Der Migrationsstreit wird zur Belastungsprobe für die Grünen. Am Montag hatte Kanzlerkandidat Robert Habeck ein Zehn-Punkte-Papier für eine „Sicherheitsoffensive“ verschickt. Neben diversen Forderungen aus dem Bereich der inneren Sicherheit enthält es auch Verschärfungen in der Migrationspolitik.
Zu einer Sicherheitsoffensive gehörten Schritte, die „die irreguläre Migration weiter reduzieren und begrenzen“, erläutert Habeck in seinem Konzept. Er fordert, nichtdeutsche Gefährder und Schwerkriminelle „konsequent“ abzuschieben, Asylverfahren „drastisch“ zu beschleunigen und die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) „umgehend“ umzusetzen. Dem dürfe sich die Union nicht verweigern, genauso wenig wie einer Novelle des Polizeigesetzes. Beides liegt im Innenausschuss des Deutschen Bundestages, SPD und Grüne hatten in der vergangenen Woche um eine Zustimmung von Union und FDP geworben.
Das Papier sei nicht Grünen-Position, sondern Habeck-Position, sagen nun einige in der Partei
Was als Reaktion auf den Fünf-Punkte-Plan der Union gedacht war, löst in den eigenen Reihen Unmut aus. „Dieses Papier ist eine Avance in Richtung Friedrich Merz, nichts anderes“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Das Papier sei mitnichten Grünen-Position, sondern Habeck-Position, heißt es am Dienstag aus allen Ecken der Partei. Die zehn Punkte hätten „nichts mit dem grünen Wahlprogramm zu tun“, schreibt Katharina Müller aus dem Bundesvorstand der Grünen Jugend auf Threads.
Viele Grüne stören sich insbesondere daran, dass Habeck die Themen Sicherheit und Migration vermische, und finden, er bediene mit seinen Vorschlägen die Narrative von Union und AfD. Öffentlich will das in dieser Phase des Wahlkampfes jedoch kaum jemand sagen. Doch der Rückhalt für Habecks Haltung in der Asylpolitik bröckelt.
Erst vor wenigen Tagen hatte Jan-Denis Wulff, ein grüner Kriminalkommissar beim BKA, in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung erörtert, warum Sicherheit weit über Abschiebungen und Grenzkontrollen hinausgehe, und mehr Präventionsmaßnahmen gefordert. Habecks Zehn-Punkte-Plan sieht nun unter anderem mehr Befugnisse für Bundespolizei und Sicherheitsbehörden vor sowie eine „Kooperationspflicht“ für die Behörden von Bund und Ländern. Es dürfe nicht passieren, dass Personen „durch das Raster fallen, weil kein Gesamtbild erstellt wird“, heißt es in dem Papier.
Die Folgen des Merz-Vorschlags nennt Katharina Dröge „verheerend“
Wegen der internen Kritik bei den Grünen ist unklar, was aus einem neuerlichen Versuch der FDP wird, einen Asylkompromiss mit SPD, Grünen und Union zu finden. Kommende Woche trifft sich das Parlament zum letzten Mal vor der Wahl, eigentlich nur noch zu einer Wahlkampfdebatte. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat die anderen Parteien jedoch aufgefordert, das von der Union vergangenen Freitag zur Abstimmung gestellte Zustrombegrenzungsgesetz in das GEAS-Gesetz zu überführen und beides zusammen zu beschließen.
Das Zustrombegrenzungsgesetz sieht primär vor, den Familiennachzug für Flüchtlinge aus Syrien auszusetzen – für die Grünen inakzeptabel – und der Bundespolizei zu erlauben, abgelehnte Asylsuchende an Bahnhöfen leichter in Gewahrsam zu nehmen. „Es darf im Interesse unserer Demokratie nicht der Eindruck entstehen, die demokratische Mitte nehme sich der realen Sorgen und Probleme der Bürgerinnen und Bürger nicht an“, appellierte Dürr.
Die SPD reagierte kühl auf Dürrs Vorstoß. Verhandelt werden könne nur über Gesetze, die den Segen der rot-grünen Koalition haben, schrieb der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich in einem Antwortschreiben, das der SZ vorlag. Das Zustrombegrenzungsgesetz ist demnach ausgeschlossen.
Auch die Grünen stellten Bedingungen. „Wir verhandeln nicht in einer Erpressungssituation“, sagte die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge am Dienstag im Deutschlandfunk. Grundlage für Gespräche müsse sein, „dass vorher ausgeschlossen wird von der Union, dass sie sich im Zweifel Mehrheiten mit der AfD sucht“. Hinzu komme, dass Merz’ Vorschlag einfach klinge, die Folgen aber „verheerend“ seien. Schon die Zustimmung zum Fünf-Punkte-Antrag am vergangenen Mittwoch mithilfe der AfD sei ein „fundamentaler Bruch mit der europäischen Asylpolitik“, so Dröge. „Man qualifiziert sich nicht, indem man ein Land ins Chaos stürzt“, sagte die Grünen-Fraktionschefin. „Ich würde Merz die Tauglichkeit absprechen, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu sein.“