Grüne in Deutschland:Republik mit Grünstich

Requiem oder Zukunftsmusik: Die Grünen in Deutschland werden von Kritikern dem Ende nah gesehen - in Wirklichkeit stehen sie viel solider da.

Wolfgang Roth

Wieder vier Jahre auf der Oppositionsbank im Bundestag; nur noch in drei Ländern an der Macht, im kleinen Saarland und in den Stadtstaaten des Nordens; verzweifelt auf der Suche nach neuen Regierungspartnern, weil die SPD überall so viele Wählerstimmen verloren hat, dass es gerade noch in Bremen zu einer Wunsch-Koalition reicht; ohne eine Persönlichkeit an der Spitze, die an die Umfragewerte eines Joschka Fischer herankommt; zu alledem im scharfen Wettbewerb mit den Konkurrenten, die durch die Bank die Umweltpolitik für sich entdeckt haben - die Grünen, so unken viele, gehen 30 Jahre nach der Gründung ihrer Bundespartei in Deutschland schweren Zeiten entgegen.Wer ihnen übel will, singt ihnen schon das Requiem.

sonnenblume, grüne, dpa

Sonnenblumen im Herbst: Wer den Grünen übel will, singt ihnen schon das Requiem

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Ein wildes Sammelsurium

So schlimm wird es aber nicht kommen, nicht in absehbarer Zeit, nicht in Deutschland, wo die Grünen auf einem wesentlich solideren gesellschaftlichen Fundament stehen als anderswo. Die Umwelt ist ihr Kernthema, aufgebaut auf jener gemeinsamen Identität, die einst ganz wesentlich aus dem Widerstand gegen die Atomenergie, aus den zahlreichen Bürgerinitiativen erwuchs.

Gleichzeitig aber kanalisierte sich in der neuen Partei, die am 13. Januar 1980 in Karlsruhe aus der Taufe gehoben wurde, ein guter Teil des außerparlamentarischen Protests, spülte dogmatische K-Gruppen-Mitglieder mit Blumenkindern und wertkonservativen Naturschützern in Landtage und Senate.

Ein reichlich wildes Sammelsurium, das so nicht Bestand haben konnte, ein Kosmos, der zum Beispiel im Nachbarland Frankreich nie in einer Partei existierte. Grüne in Frankreich, das waren in dieser Zeit vor allem um die Umwelt besorgte Menschen, die sich strikt um parteipolitische Neutralität bemühten. Die Proteste, die 1968 Paris und die großen Städte erfassten, gingen weit über das studentische Milieu hinaus, wurden getragen von Gewerkschaften und Arbeitern, die nicht davor zurückscheuten, den Generalstreik auszurufen.

Häutungen einer Partei

In Deutschland hingegen fanden so unterschiedliche Strömungen bei den Grünen zueinander, dass sich die Partei zwangsläufig häuten musste. Es waren immer wieder schmerzhafte Prozesse. Recht schnell verabschiedeten sich konservative Ökologen wie Herbert Gruhl, der Sektierer Baldur Springmann und der Erzkonservative August Haußleiter.

Anfang der neunziger Jahre verließen "Öko-Sozialisten" wie Jutta Ditfurth, Rainer Trampert und Thomas Ebermann die Grünen, und mit ihnen etliche Anhänger, die den immer realpolitischeren Kurs nicht mehr mitgehen wollten. Den letzten Schritt vollzog die einst so pazifistische Partei dann in der Regierungsverantwortung, indem sie Kriegseinsätze in Ex-Jugoslawien und Afghanistan mittrug.

Es waren Häutungen, die ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung auslöste, wenn nicht gar erzwang. Der Teil der Wähler, der diesem Wandel zustimmte, bildet nun eine relativ sichere Basis für die Klientelpartei - ein Stamm, der sich nicht nur einer konsequenteren Umweltpolitik, sondern auch den Bürgerrechten verpflichtet fühlt.

Sein und Schein

Immerhin erreichten die Grünen bei der letzten Bundestagswahl ihr bisher bestes Ergebnis. Vielleicht noch wertvoller als dieses Resultat ist die Tatsache, dass erstmals im Osten mit fast sieben Prozent der Wählerstimmen die Talsohle durchschritten wurde.

