Grüne: Positionspapier:"Schwarz-Grün ist keine dumme Idee"

Resümee und Neubeginn in Hamburg: Ex-Justizsenator Till Steffen und andere Realos halten die Türe zur CDU offen. In einem von der SZ dokumentierten Memorandum bedauern sie die Art des grünen Koalitionsausstiegs - und umreißen ein neues öko-konservatives Projekt.

Jens Schneider, Hamburg

Es klang wie ein Abschied für immer. Als Hamburgs Grüne im letzten Herbst die Koalition mit der CDU aufkündigten, war das nicht nur für eine Legislaturperiode. Eine Wiederauflage des Hamburger Modells gilt, nicht nur in Hamburg, seit diesem Bruch als sehr unwahrscheinlich. Jetzt aber fordern grüne Hamburger Realpolitiker um den früheren Justizsenator Till Steffen in einem Thesenpapier, dass die Grünen für die Option offenbleiben sollen, nicht nur in Hamburg.

Justizministerkonferenz in Hamburg

War Justizsenator im schwarz-grünen Senat, der im Herbst 2010 zerbrach: Till Steffen (Grün-Alternative Liste/GAL)

(Foto: dpa)

Denn nach ihrer Auffassung war nicht etwa die Koalition falsch, sondern die Art, in der die Grünen sie geführt haben. Zu den Autoren des Papiers, die nun eine "Grundüberholung unseres politischen Angebots" fordern, zählen neben dem früheren Justizsenator Steffen der Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin und der langjährige "Koordinator" der Hamburger Realos, Kurt Edler. "Wir haben einiges falsch gemacht", schreiben sie und rechnen in dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, recht rigoros mit ihrer Partei ab, die seit der Bürgerschaftswahl von Ende Februar in der Opposition ist - und nicht, wie erhofft, in einem rot-grünen Senat. Aus den schlechten Erfahrungen mit der Koalition folge aber nicht, "dass Schwarz-Grün eine dumme Idee ist", schreiben sie. "Es kann gehen, und auch die Grünen sollten sich diese Option offenhalten." Allerdings dürften sie während des Regierens ihre eigene Haltung nicht aufgeben und müssten viel intensiver ihre "Glaubwürdigkeit pflegen".

Exemplarisch attackieren sie die frühere Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Anja Hajduk. Sie war in den vergangenen Jahren die bestimmende Figur im schwarz-grünen Koalitionsgefüge auf Seiten der GAL und schon bei Gründung der ersten Koalition dieser Art auf Landesebene eine Art Mastermind des Bündnisses. Die Kritiker monieren, dass ihre Partei sich viel zu sehr darauf fixiert habe, einige wenige Projekte durchzusetzen und werfen das gerade der früheren Senatorin Hajduk vor, wenn sie schreiben: "Wenn die Römer Rom nicht an einem Tag erbauen konnten, hatten sie einfach die falsche Bausenatorin."

Vermächtnis an künftige Koalitionen

Statt von sich selber und ihren Zielen zu reden, habe die GAL, wie die Grünen in Hamburg seit vielen Jahren heißen, nur noch darauf geschaut, wie die im Koalitionsvertrag mit der CDU vereinbarten grünen Ziele umgesetzt werden könnten. Die Partei habe in den Regierungsjahren unbeweglich an ihren Projekten festgehalten, die zudem dann auch noch gescheitert seien. "Dazulernen war nicht mehr möglich." Nach der Regierungszeit stünden Hamburgs Grüne nun da wie ein "leergeräumter Gemischtwarenladen", beklagen die Autoren eine Art Selbstaufgabe der GAL.

Anstatt die eigenen Positionen zu betonen, sei in der Regierungszeit "viel über die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie und über die große Harmonie zwischen den Koalitionspartnern" gesprochen worden. Das aber hätten die Wähler nicht verstanden, die daran gewöhnt seien, dass es sich bei CDU und GAL um sehr verschiedene Parteien handelt. Auch im Wahlkampf habe die GAL sich zu sehr über andere Parteien definiert und nicht mehr im Auge gehabt, "womit wir uns der Stadt präsentieren, wer wir eigentlich glauben, wer wir sind".

