Grünen-Parteitag in Bielefeld:Keine Angst mehr vor dem Wort "Verbotspartei"

Bundesparteitag der Grünen

Schwarz-Rot-Gold: der Parteichef der Grünen, Robert Habeck, die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und Parteichefin Annalena Baerbock (von rechts) auf dem Parteitag in Bielefeld.

(Foto: dpa)

Digitalkonzerne kontrollieren, Finanzmärkte regulieren, klimagerechter Umbau der Industrie: Wie die Grünen jetzt, wo alle irgendwie grün sind, an der Spitze der Bewegung bleiben wollen.

Von Constanze von Bullion, Bielefeld

Man hätte meinen können, den Grünen habe jemand Schlummertee verabreicht. Da schafft es die alte und neue Vorsitzende Annalena Baerbock, den Bundesparteitag in Bielefeld, bis dahin ein Harmonieseminar, aufzuwecken.

Nach zwei ungewöhnlich friedfertigen Debattentagen und einer Vorsitzendenwahl mit Rekordergebnissen stehen am Sonntag die Themen Klima und Wirtschaft auf dem Programm. Die Grünen wollen einen Fahrplan für die Klimawende aufstellen, der ökonomisch umsetzbar und sozialverträglich ist. In einer Zeit, in der bis in die CSU nahezu alle demokratischen Parteien Klimaziele postulieren, will die Partei aber auch unterscheidbar bleiben - und an der Spitze der Bewegung.

Wie das gehen soll, hatte der Bundesvorstand in einem Leitantrag formuliert, der Teilen der Basis und der Grünen Jugend viel zu lasch war. Allein zum Thema Klima lagen 277 Änderungsvorschläge vor. Kontrovers vor allem: der CO₂-Preis. Die Parteiführung wolle einen Preis von 40 Euro pro Tonne CO₂, der 2021 auf 60 Euro steigt. Die Parteioberen wollen gesprächsfähig bleiben, auch mit der großen Koalition, deren Klimapaket im Bundesrat verhandelt wird. Nur Nein sagen wollen die Grünen dort nicht. Auf der anderen Seite machen Klimaaktivisten Druck. Bis zu 650 Euro pro Tonne CO₂ wurde da gefordert, das werde das Klimabewusstsein schärfen.

Nach nächtelangen Verhandlungen einigte man sich in Bielefeld mit der Grünen Jugend auf 40 Euro pro Tonne CO₂ und eine Steigerung auf 60 Euro im Jahr 2020. Es folgten zahllose Appelle ans Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft, auch mit Gruppen ins Gespräch zu kommen, die bis dato als Gegner wahrgenommen worden seien. Die Grünen seien jetzt Bündnispartei, müssten lernen, sich auch abweichende Meinungen anzuhören, betont Parteichef Robert Habeck am Freitag. Was das bedeutet, wird vor der Tür des Parteitags vorgeführt. Wo früher Stände mit Anti-Atomkraft-Stickern und schwer verdaulicher politischer Literatur standen, warben jetzt Arbeitgeberverbände neben Windkraftfirmen und der Sparkasse um die grüne Kundschaft.

Am Sonntagvormittag ist es dann eine sichtlich beschwingte Annalena Baerbock, die um Öffnung wirbt, auch im Kopf. Baerbock ist am Vortag mit einem grünen Rekordergebnis von 97,1 Prozent als Parteivorsitzende bestätigt worden. Auch Habeck hat ein Spitzenresultat geholt, das kein männlicher Parteichef je erreicht hat. Mit 90,4 Prozent allerdings landete er ein Stück hinter Baerbock. Nicht nur bei grünen Frauen wurde das als Hinweis gewertet, dass ein Habecksches Solo an der Parteispitze nicht erwünscht ist.

Dass Baerbock in Zuspruch baden kann in Bielefeld, beantwortet sie am Sonntag mit einem Appell an die innere Veränderungsbereitschaft. Die Unvereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie gehöre zu den Überzeugungen von gestern, erklärt sie. Die Grünen, die nun eine "sozial-ökologische Marktwirtschaft" propagieren, stellten Menschen statt Gewinne in den Mittelpunkt. Ohne entschlossene Ordnungspolitik aber, auch ohne die Wucht des Marktes, seien Ziele wie die Klimawende nicht zu erreichen. "Natürlich braucht auch ein Markt Regeln, damit das Ganze funktioniert. Und ja, das kann man auch Verbote nennen", ruft Baerbock in den Saal.

Keine Angst mehr vor dem Wort "Verbotspartei", auch das ist eine Botschaft dieses Parteitags. Seit der Klimaschutz bei den Wählern so hoch im Kurs ist und politische Mitbewerber die Grünen in der Klimapolitik zu überholen suchen, werden die Forderungen der Partei nach einer entschlossenen Ordnungspolitik lauter. Digitalkonzerne kontrollieren, Finanzmärkte regulieren, Vorgaben für eine klimagerechte Transformation der Industrie - ohne Leitplanken wirkten Wachstumsmärkte zerstörerisch, sagt Baerbock in Bielefeld. "Wir als Europäerinnen und Europäer, wir sind der größte Binnenmarkt der Welt. Wir können Standards setzen."

Als die Parteichefin ihre Rede beendet, rauscht Applaus durch den Saal, auch Robert Habeck hebt es aus dem Sitz. Die Kollegin hat ihm die Show gestohlen bei diesem Parteitag. Er sieht nicht wirklich unglücklich darüber aus.

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