Die Vorsitzenden der Grünen Jugend, Svenja Appuhn und Katharina Stolla, haben den Rücktritt von ihren Ämtern erklärt. Gemeinsam mit dem Rest des insgesamt zehnköpfigen Vorstands wollen sie zudem die Partei ganz verlassen. So geht es aus zwei Briefen hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Den einen hatte die Spitze der Grünen Jugend am Mittwochabend eilig an die Partei- und Fraktionsführung der Grünen verschickt, nachdem sich die Nachricht bereits verbreitet hatte. Den anderen veröffentlichte die Gruppe am frühen Donnerstagmorgen auf einer eigens dafür eingerichteten Website mit dem Namen „Zeit für was Neues“.
„Die Grünen werden immer mehr zu einer Partei wie alle anderen“, klagen die jungen Grünen um Appuhn und Stolla darin. Die Partei habe ihr Handeln in den vergangenen Monaten immer weiter angepasst. Die Gruppe sei „nicht länger bereit, unseren Kopf für eine Politik hinzuhalten, die wir falsch finden“, etwa die Räumung von Lützerath, das Sondervermögen für die Bundeswehr oder Asylrechtsverschärfungen. „Wir glauben, dass die Grünen vor lauter vermeintlicher Sachzwängen aus dem Blick verlieren, welche Politik sie da eigentlich mittragen“, so der Vorwurf.
Eskaliert nun ein Richtungsstreit, den Habeck gern verhindert hätte?
Mit ihren anklagenden Worten, den Rück- und Austritten droht nun jener Richtungsstreit bei den Grünen zu eskalieren, den der Bundeswirtschaftsminister und designierte Kanzlerkandidat der Partei Robert Habeck gern verhindert hätte. Zuvor hatten am Mittwochvormittag bereits die beiden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour gemeinsam mit dem kompletten Bundesvorstand der Partei ihren Rücktritt erklärt.
Die Grüne-Jugend-Spitze betont nun allerdings, dass ihr Entschluss schon länger feststehe. „Wir haben die Entscheidung, die Partei zu verlassen, in den letzten Wochen, also bereits vor der Bekanntgabe des Rücktritts des Parteivorstands, getroffen“, schreibt der Vorstand. „Wir hielten es allerdings nicht für verantwortlich, unsere Entscheidung während der Landtagswahlkämpfe zu verkünden, da wir Sorge hatten, dass es die ohnehin schon schwierigen Wahlkämpfe überschattet hätte“, heißt es in dem Papier weiter.
Die Jugendorganisation der Grünen mit 16 000 Mitgliedern steht der Mutterpartei traditionell kritisch gegenüber. Doch diesmal kracht es besonders laut. Grund für den Ausstieg ist das sich zunehmend verschlechternde Verhältnis. Mehrfach hatte die Grüne Jugend in den vergangenen Monaten eine Kurskorrektur von den Grünen verlangt. So mahnten die Bundessprecherinnen Svenja Appuhn und Katharina Stolla noch kurz vor der Europawahl im Mai im Kampf gegen soziale Krisen einen viel linkeren Kurs an, etwa die Einführung einer Reichensteuer und die Enteignung von großen Immobilienkonzernen.
Die Parteispitze wies das vehement zurück. „Die Grünen sind nicht dazu bereit, sich mit den Reichen und Mächtigen anzulegen“, wirft die aktuelle Führung der Grünen Jugend der Partei nun vor. An eine Besserung der Beziehungen glaubt sie nicht mehr. „Wir gehen nicht davon aus, dass eine personelle Neuaufstellung zu einer inhaltlichen und strategischen Neuausrichtung der Partei in unserem Sinne führen wird“, heißt es in dem Schreiben. Man habe zuletzt immer wieder versucht, „Entwicklungen aufzuhalten, die wir für falsch gehalten haben – und konnten uns damit nicht durchsetzen.“ Es sei daher besser, getrennte Wege zu gehen.
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Zugeschaltet aus der Weltpolitik lobt die Außenministerin die zurückgetretene Parteispitze der Grünen. Und sogar ihren Kollegen-Rivalen Habeck nimmt sie pflichtbewusst in Schutz.
Weitere Auseinandersetzungen zeichnen sich ab
Tatsächlich hätte sich der Konflikt der linken Parteijugend mit ihrer Mutterpartei nach der am Mittwoch verkündeten Neuaufstellung wohl eher noch verschärft. Das Lager von Robert Habeck stellt hinter den Kulissen derzeit bereits die Weichen dafür, die Parteispitze vor allem mit Vertrauten des Vizekanzlers aus dem Realo-Lager zu besetzen – noch härtere Konflikte wären damit sehr wahrscheinlich gewesen. Sie verstehe zwar den Frust der Grüne-Jugend-Spitze, sagte die Bundestagsabgeordnete Karoline Otte der Süddeutschen Zeitung. „Ich verstehe aber nicht den Weg.“ So oder so müsse die Partei und „insbesondere jetzt Robert Habeck viel ernster nehmen“, was sich an Frust angestaut habe.
Noch deutlicher drückt es die Grünen-Haushaltspolitikerin Paula Piechotta aus. „Wenn man merkt, dass man grundsätzlich in der falschen Partei ist, dann ist es besser zu gehen, als sich und andere unglücklich zu machen“, sagte sie. Und auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katharina Dröge übte Kritik an dem Schritt der Spitze der Parteijugend. Sie hätte eher „geraten, dass diejenigen, die jetzt die Grüne Jugend verlassen, bleiben und für eine andere Politik werben“, sagte sie. „Aber das ist jetzt die Entscheidung von jungen Leuten, und das ist dann so.“
Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast zeigte sich nicht verwundert über den Schritt. Im RBB-Inforadio sagte sie, die Spitze des Parteinachwuchses sei „nicht realitätstauglich“. „Da wundere ich mich nicht drüber und da weine ich jetzt auch nicht.“ Sie glaube, dass viele junge Menschen sich in und um die Partei nun freier engagieren könnten.
Auf dem nächsten Parteitag der Grünen Jugend Mitte Oktober soll nun eine neue Führung der Parteijugend bestimmt werden. Die bisherige Grüne-Jugend-Spitze sieht ihren Schritt allerdings erst als Anfang eines Aderlasses. „Wir gehen davon aus, dass mit uns weitere Verantwortungsträger:innen der Grünen Jugend austreten werden“, heißt es in dem Schreiben weiter. Und die Gruppe kündigt darüber hinaus auch noch politische Konkurrenz an: Man werde sich aufmachen, eine neue, dezidiert linke Jugendorganisation zu gründen. „Wir wollen dazu beitragen, dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann“, heißt es in dem Schreiben weiter. „Eine Partei, die nicht so ist wie alle anderen.“ Es brauche wieder eine linke Kraft, die Menschen begeistere und Hoffnung mache, heißt es weiter. „Diese Kraft wird die grüne Partei unserer Einschätzung nach nicht mehr werden.“
Die Grüne Jugend gilt als wichtiges Stimmungsbarometer und Kaderschmiede. Sie ist unabhängig, verfügt aber über enge Drähte in die Partei und in die Klimabewegung. Führungskräfte der Jugendorganisation machen regelmäßig Karriere in der Mutterpartei. So war die nun scheidende Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang vor ihrem Wechsel in die Bundesspitze von 2017 bis 2019 Chefin der Grünen Jugend.