Die Partei müsse sich erneuern und nicht mehr um sich selbst drehen, sondern auf die Bürger zugehen, auf sie hören, aber ihnen auch widersprechen. "Um in diesen anstrengenden Diskussionen zu bestehen, braucht es vor allem eins: den Mut, zu den eigenen Ansichten zu stehen und nicht nur nach taktischen Gesichtspunkten zu beurteilen."

So klingt das Papier wie ein Vermächtnis an künftige Koalitionen: Wer Schwarz-Grün regiere, müsse jeden Tag erkennbar machen, wofür er diese ungewöhnliche Bündnis mache, welche Anliegen ihn antreiben, welche Aufgabe er in der Regierung hat.

Auf der folgenden Seite dokumentiert die Süddeutsche Zeitung das Positionspapier der Hamburger Realos.

Realpolitische Sackgasse

Von Kurt Edler, Till Steffen und Manuel Sarrazin.

Die Hamburger GAL - wie sich die Grünen in der Hansestadt immer noch nennen - hat die Erfahrungen mit der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene zu verdauen. Dass dieses Experiment hier gewagt wurde, liegt auch daran, dass Hamburg der grüne Landesverband ist, wo sich die Realpolitiker am gründlichsten durchgesetzt hatten. In schwierigeren Zeiten hatten sich die Realos Anfang der 90er Jahre beim SOFA zusammengefunden, was für "Sozietät ohne feste Ansichten" stand. Das brachte das realpolitische Credo zum Ausdruck, dass man die inhaltliche Beweglichkeit erhöhen muss, um die Gestaltungsmöglichkeiten zu erhöhen - Realpolitik eben. Die in dem Titel gleichzeitig mitschwingende Ironie scheint aber in der weiteren Entwicklung gründlich übersehen worden zu sein.

Nach 2,5 Jahren Regierung steht die GAL ein bisschen da wie ein leergeräumter Gemischtwarenladen. Kein leergekaufter, ein leergeräumter Laden. So haben die Grünen in Hamburg eines geschafft: Den SPD-Landesverband als Alleinregierung in den Senat zu spülen, der vor 3 Jahren mit dem Skandal um die bei der Urwahl des Vorsitzenden geklauten Stimmzettel wohl am tiefsten in der Krise steckte. Eine schwache SPD hingegen ist immer gut für die Grünen, auch in Hamburg. Vor diesem Hintergrund darf wohl kein "Grüner" von einer schlechten Ausgangssituation für die GAL in der schwarz-grünen Regierung reden. Vielmehr haben wir Einiges falsch gemacht.

Was haben wir falsch gemacht? Wir haben einen Politikstil entwickelt, bei dem feste Ansichten keine Rolle mehr spielen - Inhalte werden dabei zur politischen Manövriermasse. Guckt man sich die Entwicklung der schwarz-grünen Koalition an, so gilt dies bereits für den Koalitionsvertrag, der vor grünen Inhalten nur strotzte - ein Programm, das den üblichen Schwierigkeiten von Finanzierbarkeit und Tempo der Umsetzung politischer Veränderungen nicht gewachsen war. Die Vielzahl der Verheißungen hatte aber die Funktion, bei Begründung der Koalition über die realen Schwierigkeiten eines solchen Bündnisses hinwegzuhelfen.

Während der Koalition wurde ganz überwiegend nicht geworben für das hinter bestimmten Vorhaben liegende grüne Grundanliegen. Stattdessen wurde viel gesprochen über die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie und über die große Harmonie zwischen den Koalitionspartnern. Der Überbetonung grüner Inhalte im Koalitionsvertrag folgte also die kommunikative Einebnung beim Vollzug der Koalition. Das konnte bei den Wählerinnen und Wählern nicht ankommen, weil sie daran gewöhnt waren, dass es sich bei CDU und GAL um sehr verschiedene Parteien handelt.

