Parteitag:Basis stellt sich gegen Grünen-Spitze

Parteitag: Ein Robert Habeck weiß: Als Grünen-Chef darf man sich auf Parteitagen einiges anhören.

Ein Robert Habeck weiß: Als Grünen-Chef darf man sich auf Parteitagen einiges anhören.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der Partei-Vorstand wollte die diskussionsfreudigen Mitglieder ein wenig bremsen. Doch die mucken auf.

Von Constanze von Bullion und Jens Schneider

Sie haben sich gefeiert, über Stunden am ersten Abend des Parteitags. Haben einander gelobt, vor allem fürs Wahlkämpfen und Regieren. Und dann gibt es doch noch schöne Grüße von der Basis und zartes Gestänker gegen diese ganze Harmonie. Es ist das Thema Basisdemokratie, mal wieder, das sich zwischen oben und unten schiebt bei den Grünen.

Zweiter Tag des virtuellen Grünen-Parteitags, im Berliner Velodrom steht am Samstag die Wahl der neuen Parteivorsitzenden auf dem Programm. Ricarda Lang und Omid Nouripour werden sich am Nachmittag als Nachfolger von Annalena Baerbock und Robert Habeck wählen lassen. Dass es gelingt, gilt bereits als sicher. Bevor es soweit ist allerdings, werden beim Parteitag noch ein paar grundsätzliche Dinge ausgefochten, nicht zum Vorteil der Parteiführung.

Denn nach der emotionalen Verabschiedung von Parteichefin Annalena Baerbock am Freitag und einem eher nüchternen Farewell für Co-Chef Robert Habeck, nach allerlei Hoheliedern regierender Grüner auf die von ihnen durchzusetzende Realpolitik und die Kunst des Kompromisses, stehen am Samstagvormittag eher unangenehme Themen auf dem Programm.

Parteitag: Abschied mit Tulpen: Baerbock am Freitag.

Abschied mit Tulpen: Baerbock am Freitag.

(Foto: Christian Mang/REUTERS)

Da ist zum Beispiel Antrag S-01. Hinter diesem Kürzel steckt ein Hilferuf der Parteiführung, die bei Parteitagen in einer Antragsflut versinkt. Bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz, ausgerechnet in der schwierigen Startphase des grünen Bundestagswahlkampfs, stellte die Basis um die 3500 Änderungsanträge. Was viele Mitglieder der Grünen als Beweis hohen Engagements betrachten, ist für den Bundesvorstand ein mittlerer Alptraum, einfach wegen der schieren Menge. Denn jeder Antrag muss gewägt, besprochen, möglichst in einen Kompromiss eingewoben werden.

Der Antrag des Bundesvorstands sei "schon fast unanständig", schimpft ein Berliner Grüner

Schon früher hatte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sich deshalb dafür eingesetzt, die Satzung zu ändern. Vergeblich. Am Samstag nimmt der Bundevorstand einen neuen Anlauf. Die Zahl von Unterzeichnern, die nötig ist für einen Änderungsantrag, soll erhöht werden, flexibel je nach aktueller Mitgliederzahl der Partei. Derzeit wären dann etwa 125 Stimmen nötig statt 20 für jeden Änderungsantrag, fordert die Parteispitze.

Selbstverständlich ruft das Vorhaben beim Parteitag die Basis auf den Plan. Der Antrag des Bundesvorstands sei "schon fast unanständig", schimpft der Berliner Grüne Thomas Wolff daheim vor seinem Bildschirm. "Unsere Partei lebt von und durch das Mitmachen", warnt die junge Delegierte Hannah Heller aus Speyer. Die "Funktionäre" dominierten ohnehin jeden Parteitag. "Wir verstehen uns hier als Hüterinnen der Basisdemokratie", sagt unter dem häuslichen Aquarell Yvonne Plaul aus Lübeck. Nabiha Ghanem meldet sich aus Soest, sie will die Mitsprache von Minderheiten und ländlichen Räumen nicht beschneiden lassen. Denn dort geben es oft nur wenige Unterstützerinnen und Unterstützer für politische Anliegen.

Am Ende steht ein Kompromiss: Ein Änderungsantrag braucht nun 50 Stimmen

Die Parteiführung, das ist zu spüren, steuert einer Niederlage entgegen. "Wir glauben, das ist keine Basisbeteiligung, das ist Scheindemokratie", hält Annalena Baerbock der Basis noch entgegen. Es wisse doch jeder, dass vor Parteitagen "kein Mensch diese ganzen Anträge gelesen hat" und "niemand wirklich wusste, was da drinstand". Auch Habeck geht nochmal auf die Bühne. Es hilft nichts. Der noch amtierende Parteivorstand wird überstimmt, mit einer Dreiviertelmehrheit. Künftig sollen, das ist ein Kompromiss, 50 Stimmen für einen Änderungsantrag nötig sein.

Kritik hat es aber auch schon am Samstagmorgen gegeben. Da geht es um Corona-Boni, die der Bundesvorstand sich 2020 ausgezahlt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Sie lehne es ab, den Vorstand für den Haushalt 2020 zu entlasten, bevor die Fehler aufgeklärt seien, sagt eine Delegierte aus Gelsenkirchen. Die Parteispitze zeigt sich einigermaßen zerknirscht. "Mit dem Wissen von heute würden wir einen solchen Beschluss nicht mehr fassen", räumt Bundesschatzmeister Marc Urbatsch ein - und dass es eine "politische Höchststrafe" sei, das Thema jetzt zum dritten Mal serviert zu kriegen. Entlastet wird der Vorstand dann aber doch.

Parteitag: Winfried Kretschmann kritisiert den Bundestagswahlkampf.

Winfried Kretschmann kritisiert den Bundestagswahlkampf.

(Foto: Christian Mang/REUTERS)

Am Freitag schon hat Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, deutlich die Fehler im Bundestagswahlkampf angesprochen. Der Grünen-Veteran beklagt am Abend, dass die Grundausrichtung im Wahlkampf nicht gestimmt habe. Er nennt keine Verantwortlichen und spricht keine Person an, aber man kann in seinen Worten zumindest indirekte Kritik an der Spitzenkandidatin und heutigen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock lesen.

Kretschmann kritisiert, dass die Grünen im Wahlkampf nur Wandel ins Zentrum ihrer Kampagne gestellt hätten. Das habe viele Menschen überfordert. "Wir müssen unsere Veränderungsbotschaft noch stärker durch ein Sicherheitsversprechen ausbalancieren", sagt der grüne Ministerpräsident. "Das haben wir im Bundestagswahlkampf nicht ausreichend getan." Die Grünen hätten zu wenig gezeigt, dass es ihnen nicht um Veränderung um der Veränderung Willen gehe, sondern um "Veränderung um Dinge zu bewahren, die uns allen lieb und teuer sind". Die wohl größte Zumutung für viele nicht-grüne Wähler, dass eine vergleichsweise junge Grüne ohne Regierungserfahrung Bundeskanzlerin werden wollte, erwähnt Kretschmann nicht. Er dürfte seine Gründe haben.

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