Süddeutsche Zeitung

Grüne im Saarland:Letzte Hoffnung Erststimme

Im Saarland dürfen die Grünen nicht mit einer eigenen Landesliste zur Bundestagswahl antreten. Es ist das Ergebnis eines beispiellosen Machtkampfes in der Partei.

Von Gianna Niewel und Francesca Polistina, Frankfurt

Für die Grünen war es nie leicht, im Saarland an Stimmen zu kommen. In dem Land stehen noch die Fördergerüste der Steinkohlegruben, da erheben sich die Türme eines alten Eisenwerks. Rot und rostig. Da fahren die Menschen mit dem Auto, weil in Ensdorf die Regionalbahn nur jede Stunde hält und in Marpingen kein Bahnhof ist. Metropolen? Es gibt Saarbrücken. Aber in den vergangenen Monaten legte die Partei auch an der Saar zu, in Umfragen zur Bundestagswahl sah es so aus, als könnte sie zweistellig werden.

Könnte.

Am Donnerstag hat der Bundeswahlausschuss in Berlin entschieden, dass die Grünen im Saarland nicht mit einer eigenen Landesliste zur Bundestagswahl antreten und damit auch nicht mit der Zweitstimme gewählt werden können. Das ZDF hat geschätzt, dass der Wegfall der Stimmen die Partei etwa 0,24 Prozentpunkte kosten wird. Während das in Berlin nur bei einem sehr knappen Wahlausgang Auswirkungen darauf hat, ob Annalena Baerbock Kanzlerin wird oder nicht, geht es im Saarland auch um den Ruf der Partei: Die nun endgültig zurückgewiesene Liste mit der Spitzenkandidatin Jeanne Dillschneider war bereits der zweite Versuch der Grünen, eine Landesliste aufzustellen.

Was war passiert?

Schon seit Längerem streitet sich die Partei. Vordergründig geht es um die Ausrichtung, hintergründig geht es um Macht und Mehrheiten. Im Zentrum dieses Streits standen zuletzt zwei Lager: das von Hubert Ulrich und das von Jeanne Dillschneider.

Hubert Ulrich ist 63 Jahre alt und seit 1982 bei den Grünen, als Landesvorsitzender verhandelte er seine Partei 2009 in eine Jamaika-Koalition, aktuell ist er Vorsitzender des Ortsverbands Saarlouis. Kritiker nennen ihn "machiavellistisch". Jeanne Dillschneider ist 25 Jahre alt und seit 2016 bei den Grünen. Sie hat ihr erstes Staatsexamen in Jura abgeschlossen und war zuletzt Chefin der Grünen Jugend Saar.

Auf einem Parteitag am 20. Juni trafen die Lager dann aufeinander, um eine Liste für die Bundestagswahl aufzustellen. Am Ende stand die auch, mit Hubert Ulrich an der Spitze. Er hatte in einer Kampfkandidatur gegen Dillschneider gewonnen, nachdem eine andere Politikerin in mehreren Wahlgängen nicht auf die erforderliche Mehrheit kam.

Ein "eklatanter Verstoß gegen das Demokratieprinzip"

Rumoren in der Partei. In Berlin sagte Annalena Baerbock: "Wir haben uns das anders gewünscht." Im Saarland traten mehrere Mitglieder des Landesvorstandes zurück. Ulrich? Nein, danke. Der Fall kam vor das Landesschiedsgericht Rheinland-Pfalz - das saarländische hatte sich für befangen erklärt - und das kippte die Liste mit der Begründung, auf dem Parteitag hätten auch Grünen-Mitglieder abgestimmt, die nicht hätten abstimmen dürfen. Außerdem verstoße die Liste gegen das Frauenstatut.

Am 17. Juli traf sich die Partei dann wieder, wieder um eine Liste zu wählen. Diesmal waren mit Beschluss des Bundesschiedsgerichts 49 Delegierte aus Saarlouis von der Wahl ausgeschlossen - also Delegierte aus dem Ortsverband von Hubert Ulrich. Laut Bundessschiedsgericht waren sie nicht satzungsgemäß gewählt worden, weil es bei ihrer eigenen Wahl in Saarlouis zu Unregelmäßigkeiten gekommen war.

Nur: 49 Delegierte, das entspricht einem Drittel aller stimmberechtigten Mitglieder.

Der Fall ging vor den Landeswahlausschuss und dessen Leiterin wurde deutlich. Der Ausschluss der Delegierten sei ein "eklatanter Verstoß gegen das Demokratieprinzip". Die Liste dürfe nicht zur Wahl zugelassen werden. Wieder Rumoren, wieder Beschwerde, der Fall ging weiter nach Berlin.

Dort besprach der Bundeswahlausschuss dann im Kern genau diese Frage: Was ist wichtiger - die demokratischen Grundprinzipien, die mit dem Ausschluss von einem Drittel der Delegierten möglicherweise verletzt wurden? Oder der Beschluss des Bundesschiedsgerichtes? Nach einer längeren juristischen Diskussion bestätigten sechs Mitglieder den Beschluss des Landeswahlausschusses, zwei stimmten dagegen, zwei enthielten sich. Bundeswahlleiter Georg Thiel erklärte: Die Grünen hätten "sehen müssen, in welches Problem wir hier hineinkommen". Sie hätten dagegen rechtzeitig Vorkehrungen treffen müssen. Also doch keine Liste.

"Wir sind enttäuscht über das Ergebnis und hätten in einer für das Klima so wichtigen Bundestagswahl gerne eine Liste gehabt", sagte später die Grünen-Politikerin Lisa Becker, die als Vertrauensperson der Partei fungiert. Ob ihre Partei nach der Bundestagswahl ein Wahlprüfungsverfahren einleitet, ließ sie offen. Und die zerstrittenen Lager, all die vakanten Posten im Landesvorstand? "Gerade ist die Situation so verfahren", sagt Becker, und dann sagt sie erst mal nichts. Es gebe aber Überlegungen, in eine Mediation zu gehen.

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