"Verprojektierung" grüner Politik

Gleichzeitig hat die GAL in Hamburg sehr bald angefangen, nicht mehr von sich selber zu reden. Unsere politische Kommunikation beschränkten wir schon sehr bald auf einige wenige unserer "Projekte", ganz unpassend zu den vielen grünen Punkten die im Koalitionsvertrag gelandet waren. Und statt der Stadt eine grüne Partei zu präsentieren, die dazu einlädt, sich in einer Großstadt mit ihr zu identifizieren, haben wir angefangen immer nur über die anderen zu reden. Die CDU war zunächst "liberal und großstädtisch" - wegen uns. Mit dem Ende der Koalition war die CDU das nun eben gar nicht mehr - noch ein Grund für uns. Die SPD war zunächst ganz viel schlimmer als die CDU. Nach dem Ende der Koalition war sie nicht mehr schlimmer als die CDU, aber immer noch "von gestern", also gar nicht gut - außer mit uns. Noch bis zum Wahltag war der Grund, die Grünen zu wählen, vor allem die CDU oder die SPD. Wir haben uns so sehr um uns selber gedreht, dass wir gar nicht mehr im Auge hatten, womit wir uns eigentlich der Stadt präsentieren, wer wir eigentlich glauben, wer wir sind.

Dazu hat auch die "Verprojektierung" grüner Politik beigetragen. Die GAL empfand ihre Erfolge in den Koalitionsverhandlungen als so verheißungsvoll, dass sie aufhörte einfach eine Partei zu sein. Wenn die Römer Rom nicht an einem Tag erbauen konnten, hatten sie einfach die falsche Bausenatorin. Und mit der derben Niederlage vor Gericht in der Frage des Kohlekraftwerks Moorburg kam der Druck hinzu: Projekte durchsetzen. So machte die GAL schon bald in der Öffentlichkeit nicht mehr die Linie ihrer Politik, ihre Überzeugungen und - verglichen mit anderen Parteien - ihr gewöhnlich etwas lebendigeres Parteileben zu ihrer Note, sondern ihre zwei oder drei weiteren Projekte. Nicht mehr grüne Politik war der Marken-Kern, sondern wir selber reduzierten uns auf die Primarschule, die Stadtbahn und die Rekommunalisierung der Netze, die wir ganz heftig wollten. Dabei haben wir den Eindruck erweckt, als ob es uns nicht mehr nur um die Sache ginge, sondern vielmehr nur um einen großen Erfolg für uns, um auch "etwas vorzeigen zu können".

Die Beweglichkeit der Realos landete also im Sumpf des Dilemmas, "genau das eine" durchsetzen zu müssen. Dabei konnten sie - ganz entgegen der Idee des Pragmatikers - nicht mehr nach den Gegebenheiten sehen. Festen Ansichten, mit denen die GAL hätte erklären können, wofür sie streitet, sind ersetzt worden durch feste Projekte, dem neuen einzigen Maßstab des Erfolgs der GAL. Beweglichkeit, Veränderung, Dazulernen war nicht mehr möglich: Nicht wegen Überzeugungen, sondern wegen der "politischen Bilanz". Diese Politik ist nicht mehr glaubwürdig. Niemand wählt eine Partei für einige wenige konkrete Projekte - erst recht nicht, wenn diese scheitern.

Bei der Schulreform dominierte zwar eine grüne Grundüberzeugung das politische Handeln - hier hatte umgekehrt die CDU den Fehler gemacht, den Grünen in einer Weise entgegen zu kommen, dass die eigene Anhängerschaft nicht mitkommen konnte. Aber auch die grüne Haltung zum Thema hat dem Anliegen - längeres gemeinsames Lernen - nicht genutzt. Die konfrontative Herangehensweise - auch gespeist aus einer Not, das Regierungsbündnis zu rechtfertigen - hat Bemühungen in der Richtung auf absehbare Zeit erheblich schwerer gemacht.

Zerschlagenes Vertrauen

Eines kann man der GAL nicht vorwerfen: Wir waren wirklich gut im Verlieren! Aber die pädagogische Wirkung der Niederlagen blieb aus. Keine der Niederlagen - ob Moorburg oder die Schulreform - brachte die GAL zu der Erkenntnis: Wir hätten uns inhaltlich breiter aufstellen müssen.

