Nach Wahlniederlagen in Ostdeutschland:Grünen-Parteispitze tritt geschlossen zurück

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„Es braucht einen Neustart.“ Die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour nach ihrer Rücktrittsankündigung in Berlin. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Ricarda Lang und Omid Nouripour reagieren damit auf die Niederlagen bei den jüngsten Landtagswahlen. Der gesamte Vorstand soll im November neu gewählt werden. Robert Habeck fordert auch eine Debatte über die Kanzlerkandidatur.

Von Markus Balser, Vivien Timmler, Berlin

Die Spitze der Grünen zieht nach einer Serie von Wahlniederlagen Konsequenzen und tritt geschlossen zurück. Das haben die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz bekannt gegeben. „Wir sind zum Ergebnis gekommen: Es braucht einen Neustart“, sagte Nouripour. Jetzt sei „Zeit für Leute, die neu anpacken“. Nötig seien „neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen“, ergänzte Lang. Jetzt sei nicht die richtige Zeit, „um am Stuhl zu kleben“.

Lang und Nouripour hatten die Parteiführung Ende Januar 2022 von Robert Habeck und Annalena Baerbock übernommen, nachdem diese nach der Bundestagswahl jeweils Ministerposten übernommen hatten. Neben den Parteichefs wird auch der gesamte sechsköpfige Bundesvorstand mit Wirkung zum Parteitag in Wiesbaden im November die Ämter niederlegen; er war im November 2023 eigentlich für zwei Jahre gewählt worden. Nun wird nach nur einem Jahr Schluss sein.

Es brauche eine „strategische Neuaufstellung“ der Partei, sagte Lang, gerade im Hinblick auf das kommende Jahr. Die anstehende Bundestagswahl sei „nicht einfach irgendeine Wahl“. Es gehe um eine Richtungsentscheidung für Deutschland. Jetzt sei die Zeit gekommen, Verantwortung zu übernehmen. „Wir übernehmen sie, indem wir einen Neustart ermöglichen.“

Der Bundeswirtschaftsminister und designierte Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, bezeichnete den Rücktritt als „großen Dienst an der Partei“. Der Schritt zeuge „von großer Stärke und Weitsicht“ und sei keineswegs selbstverständlich. Er sagte auch, die Niederlagen bei den jüngsten Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg seien unstrittig vom Bundestrend beeinflusst gewesen. „Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen.“ Er kündigte am Mittwoch eine Abstimmung über seine Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl auf dem Parteitag in Wiesbaden an.

Die Grünen sind im Osten an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert

Ursache für den Rücktritt des Grünen-Vorstands sind vor allem die desaströsen Ergebnisse bei drei Landtagswahlen in Ostdeutschland in Folge. Nur in Sachsen ist der Partei der Wiedereinzug in den Landtag gelungen. In Thüringen und Brandenburg flogen sie aus den Landesparlamenten. Schlüssige Lehren aus den Niederlagen zu ziehen, gelang der Parteiführung bislang nicht.

Mit ihrem Rücktritt überraschte die Grünen-Spitze auch Koalitionspartner. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte erst mit der Pressekonferenz von dem Schritt erfahren. Der Kanzler habe eng und vertrauensvoll mit den Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour zusammengearbeitet. Scholz erwarte aber keine Auswirkungen auf die Arbeit der Ampelkoalition, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Union wertete den Rücktritt dagegen als Anfang vom Ende der Regierung. „Das Problem sind nicht die Grünen an der Parteispitze, das Problem sind die Grünen in der Bundesregierung“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Die Ampel implodiert.“ 

Auch kein „Feng-Shui-Moment“ bei den Grünen

Auch die Grünen selbst sahen das Bündnis zuletzt zunehmend kritisch. Vor allem Omid Nouripour hatte sich in den vergangenen Wochen immer stärker von der Ampelkoalition distanziert und auch seiner eigenen Ernüchterung über die Arbeit mit SPD und FDP Ausdruck verliehen. Erst bezeichnete er das Bündnis als „Übergangsregierung“, dann gab er am Montag nach der verlorenen Brandenburg-Wahl zu: „Der große Feng-Shui-Moment wird wohl nicht mehr kommen.“

Zum Bundesvorstand gehören neben Lang und Nouripour ihre Stellvertreter Pegah Edalatian und Heiko Knopf sowie der Bundesschatzmeister Frederic Carpenter und die politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Büning. Insbesondere Letztere war in den vergangenen Monaten immer stärker in die Kritik geraten. Schon nach den Verlusten bei der Europawahl hatten viele die Schuld bei Büning und ihrem Kampagnenmanagement gesucht. Derzeit befindet sie sich nicht bei der Grünen-Spitze in Berlin, sondern auf einer Bildungsreise in Washington.

Robert Habeck mit seiner Parlamentarischen Staatssekretärin Franziska Brantner im Bundestag. (Foto: IMAGO/IMAGO/Political-Moments)

Als potenzielle Nachfolgerin von Lang und Nouripour wird insbesondere Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, gehandelt. Sie soll dem Vernehmen nach auch für die Bundestagswahlkampagne der Grünen für das kommende Jahr zuständig sein und gilt als eine enge Vertraute des designierten Kanzlerkandidaten Habeck. Genau wie der Wirtschaftsminister gilt sie als Pragmatikerin und als Strategin, die ihre Partei noch stärker in die Mitte rücken will. Als mögliche Co-Chefs werden unter anderem die Abgeordneten Felix Banaszak und Andreas Audretsch gehandelt.

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