Grüne:Noch besser als erwartet

Lesezeit: 3 min

Zweitstärkste Partei und Rekordergebnis: Die Grünen gelten als klare Gewinner der Wahl. Schon die Umfragen waren gut, dazu kamen aber noch einige Überraschungen.

Von Matthias Köpf

Ob sich der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek jetzt einen neuen Mitarbeiter für Unterfranken suchen wird, ist offen. Sein bisheriger Helfer hat am Sonntag jedenfalls selbst ein Mandat errungen: Mit 509 Stimmen Vorsprung nahm der Jurist und Familienberater Patrick Friedl dem etablierten CSU-Bildungspolitiker Oliver Jörg den Stimmkreis Würzburg Stadt ab. Für Bayerns Grüne, die schon vor der Wahl viel Zuversicht verbreitet hatten, ist dieses Direktmandat einer der eher unerwarteten Erfolge. Nicht zuletzt ist es nun ein Symbol dafür, dass die Grünen die CSU auch außerhalb der Großstadt München hinter sich lassen können.

In der Landeshauptstadt sind sie nun die unangefochten stärkste Partei. Sie haben in fünf der neun Münchner Stimmkreisen die Direktmandate gewonnen, teils mit einem denkbar knappen Vorsprung von nicht einmal 80 Stimmen wie der erst 28-jährige Informatiker Benjamin Adjei in Moosach, teils mit einer satten 44-Prozent-Mehrheit wie Spitzenkandidat Ludwig Hartmann in München-Mitte. Vor allem die guten Ergebnisse in München treiben die Zahlen für ganz Oberbayern in die Höhe. Allein in Oberbayern lebt mehr als ein Drittel aller Stimmberechtigten bei der Landtagswahl. 3,2 Millionen sind es insgesamt, und von ihnen haben fast drei Viertel auch wirklich gewählt. Hier, wo in Bayern schon viele Wahlen entschieden worden sind, kommen die Grünen auf 22,0 Prozent, die CSU auf 33,9. Gut lief es für die Grünen mit 18,6 Prozent auch in Mittelfranken mit dem Großraum Nürnberg. In der fränkischen Metropole holten sie 20,9 Prozent und im benachbarten Erlangen 26,4 Prozent.

In allen anderen fünf Regierungsbezirken liegen die Ergebnisse der Grünen unter dem landesweiten Ergebnis von 17,5 Prozent. In Schwaben sind es noch 17,1 Prozent, in Unterfranken nur 16,3 Prozent, trotz Patrick Friedls Direktmandat und 29,4 Prozent der Gesamtstimmen in der Stadt Würzburg. In Oberfranken liegen die Grünen mit 13,1 Prozent sogar einen halben Prozentpunkt hinter der darbenden SPD. Auch in der Oberpfalz sind die Grünen nur drittstärkste Kraft nach der CSU und den Freien Wählern geworden. Mit 12,4 Prozent liegen sie hier nur 0,1 Prozentpunkte vor der AfD. In Niederbayern wurden die Grünen von der AfD sogar klar überholt und sind mit nur 10,6 lediglich viertstärkste Partei.

Dass die Grünen im Vergleich zur Landtagswahl 2013 ihren landesweiten Stimmenanteil um 8,9 Prozentpunkte mehr als verdoppeln konnten, geht fast gleichermaßen zulasten der CSU und der SPD. Laut den Wählerstromanalysen jagten sie den Christsozialen etwa 170 000 Stimmen ab und den Sozialdemokraten etwa 200 000, während von den Grünen selbst in den Digrammen überhaupt kein Pfeil zu anderen Parteien führt. Sie konnten also ihre stark an Umweltthemen und dem Klimaschutz orientierte Kernklientel praktisch vollständig bei der Stange halten. Zugleich waren sie - auch durch ihren konsequenten Verzicht auf Koalitionsaussagen - gleichermaßen attraktiv für enttäuschte Anhänger von CSU und SPD, denen bei den Grünen laut verschiedenen Befragungen die liberale Haltung in der Flüchtlingsfrage, das klare Bekenntnis zu Europa und die starke Wertorientierung gefallen.

Der "Haltungswahlkampf", den sich die Grünen laut Spitzenkandidatin Katharina Schulze vorgenommen haben, ist bei diesen Menschen offenbar gut angekommen. Allein 140 000 grüne Stimmen kamen am Sonntag von früheren Nichtwählern und vor allem von Erstwählern. Dies schlägt sich auch in der Altersstruktur der grünen Wählerschaft nieder: Allein bei den 18- bis 24-Jährigen kämen sie auf 24 Prozent, mit zunehmendem Alter der Wähler sinkt der Anteil der Grünen stetig. Über 70 wählte nur noch jeder Zehnte grün, weniger als die SPD.

Außerdem ist der durchschnittliche Grünenwähler eigentlich eine Wählerin, denn bei den Frauen kommen die Grünen noch deutlich besser an als bei den Männern. Zudem verfügt diese durchschnittliche Wählerin über eine hohe, gerne akademische Ausbildung. Sie ist laut den Demoskopen weniger von Ängsten getrieben und dafür aufgeschlossener für Veränderungen als die durchschnittlichen Wähler aller anderen Parteien. Praktisch alle, die grün gewählt haben, wollen die Grünen demnach nicht als Korrektiv in der Opposition, sondern wirklich an der Regierung sehen.

Praktisch alle, die grün gewählt haben, wollen die Partei wirklich an der Regierung sehen

Die Grünen haben es geschafft, dieses Lebensgefühl im Wahlkampf mit klaren Botschaften aufzunehmen und sehen sich in Sachen Zukunftsfreudigkeit selbst als Erben einer nur noch aufs Beharren versessenen CSU an. Den Anspruch, den sie aus all dem abgeleitet haben, hat Spitzenkandidat Ludwig Hartmann allerdings schon am Montag in der Vergangenheitsform formuliert. Zu eindeutig laufe alles auf eine Koalition aus CSU und Freien Wählern zu. Ein schwarz-grünes Bündnis, wie es dem Wunsch auch vieler Grünenwähler entspräche, sähe Hartmann immer noch als spannende, aber extrem schwierige Aufgabe an: "Das wäre es allemal wert gewesen."

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: