Parteitag der Grünen:Der Streit ist nur vertagt

Parteitag der Grünen: Robert Habeck in seiner Rede auf dem Bonner Parteitag: Erst mal ein kleiner Gutwetter-Scherz als Lockerungsübung.

Robert Habeck in seiner Rede auf dem Bonner Parteitag: Erst mal ein kleiner Gutwetter-Scherz als Lockerungsübung.

(Foto: Benjamin Westhoff/REUTERS)

Die Grünen demonstrieren in Bonn Selbstbewusstsein und Disziplin. Die Parteichefs gewinnen alle wichtigen Abstimmungen - dennoch ist die Stimmung angespannt.

Von Constanze von Bullion und Nicolas Richter, Bonn

Das Ende der Welt kommt am Sonntagmittag nach Bonn. Es kündigt sich mit rauschendem Beifall an, wenig später springen die Leute aus den Sitzen. "Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass das Ende der Welt im Plural kommt", ruft die Klimaaktivistin Luisa Neubauer in den Saal. "Es ist eine Gewissheit nach der anderen, die kollabiert." Europa werde nicht immer friedlicher. Das sei ein Irrtum. Die Klimakrise werde auch nicht verschwinden, im Gegenteil. "Lässt man sie nur kurz aus dem Blick, kommt sie mit zehnfacher Wucht zurück." Und dann steht mal kurz die Zeit still in der großen Halle.

World Conference Center in Bonn am Freitag, die Grünen sind zum Parteitag zusammengekommen in einer Zeit, die mal als "hart", mal als "krass" bezeichnet wird. Zu regieren im Bund mit der SPD und den Liberalen, das sollte eigentlich ein Aufbruch werden. Die Grünen wollten in Berlin zum Motor gesellschaftlicher Veränderung werden, die ökologisch-soziale Transformation vorantreiben, wie es hieß. Jetzt aber herrscht Krieg in Europa, die Bundesrepublik steht vor der schwersten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte. Es fehlt Gas, Innovation, auch Zuversicht. Und in Berlin regiert ein politisches Dreiergespann, das seine besten Zeiten hinter sich zu haben scheint, bevor sie überhaupt begonnen haben.

Die Grünen aber haben offenbar beschlossen, beim Parteitag in Bonn alles aus dem Blickfeld zu räumen, was nach fehlender Kampfbereitschaft aussehen könnte. "Wir sind die, die Führung liefern, wenn Führung bestellt ist", sagt die Politische Bundesgeschäftsführerin Emily Büning, als es losgeht. "Wir haben Ja gesagt zur Verantwortung", sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Und die Parteivorsitzende Ricarda Lang spricht vom "Winter der Solidarität", der jetzt kommen müsse. So als sei das Land auf dem besten Weg in eine herzerwärmende Zeit.

Der Parteitag wird überschattet von erbittertem Streit zwischen FDP und Grünen in Berlin

Ein Parteitag ist das, bei dem so diszipliniert verhandelt wird wie noch selten bei den Grünen. Die Führungsriege der Partei gewinnt alle wesentlichen Abstimmungen. Am Sonntag allerdings, dem letzten Tag des Treffens, gibt es noch einmal Aufregung um einen Antrag der Grünen Jugend, der die Parteioberen in Bedrängnis bringen könnte. Es geht da auch um einen Generationenkonflikt.

Wirtschaftsminister Habeck hat zusammen mit Nordrhein-Westfalens Grünen eine Vereinbarung mit dem Energiekonzern RWE geschlossen. Sie sieht vor, den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Zugleich sollen wegen der Energiekrise zwei Braunkohlekraftwerke länger als bisher geplant laufen. Das Dorf Lützerath aber, Symbol der Klimabewegung, soll den Braunkohlebaggern weichen.

Viele jüngere Grüne lehnen das ab. Bei ihnen wächst die Wut darüber, dass wegen Krieg und Gasknappheit die Kohlekraft ein Revival erlebt in Deutschland, und das unter grüner Regierung. "Ich mach´ mir Sorgen. Sorgen um meine Zukunft", sagt der Sprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus am Sonntag. "Es liegt an Euch, in der Koalition die ökologischen Grenzen zu ziehen", fordert die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, gemeint sind Regierungsgrüne. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hält dagegen. "Wir sind nicht die Jammerpartei. Wir sind die Macherpartei", sagt er. Das Plädoyer für die Realpolitik, die immerhin dafür sorgt, dass Millionen Tonnen CO₂ im Boden bleiben, wird am Ende erhört. Der Antrag der Grünen Jugend unterliegt knapp. Der Applaus im Saal bleibt zurückhaltend.

Überhaupt, bei aller Selbstermunterung bei diesem Parteitag und trotz großer Geschlossenheit: Die Stimmung bei den Grünen ist angespannt. Der Parteitag wird überschattet von erbitterten Auseinandersetzungen zwischen FDP und Grünen in Berlin. Aus der Hauptstadt bläst Eiswind in Richtung Bonn, vor allem beim Thema Atomkraft.

