Keine zwei Wochen vor der Bundestagswahl muss sich Robert Habeck, der Kanzlerkandidat der Grünen, gegen einen Plagiatsvorwurf wehren. Habeck soll in seiner im Jahr 2001 veröffentlichten Doktorarbeit gegen wissenschaftliche Standards verstoßen haben, behauptet der Plagiatsjäger Stefan Weber aus Salzburg.
Weber wirft ihm dies in einem 188 Seiten langen Gutachten vor. Habeck wies die Vorwürfe in einer Stellungnahme, die auch per Video verbreitet wurde, zurück. Der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler hatte einen ersten Teil des Gutachtens seiner Hochschule, der Universität Hamburg (UHH), im Januar zur Prüfung übermittelt.
„Gemäß den Regeln der UHH kein wissenschaftliches Fehlverhalten“
Ein Sprecher des Uni-Präsidenten erklärte, die Prüfung der Vorwürfe habe ergeben, „dass gemäß den Regeln der UHH kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt, da weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen wurde“. Die Eigenständigkeit der Forschungsleistung, also der wissenschaftliche Mehrwert der Dissertation, „wurde durch dieses Prüfungsergebnis bestätigt“. Habeck hatte 2000 mit der rund 260 Seiten umfassenden Arbeit „Die Natur der Literatur. Zur gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität“ promoviert.
Der Medienwissenschaftler Weber betätigt sich seit vielen Jahren als Plagiatsjäger und bietet kommerziell die Überprüfung von wissenschaftlichen Arbeiten an. Er gilt als erfahrener Plagiatsprüfer, der allerdings derart strenge Maßstäbe anlegt, dass diese durch die Hochschulen in mehreren Fällen nicht anerkannt wurden. Im vergangenen Bundestagswahlkampf 2021 hatte er bereits der damaligen Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vorgehalten, sie habe für ihr Sachbuch „Jetzt – Wie wir unser Land erneuern“ Textpassagen übernommen, ohne dies zu kennzeichnen.
Habeck wirft er vor allem vor, dieser zitiere Originalquellen, die er selbst gelesen haben müsste, nur aus der Sekundärliteratur, also aus Werken, die diese Originalquellen behandeln. Diese Sekundärliteratur nenne er aber nicht. Laut wissenschaftlichen Standards müssten solche übernommenen Zitate in einer Fußnote oder einem anderweitigen Hinweis gekennzeichnet werden mit „zitiert nach“. Weber nennt dies „Quellenplagiat“. Habeck habe „auf geradezu unglaubliche Weise eine Belesenheit vorgetäuscht“. Zudem habe Habeck Textpassagen übernommen, ohne den Autor oder die Autorin kenntlich zu machen. Dieser Vorwurf steht jedoch, anders als in früheren prominenten Plagiatsfällen, nicht im Vordergrund.
„Gewiss kein Zufall, sondern politisch motiviert“, sagt der Leopoldina-Präsident über die Vorwürfe
Habeck ging am Montag in die Offensive und machte den Vorwurf öffentlich, kurz bevor Weber damit an die Öffentlichkeit trat. Der Kanzlerkandidat erklärte, ihm seien die Vorhaltungen vorab bekannt geworden und er habe die zuständige Ombudsstelle der Universität Hamburg „um Sichtung und Prüfung meiner Dissertation und speziell dieser konkreten Vorwürfe gebeten“. Die Prüfung habe „die Vorwürfe entkräftet“.
Weber habe nun in Ergänzung zu den ersten Vorwürfen „ein paar weitere Fußnoten-Kritiken hinzugefügt sowie penibel Tippfehler aufgelistet, die mir bei der Endredaktion vor 25 Jahren wohl entgangen sein mögen“, erklärte Habeck. Er habe die Universität Hamburg gebeten, auch diese Punkte zu prüfen. Ein Sprecher des Uni-Präsidenten bestätigte der Süddeutschen Zeitung den Vorgang. Es sei bei den ersten Vorwürfen kein Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis festgestellt worden. Dies wäre die Voraussetzung dafür, Habeck den Doktorgrad abzuerkennen.
Habeck hatte zudem die Vorwürfe dem Klimatologen Gerald Haug vorgelegt, er ist Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Haug sagte der SZ, die inkorrekten Literaturangaben in Habecks Arbeit verfälschten nicht die zitierten Aussagen. „Dass die Vorwürfe gegen Habeck jetzt – kurz vor der Bundestagswahl – erhoben werden, ist gewiss kein Zufall, sondern politisch motiviert.“ Eine wissenschaftsinterne Überprüfung von Doktorarbeiten auf diese Weise zu instrumentalisieren, „wäre der eigentliche Skandal“.
Der Kritiker hat bereits zuvor Vorwürfe gegen Prominente erhoben, die Hochschulen nicht bestätigten
Weber hatte in den vergangenen Jahren mehrere Plagiatsvorwürfe gegen Prominente erhoben, die durch die prüfenden Hochschulen so nicht bestätigt wurden. Ein Beispiel ist der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, bei dem die Universität Frankfurt 2023 zwar ein „wissenschaftliches Fehlverhalten“ feststellte, dies jedoch nicht als gravierend genug ansah, um ihm den Doktorgrad abzuerkennen.
Auch der damaligen stellvertretenden SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid hatte Weber Anfang 2024 Plagiate in ihrer Doktorarbeit und in ihren journalistischen Texten vorgeworfen. Die Universität Salzburg erklärte nach einer Prüfung ihrer Doktorarbeit, dass „kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten“ festzustellen war. Zudem war eine Prüfung der journalistischen Artikel Föderl-Schmids durch eine unabhängige Kommission zu dem Ergebnis gekommen, es gebe keine Hinweise darauf, dass sie „methodisch die journalistische Leistung von anderen in einer Weise kopiert hätte, ohne die ihre eigenen Texte keine Gültigkeit gehabt hätten“.
Vergangene Woche verurteilte das Oberlandesgericht Linz Stefan Weber wegen übler Nachrede zu einer Entschädigung in Höhe von 4000 Euro. Weber hatte in seinem Blog den damaligen Rektor der Universität Klagenfurt, Oliver Vitouch, mit falschen Vorwürfen überzogen.
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