Süddeutsche Zeitung

Nach Landtagswahlen:Warum der grüne Höhenflug für die Partei gefährlich ist

Wahlsieg in Baden-Württemberg und auch im Bund sind die Aussichten rosig. Ist für Grünen also alles perfekt auf dem Weg zum Wahlsieg in Deutschland?

Kommentar von Stefan Braun

Es geht den Grünen prächtig. Sie können derzeit in Triumphen baden. Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, gelang es bei seiner Wiederwahl nicht nur, die einst große CDU hinter sich zu lassen.

Seit dem Wochenende hat er einen Olymp erklommen, den nur Joschka Fischer in seiner besten Zeit erreicht hat: Er ist laut Politbarometer der beliebteste Politiker in Deutschland. Nimmt man die bundesweit stabilen 13 bis 15 Prozent in den Umfragen dazu, dann könnten die Perspektiven kaum rosiger sein für die Grünen.

Ist für die Partei also alles perfekt auf dem Weg zum Wahlsieg in Deutschland? Mitnichten. Die Grünen laufen Gefahr, sich im Wohlfühlen zu betäuben, statt sich jenen Fragen zu stellen, auf die sie Antworten brauchen, wenn sie auch im Bund wieder regieren möchten.

So groß ihre Chance aussehen mag - so groß ist das Risiko, dass sie einen schweren Fehler machen. Dabei ist ihre Lage nicht neu. Sie trägt Züge eines Déjà-vu mit offenem Ausgang.

Vor fünf Jahren standen sie an der gleichen Schwelle. Das Unglück von Fukushima und der erste Sieg Kretschmanns bescherten ihnen 2011 einen Höhenflug, wie es ihn zuvor nie gegeben hatte. Was folgte, war aber keine kluge Fortsetzung, sondern eine große Pleite.

Die Partei um ihre damalige Spitze erzeugte vor der Bundestagswahl 2013 eine Botschaft, die den Menschen nicht zugewandt war, sondern arrogant klang - die nicht Vertrauen schuf, sondern Misstrauen weckte, die nur die Kernklientel bediente und in der Mitte viele abstieß. Aus einem großen Startkapital war ein kleines Ergebnis geworden.

Die Parteispitze lässt manches vermissen - vor allem Inspiration

Niemand hat es am Wochenende, beim kleinen Parteitag der Grünen, klarer ausgedrückt als Kretschmann: Wer als Grüner regieren will, soll und muss seine ökologischen, sozialen, politischen Ziele klar benennen. Aber er wird wenig erreichen, wenn ihm die Menschen kein Vertrauen schenken. Wahlerfolge wachsen auf diesem Vertrauen, nicht auf der besonders großen Entschlossenheit bei der Botschaft.

Viele Themen der Grünen sind keine Randthemen mehr, sondern Themen der Mitte der Gesellschaft. Wer das nutzen möchte, kann nicht mit dem Gestus des Kampfes auftreten. Er muss den Menschen zeigen, dass er nicht gegen sie, sondern mit ihnen Ideen umsetzen möchte. Er darf nicht Dogmen hinausposaunen, sondern muss auch mal die Kraft haben, sich zu korrigieren, wenn er sich geirrt hat.

Dahinter steckt eine Grundfrage, die Realos und Linke bis heute trennt. Die Frage, ob man zur Durchsetzung seiner Ziele gegen Gegner, feindliche Mächte, unwillige Konzerne kämpfen muss oder mit Vertrauen und Argumenten Wähler überzeugen möchte. Für viele Linke ist Politik bis heute Kampf.

Deshalb belächeln sie Realos als Weicheier, die zu schnell aufgeben. Viele Realos schütteln darüber den Kopf, weil sie das Einigeln im Schützengraben für schwach, weil zu bequem und billig halten. Für sie zeigt sich Mut nicht im Beharrungsvermögen, sondern in der Kompromissbereitschaft, die, wenn es echte Kompromisse werden, immer auch wehtut.

Fischer hatte Jahre vor dem Wahlsieg 1998 damit begonnen, seine Partei zu schwierigen Debatten zu zwingen. Über den Balkan-Krieg und über die Machbarkeit ökologischer Ziele. Das war damals nicht einfacher als heute. Aber es war unverzichtbar. Bei der Grünen-Spitze dieser Tage ist davon wenig zu spüren. Das Quartett von Berlin pflegt lieber den kalten Frieden, in dem es sich derzeit begegnet. Das ist nicht nur nicht inspirierend. Es könnte ins nächste große Versäumnis führen.

Selten zuvor haben Union und SPD so an Bindekraft verloren. Daraus kann für die Grünen eine große Chance erwachsen - wenn sie SPD- und Unionswähler einladen und sie nicht vor den Kopf stoßen.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2016/hsp
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