FDP-Chef Christian Lindner will Deutschlands letzte drei Atommeiler bis 2024 weiterlaufen lassen, statt sie zum Jahresende abzuschalten. Die Grünen, die in die "Hochrisikotechnologie" Kernkraft nicht mehr investieren wollen und keinen neuen Atommüll wollen, lehnen den Kauf neuer Brennstäbe ab. Sie haben sich aber zu Kompromissen durchgerungen. So jedenfalls sehen sie das. Um die süddeutschen Stromnetze im Winter stabil zu halten, sollen zwei der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke als Einsatzreserve dienen.

"Für den äußersten Notfall, so unwahrscheinlich er auch sein mag", wäre ein Weiterbetrieb denkbar - so steht es im Antrag des grünen Bundesvorstands, der am Freitagabend beschlossen wird. Zwei Atomkraftwerke sollen notfalls bis 15. April weiterlaufen können, "ohne neue Brennelemente". Der FDP aber reicht das alles nicht. In Berlin ringt Bundeskanzler Olaf Scholz in der Atomfrage seit Tagen um einen Kompromiss zwischen Grünen und FDP. Gefunden war er während des Parteitags noch nicht. Und Habeck sitzen nicht nur Lindner und Scholz im Nacken. Auch in Bonn bekommt er Widerworte zu hören, wenn auch nicht allzu viele.

Da ist zum Beispiel Karl-Wilhelm Koch, ein widerspenstiger Parteisenior aus der Vulkaneifel, der Mann ist eine Legende bei den Grünen. Koch führt eine Gruppe Delegierter an, die jedweden Streckbetrieb ablehnen und den endgültigen Atomausstieg zum Jahresende durchsetzen wollen. Wer garantiere der Partei, dass nach dem gebrochenen Versprechen des Atomausstiegs zum Jahresende nicht weitere Zusagen widerrufen würden? "Es bleibt beim 31. 12., wir stehen zu unserem Wort", sagt Koch. "Und es gibt keinen Zwang, das zu ändern."

Die meisten Delegierten plädieren für den Streckbetrieb

Die meisten Delegierten aber plädieren für den Streckbetrieb, die Parteiführung gewinnt die Abstimmung. Und statt gegenseitiger Beschimpfung werden in Bonn lieber Berichte über grüne Seelennöte ausgetauscht. "Was der Bundesvorstand vorgelegt hat, das ist eine Zumutung, auch für mich persönlich", sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Die Zustimmung zum Streckbetrieb sei ihr "extrem schwer" gefallen. Lemke mahnt, die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen von Atomkraftwerken könnten nicht wieder und wieder zurückgestellt werden. Sicherheit sei "keine Salamiwurst, von der man Scheibe für Scheibe abschneiden kann". Dennoch, wenn zwei süddeutsche Kraftwerke einen "kleinen Beitrag leisten" könnten, dann sollten sie noch ein paar Monate laufen können, findet die Ministerin.

Als Habeck auf der Bühne erscheint, schickt er erst einmal einen kleinen Gutwetter-Scherz in den Saal, als Lockerungsübung. Dann wird der Ton ernst. "Für viele Menschen, auch für mich, ist die Frage, wie steht man zur Atomkraft, eine Grundfrage gewesen, warum wir in dieser Partei gelandet sind", sagt er. Wenn aber so viel französischer Atomstrom entfalle wie befürchtet, "kann es zu einer Stresssituation kommen", sagt der Klimaschutzminister. Deshalb müsse der Streckbetrieb ermöglicht werden. Wer deshalb den Grünen rate, jetzt zurückzukehren zur Atomkraft, sei allerdings auf dem Holzweg: "Das wird nicht passieren."

Was fehlt in Habecks Rede, ist jeder Hinweis, ob er im Streit um Atomkraft mit der FDP in Berlin Kompromisse anbieten kann und wenn ja, welche. Kein Wort auch zur Abschaltung des niedersächsischen Kernkraftwerks Emsland. Es wird manches im Ungewissen gelassen. Sicher ist sicher.

Es ist dann der Atomkraftgegner Jürgen Trittin, der die Debatte beim Parteitag auf die Zielgerade trägt - hin zum Ja für den Antrag der Parteiführung. Trittin ist Habecks härtester Kritiker in Atomfragen. Auf einen Showdown aber verzichtet er in Bonn. Er belässt es bei einigen Ergänzungen, die er in den Text des Bundesvorstands hineinverhandelt. Es steht da nun, dass die Grünen "im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen" werden, mit der neue Brennelemente oder neues angereichertes Uran beschafft werden soll. Der Parteitag stimmt zu, der Krach ist vertagt. Jedenfalls bis auf Weiteres.

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