Aus diesen Erfahrungen folgt nicht, dass Schwarz-Grün eine dumme Idee ist. Es kann gehen, und auch die Grünen sollten sich diese Option offen halten. Erforderlich ist aber, dass beide Partner auch während des Regierens ihre eigene Haltung erkennen lassen und die Aushandlung von Kompromissen nachvollziehbar machen. Oder anders formuliert: Wer sich als Grünere auf Schwarz-Grün einlässt, muss seine Glaubwürdigkeit pflegen, muss so bleiben wie Grüne im Vergleich zu den anderen politischen Parteien sind: Weitblickender, lebendiger, humorvoller, pfiffiger, mutiger darin, auf die Bürgerinnen und Bürger zuzugehen und auf sie zu hören oder ggf. ihnen zu widersprechen. Grüne müssen mehr sein als das Verkünden von - jetzt eben grünen Weisheiten - des Senats. Schwarz-Grün misst sich nicht nur an den Ergebnissen der Grünen in der Koalition, sondern auch an ihrem Politikstil. Wer Schwarz-Grün regiert, muss jeden Tag erkennbar machen, wofür er diese ungewöhnliche Bündnis macht, welche Anliegen ihn antreiben, welche Aufgabe er in der Regierung hat. Nicht welche Aufgabe die Regierung - welche Aufgabe die GAL in der Regierung hat. Unsere Aufgabe schienen unsere Projekte zu sein, der Rest des Programms war Verhandlungsmasse. Ergo: nicht so relevant.

Bei Rot-Grün ist das nicht um Welten anders - nur der Rechtfertigungsdruck ist geringer.

Zur Irrelevanz fester Ansichten passt der Ausstieg aus der Koalition: Auf eine inhaltliche Begründung haben wir ganz verzichtet. Stattdessen haben wir mit langen Fingern auf die CDU gewiesen: "Die können's nicht!"

Auch der GAL-Wahlkampf verzichtete darauf, in der Bezugnahme auf die aktuelle Situation in Hamburg grüne Werte zu kommunizieren. Stattdessen wurden wir so wahrgenommen, als würde es uns hauptsächlich darum gehen, mitzuregieren. Egal, mit wem und egal, wofür.

Gemessen an dem Ziel von Realpolitik - politische Handlungsmöglichkeiten erweitern - war dieser Kurs nicht erfolgreich. Hatten wir 2008 noch zwei Machtoptionen, haben wir jetzt noch eine halbe: Durch die Art des Koalitionsausstiegs wurde bei der CDU sehr viel Vertrauen zerschlagen, und es muss viel geschehen, damit der Platz bei einer zukünftigen rot-grünen Koalition nicht der am Katzentisch ist.

Durch die schwierige Lage, jetzt nur noch eine von vier Oppositionsparteien zu sein, werden wir nicht automatisch von Schwächen der Regierung profitieren. Wir werden nur durchdringen, wenn wir eigenes politisches Gewicht entwickeln. Dazu müssen wir zumindest aus der Niederlage bei der Bürgerschaftswahl vom 20. Februar lernen:"Wir brauchen eine Grundüberholung unseres politischen Angebots. Eine Einengung des politischen Horizonts auf das, was man glaubt, auch wirklich hinkriegen zu können, führt genauso in die Irre, wie neue Großprojekte in einzelnen Politikfeldern zu entwickeln. Wenn wir uns eine eigene Legitimation bei den Menschen in der Stadt holen wollen, müssen wir selbst einlösen, was wir als Anspruch an den Staat erheben: Die Bürgerinnen und Bürger von Anfang an bei der Entwicklung unserer Politik zu beteiligen und mit möglichst vielen eine gemeinsame Idee von Stadt zu entwickeln.

Um in diesen anstrengenden Diskussionen zu bestehen, braucht es vor allem eins: den Mut, zu den eigenen Ansichten zu stehen und nicht nur nach taktischen Gesichtspunkten zu beurteilen.

Kurt Edler, 60, war lange Jahre der Koordinator der GAL-Realos. Diese Aufgabe übergab er 2000 an Till Steffen, 37, der das Realo-SOFA 2002 wegen Erfolgs einmottete und in der schwarz-grünen Koalition Justizsenator war. Manuel Sarrazin, 29, ist Bundestagsabgeordneter und Realo der dritten Generation.

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