nicht ohnehin furchtbar? So hört man das nun vor allem von Grünen außerhalb Bayerns. Einerseits verständlich, schließlich haben sich die Grünen über Jahrzehnte hinweg in Abgrenzung zur CSU profiliert. Anderseits spricht aus dieser Furcht genau die gleiche Haltung, mit der sich die Partei nach der Bundestagswahl 2013 gegen eine mögliche schwarz-grüne Koalition sträubte: Hauptsache, das Gewissen bleibt rein. Die Grünen leiden bis heute unter diesem Fehler. Wenn sie nun immer wieder beklagen, in den Jahren der großen Koalition in Berlin sei nichts vorangegangen in der Klimapolitik, kann man nur erwidern: selbst schuld. Wer nicht regieren will, kann das Land nicht verändern.

Nun eröffnet sich der Partei eine neue Chance, Politik zu prägen, wie nach dem Atomunglück von Fukushima 2011. Der Welle des Rechtspopulismus, die über das Land hinweggeht, kommt eine grüne Welle entgegen. Die Frage ist, ob die Grünen diesmal von dem erstaunlichen Zuspruch profitieren, ob sie bereit sind, auf die Mitte und auf Mehrheiten zu zielen.

Zur Volkspartei im klassischen Sinn können die Grünen nicht werden, dazu sind sie im Osten Deutschlands zu schwach, dazu ist ihre Kernkundschaft zu sehr verengt auf gebildete, gut verdienende Menschen in städtischen Milieus. Eine grüne Mehrheit in München: Das klingt sensationell. Aber man fragt sich eher: Warum nicht schon längst? Auf dem Land dominiert nach wie vor die CSU; doch hat sich bei dieser Wahl angedeutet, dass die Grünen Zugang zu ländlichen Milieus finden können, ähnlich wie in Baden-Württemberg. Auch im CSU-Land paart sich der Wunsch nach Klima- und Naturschutz und einer umweltverträglichen Landwirtschaft mit grünen Anliegen: Europa-Bindung, Minderheitenrechte, humaner Umgang mit Flüchtlingen. Je weiter die Union sich von Merkel distanziert, desto mehr Raum gibt sie den Grünen.

Im Gegensatz zur SPD verfügen die Grünen über ein klares, zeitgemäßes Profil: Bewahrung der Umwelt plus Bewahrung der freien Gesellschaft. Winfried Kretschmann bezeichnet diese Kombination als modernen Konservatismus. Er nimmt, da ist er furchtlos, für sich auch in Anspruch, sein Bundesland nach konservativen Tugenden mit der CDU zu regieren: mit Maß und Ziel, auf Ausgleich bedacht, am Gemeinwohl orientiert. Allein die Begrifflichkeit bringt manche Parteifreunde auf die Palme. Werden da nicht Ideale verraten, linke Wurzeln verleugnet, geht nicht die Anbindung an soziale Bewegungen verloren? Ja, das wird zum Teil der Fall sein. Aber mit den Wahlergebnissen wächst der Zwang, Verantwortung zu übernehmen, statt eigene Befindlichkeiten zu pflegen. An eine linke Mehrheit bei der nächsten Bundestagswahl wagt niemand zu glauben. Und die FDP wird nicht noch einmal das Scheitern von Koalitionsverhandlungen auf ihre Kappe nehmen.

Eine schwarz-grüne Koalition in München könnte schon viele von den Zumutungen vorwegnehmen, die die grüne Basis dann vorgelegt bekommt. Wie sieht unter grünem Einfluss eine bayerische Asylpolitik aus, wie das Polizeigesetz? Wie ökologisch würde die Landwirtschaft, wie umweltverträglich der Verkehr? Gemeinsame Antworten von Grün und Schwarz wird es wohl nicht geben. Die Spitzen der bayerischen Grünen sind bereit, aber es waren in der Vergangenheit zu viele Ideologen am Werk, auf beiden Seiten, und sind es wohl nach wie vor. Ausgerechnet der grüne Bundesvorsitzende Habeck, als Mann des Ausgleichs bekannt, tönte am Wochenende, die Grünen hätten die Demokratie zurück nach Bayern gebracht. Er hat sich dafür entschuldigt, aber das Beispiel zeigt: Es ist offenbar schwer, aus alten grünen Mustern auszubrechen.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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