Das städtische Milieu, Bewohner mit vergleichsweise hoher Bildung geben den Grünen ihre Stimme. Das bedeutet auch, dass diese Anhängerschaft ganz gut in der Lage ist, Sein und Schein, politischen Handlungswillen und unverbindliche Programmatik zu unterscheiden.

Dass sich alle Parteien des Bundestags der Umweltpolitik verpflichtet fühlen, ist wahr, aber nur die halbe Wahrheit. Die vier Jahre der großen Koalition, sie standen auch für eine Politik, die in Brüssel verhinderte, dass ehrgeizigere Klimaschutzziele für die Autoindustrie angepeilt wurden. Immer noch steigert sich der Verbrauch unversiegelter Flächen, geht fruchtbarer Boden verloren.

Die Artenvielfalt nimmt weiter ab, überwiegend verursacht durch eine intensive, hochsubventionierte, überwiegend am Ertrag und nicht an der naturschonenden Nutzung orientierte Landwirtschaft, die noch von jedem Fachminister unterstützt wurde, den Union und SPD gestellt haben. Und wem es bitter ernst ist mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, der kann sich hundertprozentig nur bei den Grünen darauf verlassen, dass seine Wählerstimme wirklich wirkt.

Erosion der Stammwähler

So gesehen müssen sich die Grünen nicht übermäßig um das bekümmern, was im Neusprech "Alleinstellungsmerkmal" heißt. Die SPD tut sich erkennbar schwer damit, den Wählern ihr Profil nahezubringen, sie konkurriert, wenn sie ihre soziale Programmatik hervorhebt, mit der CSU und Teilen der CDU.

Ihre Stammwählerschaft erodiert mit dem Rückgang tradierter Industriezweige. SPD-Hochburgen existieren oft nur noch aufgrund der Strahlkraft von Führungspersönlichkeiten wie des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude, aber was nach ihnen kommt, liegt im Dunkeln.

Die Lücke des Alphatiers

Und was die beiden anderen Klientelparteien angeht, so muss den Grünen nicht bange sein. Eine FDP, die sich als die Steuersenkungspartei versteht, hat jetzt schon ihr Pulver verschossen. Und die Linke, die im Osten weitgehend eine linke Rentnerpartei ist, hat noch in keiner Länderregierung nachweisen können, dass sie eigene Akzente setzen kann.

Joschka Fischer haben die Grünen viel zu verdanken, aber wie das so ist mit den Alphatieren in der Politik: Am Ende wirken sie lähmend auf das Innenleben einer Partei ein, auf die Debattenkultur, die für schöpferische Unruhe sorgt. Der Weltstaatsmann Fischer stand mit seiner Vita exemplarisch für die parteipolitische Emanzipation einer vielschichtigen, außerparlamentarischen Bewegung und hat die deutschen Grünen international hoffähig gemacht. Ein Mann mit dieser Statur hinterlässt eine Lücke, wenn er geht, aber sein Abgang ist gleichwohl eine Befreiung.

Politiker, die nicht zur Macht drängen, haben ihre Bestimmung verfehlt, aber manchmal ist der Weg in die Opposition heilsam. Den Grünen hat vielleicht nichts Besseres passieren können, weil sie nun ihr Programm nicht mehr durch die allfälligen Kompromisse diskreditieren müssen, zu denen der kleinere Partner einer Koalition über Gebühr gezwungen ist.

Wie stark das an die Substanz gehen kann, wird die FDP bald merken, auch ihr Vizekanzler Guido Westerwelle, der zwar viele rote Teppiche beschreiten darf, aber als deutscher Außenminister nur einen sehr begrenzten Gestaltungsspielraum hat.

Schwarz-Grün in Hamburg, Jamaika im Saarland - noch sind solche Farbenspiele nur Einsprengsel in der parteipolitischen Landkarte der Republik. Bei anhaltender Schwäche der alten Volksparteien wird das Bild aber noch bunter werden und hie und da einen Grünstich haben, von dem dreißig Jahre zuvor nur Utopisten träumen konnten.

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