Süddeutsche Zeitung

Grüne:Nach Osten blicken

Aber bloß nicht von oben herab: Im Windschatten der Debatte über den Twitter-Ausstieg ihres Parteichefs Robert Habeck stimmen sich die Grünen auf das schwierige Wahljahr 2019 ein. Es droht das vorläufige Ende ihres Höhenflugs.

Von Constanze von Bullion, Frankfurt/Oder

Es hat bei den Grünen schon mal harmonischere Aufbrüche ins neue Jahr gegeben. Zwei Tage lang hat der Bundesvorstand der Partei in Frankfurt an der Oder beraten, vor allem über die Europawahl im Mai und die Wahlkämpfe in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst. Bis zum Abschluss des Treffens am Dienstag gaben die Spitzengrünen sich alle Mühe, den Ärger um Parteichef Robert Habeck vergessen zu machen - und die Aufmerksamkeit wieder auf grüne Sachthemen zu lenken.

"2019 ist eine Chance, deutlich zu machen, dass wir eine neue Gemeinsamkeit schaffen in Europa und eine neue Gemeinsamkeit in Deutschland, wenn wir ehrliche Debatten darüber führen, wo wir herkommen", sagte Parteichefin Annalena Baerbock beim Abschluss der Neujahrsklausur. Fast 30 Jahre nach der friedlichen Revolution müssten auch die Grünen zugeben, nicht immer zugehört zu haben, "was die anderen umtreibt in Ostdeutschland und was die anderen umtreibt in Westdeutschland". Die Gesellschaft habe auch "versäumt zu reflektieren, was schiefgegangen ist". In Städten wie Frankfurt/Oder lebe fast jedes dritte Kind in Armut. Die "Hoffnung auf Wandel" und das Versprechen gleichwertiger Lebensverhältnisse müsse "von uns noch mal scharf gestellt werden", sagte Parteichef Habeck. In einer Region mit vielen biografischen und wirtschaftlichen Brüchen könnten die Grünen eine "besondere Problemlösungskompetenz" haben.

Drei Wahlen in Ostdeutschland stehen im Herbst an, für die Grünen könnten sie das vorläufige Ende ihres derzeitigen Höhenfluges bringen. In den längst nicht mehr neuen Ländern kämpft die Partei seit der deutschen Einheit um jede Wählerstimme - und trotz neuerdings steigender Mitgliederzahlen immer noch mit dem Ruf, ein westdeutsch geprägter Verein mit Neigung zur Besserwisserei zu sein. Nur mühsam konnten manche Spitzengrüne daher in Frankfurt ihren Ärger über ein Video von Habeck verbergen, in dem er erklärt hatte, seine Partei wolle dafür sorgen, dass Thüringen demokratisch werde. Habeck entschuldigte sich, trat bei Twitter und Facebook aus und verursachte so viel Wirbel, dass die Grünenspitze alle Mühe hatte, den Inhalten ihrer Klausur in Frankfurt überhaupt noch Gehör zu verschaffen.

Als Partei, die im Osten belehrend auftritt, wollen die Grünen gerade nicht mehr wahrgenommen werden. 30 Jahre nach dem Mauerfall wolle man "offen und mit Empathie, Respekt und gegenseitigem Interesse" eine Debatte über das Zusammenleben anstoßen, auch "über Erfolgsgeschichten, Missverständnisse, Hoffnungen und Fehlentwicklungen" im Osten Deutschlands, heißt es in einem Beschlusspapier des Bundesvorstands.

Daneben erneuerte der Grünen-Vorstand in Frankfurt auch Forderungen nach staatlichen Finanzierungsmaßnahmen, um Bürgerängsten und dem Rechtsruck zu begegnen. Neben einem Fonds zur Tilgung der Altschulden von Kommunen und einem Härtefallfonds für Rentner, die durch die Wende benachteiligt wurden, sollen Menschen, die sich selbständig machen wollen, stärker unterstützt werden. 25 000 Euro "Wagniskapital" solle jeder bekommen, der eine gute Geschäftsidee vorschlägt. Nur wenn sie Erfolg hat, soll das Geld zurückgezahlt werden müssen.

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Quelle:
SZ vom 09.01.2019
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