Grüne Wahlgewinner:Schöne Zahlen, schwerer Rucksack

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Nächster Erfolg: Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock (rechts) am Wahlabend mit den hessischen Spitzenkandidaten Tarek al-Wazir und Priska Hinz.

(Foto: Torsten Silz/AFP)

Der Triumph für die Grünen beflügelt deren Berliner Führung. Der Erfolg könnte aber auch schnell zur Last werden.

Von Stefan Braun, Berlin

Natürlich jubeln sie bei den Grünen an diesem Sonntag. An die zwanzig Prozent in Hessen - selbst ein Berufsoptimist wie der grüne Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir hat das lange nicht für möglich gehalten. Al-Wazir auf den Spuren von Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg - das klingt nicht mehr nur nach einem sehr guten grünen Ergebnis. Es klingt nach Zeitenwende.

Entsprechend könnte auch der Parteichef fröhlich und entspannt vor die Kameras treten. Bei seinem ersten Auftritt im Fernsehen aber wirkt Robert Habeck, als müsse ausgerechnet er, der frühere Schriftsteller, mit jedem Worten kämpfen. Als er das Schweigen und Suchen nach langen Sekunden überwunden hat, spricht er vom "großen Respekt", den das Ergebnis bei ihm auslöse. "Unglaublich spannend" werde es in der Nacht möglicherweise noch werden. "Aber danach dann werden wir sehr verantwortlich handeln."

Verantwortung - das ist das neue Stichwort der Grünen. Längst spüren sie, was der Höhenflug in Umfragen und Wahlen für sie bedeutet. Neben dem Glück des Erfolgs "spüren wir jeden Tag, wie die Verantwortung mehr auf uns lastet". Das erzählt selbst die eigentlich unerschrockene Claudia Roth an diesem Abend. Mit einer Mischung aus Stolz und Sorge berichtet sie, dass sie nach den Wahlen zuhause in Bayern dauernd aufgefordert werde, "in der Politik jetzt aber auch wirklich was zu ändern". So groß die Freude ist, so groß wird inzwischen auch das Gewicht, das auf den Schultern lastet.

Wie groß die Änderung in Hessen sein wird, lässt sich an diesem Abend so schnell nicht sagen. Mit jeder neuen Hochrechnung wird deutlicher, dass von den vielen Optionen, die möglich erschienen, wohl nur zwei übrig bleiben: Die Grünen sind in der Regierung, entweder als erstarkter Juniorpartner mit der Union oder, wegen einer nur hauchdünnen Mehrheit für Schwarz-Grün, im Jamaika-Dreierbündnis mit der FDP.

Selbst wenn ein zweiter Partner noch hinzukommt - für Al-Wazir ist das Wahlergebnis ein großer Vertrauensbeweis. Eines der besten Resultate, das die Grünen jemals bei Bundes- oder Landtagswahlen eingefahren haben. Das sagt alles und dürfte den grünen Spitzenkandidaten auch darüber hinwegtrösten, dass noch mehr nicht drin sein wird, nämlich ein rot-rot-grünes Bündnis unter seiner Führung. Dieses Ziel ist ohnehin nie sein wichtigstes gewesen.

"Auch bei 18 Prozent kann man abstürzen."

Nicht viel anders dürften die Dinge bei Annalena Baerbock und Robert Habeck liegen, den beiden Bundesvorsitzenden der Partei. Beide wissen nur zu gut, dass ihr Höhenflug eng damit verbunden ist, dass sie gerade nicht wie die große und vor allem laute linke Alternative auftreten. Baerbock und noch mehr Habeck bemühen sich seit Monaten, vor allem jene Wähler anzusprechen, die sich als liberal und weltoffen empfinden, sich aber bei Union, SPD und FDP nicht mehr zu Hause fühlen. Deshalb stehen sie der Perspektive eines Linksbündnisses - gelinde gesagt - zurückhaltend gegenüber.

Habeck und Al-Wazir gelten ohnehin seit vielen Jahren als enge politische Weggefährten, die nicht gerade für ausgesprochen linke Positionen bekannt wären. Beide galten einem Großteil der Partei lange Zeit als zu moderat, zu mittig. Sie wurden deshalb auf Bundesparteitagen von den Linken mal belächelt und mal ausgepfiffen. Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht - und beide können zurzeit selbstbewusst behaupten, dass ihre Linie ziemlich erfolgreich aussieht.

Landes- und Bundesspitze werden diese Position miteinander abgestimmt haben; und sie werden in den kommenden Tagen die Lage entsprechend sondieren. Sie werden das in dem Wissen darum tun, dass die Lage gerade zwar gut ist, aber nicht ohne Gefahren. "Natürlich ist es schön, wenn man bei 17, 18 Prozent auf dem politischen Drahtseil unterwegs ist", sagt am Sonntagabend ein Mitglied der engsten Parteiführung. "Drahtseil aber bleibt Drahtseil, das heißt: Auch bei 18 Prozent kann man abstürzen."

Ein zusätzlicher Trumpf wird in den kommenden Tagen sein, dass Al-Wazir nicht nur ein hervorragendes Wahlergebnis erzielt hat. Umfragen zeigen vielmehr zugleich, dass er in Hessen derzeit der beliebteste Politiker ist. Das gebe ihm jetzt besondere Freiheiten, offen zu sondieren, heißt es in Berlin. Dabei wird Al-Wazir eines antreiben: das Gefühl, dass es vor allem die Grünen sind, die der AfD etwas entgegen halten können. "Wir haben den Trend gedreht", sagt Parteichef Habeck, jetzt entspannt freudestrahlend. "Wir haben gezeigt, dass man Wahlen nicht nur am rechten Rand gewinnen kann. Das müssen wir fortsetzen."

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