Süddeutsche Zeitung

Die Grünen:Überwintern im Berglager

Eben wurde den Grünen noch so ziemlich alles zugetraut, bis hin zur Kanzlerschaft. Dann kam die Pandemie und es wurde still - auch um Parteichef Habeck. Was macht der eigentlich gerade?

Von Constanze von Bullion, Berlin

Strategische Manöver hat er nie gemocht, und die Lage seiner Partei in den Mittelpunkt zu rücken, das sei doch irgendwie daneben in Zeiten wie diesen, sagt er. Robert Habeck, Parteivorsitzender der Grünen und bis vor Kurzem Erwartungskönig vieler Deutscher, ist von der Coronakrise in eine Art einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Eben wurde dem Grünenpolitiker noch so ziemlich alles zugetraut, bis hin zur Kanzlerschaft. Dann kam die Pandemie, jetzt wird es still um die Grünen, in ersten Umfragen sacken sie ab. Und Habeck? Sitzt im Home-Office in Flensburg, macht Videoschalten mit Parteifreunden, so Sachen. Im Berglager überwintern, so nennt er das, was jetzt kommt.

Nun wollen die Grünen natürlich nicht den Eindruck erwecken, als stellten sie ihre Arbeit vorläufig ein. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kündigte der Bundesregierung schon mal Unterstützung an. Opposition, das wird bei den Grünen jetzt als Aufgabe verstanden, für Zusammenhalt zu sorgen. Und Robert Habeck wirkt bei allem Ernst der Lage nicht wirklich so, als sei er unglücklich über die Rückkehr in seine Denkstube in Schleswig-Holstein. Er versteht sie als Vorbereitung.

Auch in einer Zeit der Bedrohung, in der die Exekutive das Wort hat und der Parteienwettstreit zu ruhen hat, würden Fenster in die Zukunft aufgestoßen, davon ist der Parteichef überzeugt. "Jetzt ist die Stunde des Handelns, die Stunde des Entscheidens, die Stunde auch des Aushaltens", sagt Habeck. "Aber irgendwann wird es ein Danach geben." Niemand könne genau sagen, wann dieses Danach beginne. Und bis dahin müsse das Land erst einmal "alle gesellschaftlichen Kräfte bündeln", um die Pandemie in den Griff zu kriegen, bei gleichzeitiger Vermeidung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs.

Corona verschlingt auch das Geld, mit dem die Grünen das Klima retten wollten

Selbstverständlich weiß der Grünenpolitiker nicht zu sagen, wie das zu bewerkstelligen sein könnte. Aber Habeck wäre eben auch nicht Habeck, würde er dem grimmigen Jetzt nicht ein paar Wortgirlanden umhängen, die es gleich eine Spur verheißungsvoller aussehen lassen. Keine Krise, aus der nicht auch gelernt werden könne, meint der Grünenvorsitzende. "Solidarität, Mut, Erleben, wie wertvoll Bewegungsfreiheit, Bürgerrechte, der Schutz des Privaten sind", das seien Erfahrungen, die am Ende einer Zeit voll Leid und persönlichem Verzicht stehen könnten.

Die Grünen, einst angetreten als Umwelt-, Friedens- und Haschrebellenpartei klingen jetzt manchmal, als seien sie immer schon eine Instanz der anständigen kleinen Leute gewesen. Statt fürs Windrad und den Elektroantrieb kämpfen sie, Corona machts möglich, jetzt mit nie gekanntem Elan für Hartz-IV-Familien, die Grundrente, Benachteiligte.

"Wir könnten in dieser ernsten Krise erkennen, dass gute öffentliche Institutionen und Daseinsvorsorge besser sind als Privatisierung. Dass ein gut ausgestattetes, funktionsfähiges Gesundheitssystem und Gleichheit im Gesundheitssystem sinnvoll sind", sagt Habeck. "Oder dass wir die Pflegekräfte, vor allem Frauen in Pflegeberufen, aber auch die Aldikassiererin mehr finanziell wertschätzen müssen." Die Corona-Epidemie lehre außerdem, "dass wir bei Existenzbedrohung auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen entscheiden".

Nur - werden sich solche Erkenntnisse, wenn sie denn eines Tages kommen, auch auf das Feld lenken, das den Grünen immer das wichtigste war: die Umwelt- und Klimapolitik? Mit Corona ist das Thema Erderwärmung aus der öffentlichen Debatte regelrecht verdampft - und mit ihm das dicke Finanzpolster in der Staatskasse, das die Grünen für den ökologischen Umbau anzapfen wollten, eigentlich. Das Geld wird nun für die Bekämpfung der Pandemie gebraucht, für die Klimawende könnte wenig bis nichts übrig bleiben.

Habeck glaubt, der politische Diskurs wird nach Corona schärfer als zuvor

Nur dass der Verwandlungskünstler Robert Habeck eben auch dieses Problem in eine Chance umzudeuten sucht. Hinter der Corona-Krise stehe bei allen niederdrückenden Nachrichten auch das Narrativ, dass nichts mehr undenkbar sei, sagt er - im Guten wie im Schlechten. Gefühlte Sicherheit habe sich als anfechtbar erwiesen. Und dass die Schwarze Null unantastbar sei und Staatsgeld endlich, sei mit dem Milliardenpaket zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft widerlegt. Warum also nicht nach Bewältigung der Krise endlich in Klimaschutz investieren?

Wer Habeck jetzt entgegenhält, dass die Reise doch in eine ganz andere Richtung geht in diesen Tagen und die Zapfsäule fürs Elektroauto eher verzichtbar wirkt angesichts der nötigen Rettung von Menschenleben, hört immer wieder das Wort Zeit. Klar könne die Krise dauern, keiner wisse, wie lange, sagt er. Aber irgendwann, wenn sie in den Griff zu kriegen sei, werde auch der politische Diskurs zurückkehren, schärfer als zuvor und angereichert mit grundlegenden Erfahrungen.

Und nein, ein "Selbstläufer" werde die Sache nicht für eine Partei wie die Grünen. Denn das Gefühl, dass nichts mehr unmöglich ist, vermittle sich jetzt auch all denjenigen, die die Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit in autoritäre Denkmuster umzumünzen suchten. "Es wird auch Leute geben, die sagen: Natürlich können wir die Grenzen schließen. Natürlich können alle Handys zwangsgeortet werden, natürlich können wir Bürger überwachen", sagt Habeck. "Es wird Antidemokraten geben, die sagen, die Quatschbude Parlament brauchen wir doch gar nicht. Auch dieses Narrativ bedient die Krise." Ebenso deutlich zeige sich aber auch, "dass die demokratischen Prinzipien in der Krise gewahrt bleiben, unsere demokratischen Institutionen funktionieren".

Irgendwann wird wieder rausgeklettert aus dem Schacht, soll das heißen. Es klingt nicht, als sei da morgen gemeint.

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