Grüne:Im Netz und aus dem Blick

Grünen Bundesvorstand

Ein Bild aus Vor-Corona-Zeit: die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Grünen versammeln sich zu einem Parteitag, diesmal nur digital. Das ist ein Novum - aber nicht das einzige Problem, das ihnen das Virus bereitet.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Endlich mal Volksreden halten vom heimischen Sofa aus und dabei nicht von den lieben Parteifreunden angemault werden? Der nächste Parteitag der Grünen könnte ein Traum für Dampfplauderer werden - oder aber ein atmosphärischer Härtetest. Diesen Samstag wollen rund hundert Grünen-Delegierte einen sogenannten kleinen Parteitag abhalten, wegen Corona nicht im Saal, sondern im Netz. Auf Bundesebene ist das virtuelle Unternehmen eine Premiere für die Partei, für Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ein "spannendes Experiment". Entscheidend für seinen Erfolg allerdings dürfte nicht nur die Vermeidung technischer Störgeräusche werden.

Empfindlicher Bedeutungsverlust

Wie kaum eine andere Partei sind die Grünen vom Coronavirus aus dem Sattel geholt und aus dem Blickfeld des Publikums befördert worden, zumindest vorerst. Die Partei, die vor sechs Wochen noch Kurs aufs Kanzleramt nahm und bei der Beliebtheit fast die Union eingeholt hatte, sieht sich mit empfindlichem Bedeutungsverlust konfrontiert. In Umfragen ist sie von mehr als 20 Prozent auf Werte zwischen 15 und 18 Prozent gerutscht und lag zeitweilig wieder hinter der SPD. Auch das grüne Herzensthema Klimaschutz kann es mit der Dringlichkeit der Corona-Bekämpfung derzeit nicht aufnehmen. Dennoch hält der Mitgliederzuwachs an und hat jetzt die Marke von 100 000 überschritten.

Bloß nicht Bange machen lassen ist also das inoffizielle Motto dieses virtuellen Parteitags, bei dem die Grünen sich als Zukunftspartei präsentieren wollen. Auch wenn grüne Amtsträger inzwischen hörbar stöhnen, weil ständige Videokonferenzen der Partei bei gleichzeitiger Beschallung durch die eigenen Kinder an den Nerven zerrt: Der grüne "Länderrat" am Samstag soll ein Aufbruch werden, irgendwie. "Auf Bundesebene ist dieser Parteitag ein Novum und nur möglich, weil wir schon vorher digital vieles hochgefahren haben", sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner der Süddeutschen Zeitung.

In der Berliner Parteizentrale bastelt man seit Wochen an digitalen Räumen, Chats und Datenkanälen, die beim Parteitag das Drinnen mit dem Draußen verbinden sollen. Drinnen in der Parteizentrale, die coronabedingt nur von einzelnen Personen betreten werden darf, sollen sich Parteiobere und etliche Rednerinnen und Redner aus dem Raum Berlin abwechselnd vor den Kameras in Schwung reden - und dabei in einen leeren Konferenzraum schauen statt in einen dicht besetzten Saal. Weitere ausgeloste Redebeiträge sollen von außen zugeschaltet werden, aus anderen Bundesländern und Wohnzimmern.

Das Ganze soll in Live-Chats kommentiert werden können. Ob Stimmung dabei aufkommt und welche, wagen auch Optimisten unter den Grünen nicht vorherzusagen. "Die Atmosphäre wird vermutlich viel ruhiger und konzentrierter", sagt Bundesgeschäftsführer Kellner. Es fehlten eben direkte Reaktionen des Publikums, "der Applaus, die Spannung in der Luft vor wichtigen Abstimmungen". Dafür könne man sich "zu hundert Prozent auf die inhaltliche Beschlussfassung konzentrieren".

Arbeit statt Jubel steht da auf dem Programm, etwa die Frage, wie die Grünen sich in der Pandemie wieder mehr Gehör verschaffen könnten. Unbestritten ist in der Partei, dass die Bundesregierung in der ersten Phase der Epidemie eine gute Performance hingelegt hat. Gleichzeitig wollen die Grünen nun raus aus dem Abseits - und Soziales stärker betonen.

Starker Staat ist gefragt

Der Leitantrag fordert mehr Unterstützung für Solo-Selbständige und ein Corona-Elterngeld für Familien, in denen ein Elternteil vorübergehend kein Geld verdienen kann. Auch Hartz-IV-Leistungen sollen aufgestockt werden. Ein starker Staat sei gefragt, nicht nur bei Gesundheit und Daseinsvorsorge, sondern auch da, wo das Versprechen sozialer Verlässlichkeit eingelöst werden müsse. Die Grünen, das ist nicht zu überhören, wollen nicht mehr nur als Umweltpartei wahrgenommen werden oder gar als privilegierter Club, sondern als Gerechtigkeitsinstanz. Die Pandemie hat das beschleunigt.

Unter den Tisch fallen soll das Thema Klima deshalb nicht. Es werde "mit Wucht" zurückkommen, meint Geschäftsführer Kellner. Der Bundesvorstand schlägt ein Konjunkturprogramm vor, das staatliche Coronahilfe an die Bedingung knüpft, dass Unternehmen Klimaschutzziele einhalten. Die EEG-Umlage, mit der der Ausbau erneuerbarer Energien gefördert wird, soll auf ein Viertel abgesenkt werden. Geringere Stromkosten sollen Bürger und Betriebe motivieren, in klimaneutrale Technologien zu investieren. Auch Europa steht auf dem Programm und ein Plädoyer für Corona-Bonds. Umstritten war bis zuletzt die Idee, wegen der Pandemie Einkaufsgutscheine auszugeben. Das könnte zum Shopping in ohnehin stark belebten Innenstädten motivieren, warnten Spitzengrüne.

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